Der Zottler

In die Gegend von Hochgenain kam in alter Zeit ein baumstarker Mann von Baiern herein, der im Schmirnerthale gemeiniglich der "Wilde" hieß. Er streifte durch die dichten Wälder mit seiner Eisenkeule und machte Jagd auf das Wild; er gab den Bauern in derselben Gegend auch allerlei gute Räthe, zeigte ihnen allerlei Heilkräuter und prophezeite ihnen die Witterung. In die Kirche gieng er aber niemals, sondern während der Messe am Sonntag schlich er sich zur schönen Hochgenainer Witwe hinauf, die wegen ihres schlechten Lebenswandels nicht im besten Rufe stand. Mit dieser gewann er einen Sohn. Der Knabe wuchs auf, ward stark und groß wie sein Vater, und weil er am Körper stark behaart war, nannte man ihn den Zottler. Nach dem Tode seiner Mutter übernahm er das Gut Hochgenain, welches ein Lehen der Herren von Matrei war. Die Herrschaft hatte ihre Freude an dem starken Manne und bewilligte ihm so viel Grund als Eigenthum, wie weit er, am Hügel ober Hochgenain stehend, eine schwere, große Eisenkeule nach allen Richtungen hin werfen könnte. Zottler warf die Keule so weit, wie weit sich das ganze Lehen erstreckte und selbes ward von nun an sein Eigenthum.

Seine Hauptbeschäftigung war neben der Viehzucht die Jagd, und wenn ihn jemand fragte, wie er so stark geworden, was er denn esse, so erwiderte er: "Kühpech und Heuschrecken, die über Zäune springen" d. i. Butter und Hirschfleisch.

Er führte bald auch eine Genossin heim, eine starke Dirne aus Vals und bekam drei Söhne, die des Vaters würdig waren.

Da gieng nun einmal der starke Zottler nach Steinach hinunter und es begegnete ihm auf der Straße ein Fuhrmann, der mit seinem Gespanne "fuchste". Der Zottler blieb stehen und lachte. "Dies Wagele", sagte er, "führte ich mit meinen Kühen gegen den Brenner hinauf." Der Fuhrmann sah ihn groß an, sie führten eine Zeitlang einen Wortwechsel und giengen schließlich eine Wette ein, wobei aber der Zottler sich ausbedingte, daß er selbst auch mitziehen dürfe. Er holte zwei kohlschwarze Stiere, spannte sie ein und faßte selbst den Setznagel und im Laufe zog er mit den Stieren den schweren Lastwagen bis zum Brenner. So stark hatte er gezogen, daß der Setznagel krumm gebogen war.

Ein andermal forderte ein bairischer Raufer in Hall alle Starken Tirols zu einem Ringkampfe heraus. Dies kam auch dem Zottler zu Ohren. Weil aber seine drei Söhne auch riesig stark waren, so zweifelte er, ob er selbst gehen oder einen seiner Söhne schicken sollte. Da stellte er eine Kraftprobe an. Sie nahmen einen gewaltigen Taxstock und versuchten ihre Stärke im Werfen. Der jüngste Sohn schleuderte ihn bis zur Dachrinne, der zweite auf das Dach, der älteste ziemlich weit in's Dach hinein, der alte Zottler warf ihn aber zuletzt mit Leichtigkeit weit über das Dach hinaus. "Jetzt muß ich doch noch selbst gehen", meinte der Alte, machte sofort sich auf, wanderte über die Hochstraße nach Hall und stellte sich den Kampfrichtern. Wie die Haller hörten, der starke Zottler sei da, da entstand ein großer Zusammenlauf auf dem Platze. Der Kampf sollte beginnen. Zottler ließ seinem Gegner die Wahl, ob sie zusammenrennen oder sich sogleich fassen sollten. Letzteres gefiel. Sie umspannten nun einander und Zottler fragte den "Robler": Bist du's? zugleich fieng er an, ein wenig zu drücken. Jener aber antwortete nichts mehr, sondern es quoll ihm das Blut aus Nase und Mund und er fiel todt aus den Armen des Zottler. Er hatte ihm das Herz gesprengt.

Die Haller gaben ihm für diese That sieben Fudermaß Salz, welches, wie sie meinten, er gelegentlich einmal mit einem Fuhrwerke abholen sollte. Zottler aber meinte, er brauche kein Fuhrwerk, er trage es nach Hause, und er fieng an, einen Salzsack nach dem andern sich aufzuladen und machte sich mit dieser Last Wippthaleinwärts.

Die Haller staunten und viel Volk lief dem starken Mann bis außer der Stadt hinaus nach. Zottler, da er sah, daß alle über seine Stärke sich wunderten, nahm lachend eine eiserne Egge, welche auf einem Acker neben dem Wege lag, auf und schwang sie auf die Säcke. So belastet hob er noch häufig Steine auf und warf von den Obstbäumen das Obst herunter, bückte sich und hob es auf. Ohne im Geringsten müde zu sein, gelangte er nach Hochgenain. Aehnliche Kraftstücke soll er sehr oft ausgeführt haben; so z. B. zog er den Pflug meistens selbst, und wenn er eine Mauer machte, so nahm er gleich ganze Felsstücke dazu. In einem Kampfe mit dänischen Kriegern soll er, nachdem er 20 mit seiner Keule erschlagen, gefallen sein. (Schmirn.)

Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 207, S. 120.