Das Venediger-Mannl

In Venedig hält der Teufel bekanntlich förmliche Vorlesungen über das Schatzheben (die Schwarze Schule). Seine Schüler sind als Venediger Mannlen in Tirol allgemein bekannt. In ihrem "Bergspiegel" sehen sie auch die verborgensten Goldklumpen, heben dieselben mit leichter Mühe, wickeln dann sich und die gehobenen Reichtümer in ein schwarzes Tuch ein und fliegen mit ihnen pfeilschnell durch die Luft davon nach Venedig. Andere suchen, als Bettelmännlein verkleidet, nachts auf den Alpen im Steingeröll Goldstufen und goldführende Wässerlein und steigen des Morgens dann mit gefüllten Rucksäcken zu Tal.

Zu einem Bauern in Nauders, der auf einem einsamen Hofe war, kam alljährlich im Juni ein Venediger, der stets die Tracht der Talbewohner trug. Die Bauersleute und die Kinder freuten sich immer auf seine Ankunft, denn er brachte den Kindern oft schöne Spielsachen und bezahlte während der 14 Tage oder 3 Wochen, die er sich dort aufhielt, das Essen und was er sonst brauchte, sehr gut. Täglich mehrmals ging er zum nahen Bächlein, in welchem er "Plederl" (kleine Rinnen) angebracht hatte. Den Knecht wunderte es endlich, was dort der Venediger zu tun habe. Er schlich ihm einmal nach und sah, wie der Venediger Goldsand unter dem "Plederl" hervornahm und ihn an der Sonne trocknete. Da dachte sich der Knecht, das könne nichts Rechtes sein und sagte es dem Bauern. Als der Venediger das nächste Jahr wieder kam, fand er keinen Goldsand mehr und kam von nun ab nie mehr wieder.

Nach längerer Zeit kam der Bauer als Viehhändler einmal nach Venedig. Wie er über den Markusplatz ging und das Gewimmel von Herren und Frauen betrachtete, redete ihn plötzlich ein überaus reich gekleideter Herr an und fragte den Bauer, ob er ihn denn gar nicht mehr kenne. Vor lauter Pracht kannte der Bauer den Venediger nicht mehr. Letzterer gab sich nun zu erkennen, führte ihn in seinen Palast und bewirtete ihn dort fürstlich. Bevor der Bauer Abschied nahm, gab er ihm noch Spielsachen für seine Kinder mit.

Quelle: Dr. Hermann v. Tschiggfrey, Nauders am Reschen-Scheideck, Tirol, Innsbruck 1932, S. 45.