Der Zammer Lochputz

In der Zammerloch-Klamm lebte einst ein alter Schmied. Seine Frau war schon vor vielen Jahren gestorben und das Alleinsein machte ihn zu einem verstockten, hartherzigen Alten. Eines Tages aber sah er beim großen Wasserfall eine wunderschöne Lichtgestalt, die herzergreifend sang - eine Nymphe. Der verstockte alte Mann begann mit dem schönen Fräulein zu reden und erzählte ihr von seiner Einsamkeit. Die gutherzige Wassernymphe zog daraufhin zu dem alten Mann in die Schmiede. So lebten sie viele gemeinsame Jahre in der Zammer Klamm.

alte Schmiede  © Wolfgang Morscher
Die alte Schmiede in der Zammer Klamm, Tirol
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Wolfgang Morscher, 26. Juni 2005

Die Schönheit des Mädchens blieb natürlich von den jungen Burschen der Gegend nicht unbemerkt und viele Brautwerber machten ihr den Hof. Der Hirt der Lochalm hatte sich ebenfalls in sie verliebt und fragte bei dem Schmied um die Hand seiner angenommenen Tochter an. Der Schmied wollte die Nymphe freilich nicht mehr gehen lassen und stellte daher dem Hirten eine Aufabe:

"Wenn Milch mein Wasserrad antreibt
Hirte - dann ist die rechte Zeit."

Gesagt, getan, der Hirte lief zu seinem Vieh auf die Alm und molk so fest es die Kühe und Ziegen vertrugen. Die Milch aber schüttete er in die Thaya-Quellen, die ober dem Zammerlochbach fließen. Und wirklich, am nächsten Tag floß die Milch auf den Schaufelrädern der Schmiede. Die Nymphe freute sich, aber der Schmied wußte schon die nächste Aufgabe:

"Ich bin kein hartherziger Zoch [grober Mann]
beweise den Zammern das Gegenteil
laß sie einen Blick in mein Herz tun!"

Zammer Klamm © Wolfgang Morscher
Blick aus der Klamm nach Zams, Tiroler Oberinntal
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Wolfgang Morscher, 26. Juni 2005

Da war der Hirte ratlos. Wie sollte er etwas beweisen, was nicht der Wahrheit entsprach. - Doch als sich eines seiner Kälber zwischen der Kleinen und der Großen Silberspitz verstiegen hatte, fand er sehr sonderbare Platten. Er nahm von den silberscheinenden Steinplatten und trug sie in seinem Ruckkorb in die Höhle der Zammerloch-Klamm. Dem Schmied aber sagte er, daß er ihm nun sein wahres Ich zeigen werde, er solle ihm nur folgen. Kopfschüttelnd ging der Schmied mit in die Höhle, wo der Hirte die Platten der Silberspitz an den Wänden angebracht hatte. Der Hirte zündete eine Fackel an und ließ den Schmied hineingehen. Wie erschrak er, als er sich im Scheine der Fackel in den Silberplatten widerspiegelte - er erkannte sich als einen hartherzigen Menschen.

Nun stellte der Schmied die letzte Aufgabe:

"Wenn die Sterne im Lochbach zu baden beginnen,
bekommst du die Nymphe zur Frau!"

Blick in den Himmel  © Berit Mrugalska
Blick in den Himmel, am Zammer Wasserfall
© Berit Mrugalska, 26. Juni 2005

Die Nymphe erschrak, denn diese Aufgabe konnt wohl kein Menschenkind erfüllen. Viele Wochen grübelte der Hirte und die Zeit verging. Längst schon hatte er sein Vieh ins Tal getrieben, da saß er eines Abends in der kalten Zammer Klamm und wollte noch immer nicht gehen, Traurigkeit hatte ihn überfallen. Er nahm seine Flöte und spielte für sich und für die Nymphe, er spielte für die Sterne und vergaß die Zeit. So wurde es Nacht und der Hirte spielte noch immer. Da stiegen die Sterne herab zu dem Hirten in die Klamm und am nächsten Morgen staunte der Schmied mit offenen Mund, als er die Sterne in dem gefrorenen Wasserfall blitzen sah. Nun mußte er die Nymphe freigeben, im Langes [Frühling] sollen sie Hochzeit halten dürfen.

Wasserschleier © Wolfgang Morscher
Funkelnder Wasserschleier in der Zammerloch-Klamm, Zams
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Wolfgang Morscher, 26. Juni 2005

Auch diese Zeitdes Wartens mußten die Liebenden überstehen und als die ersten Strahlen der Frühlingssonne hervorkamen, machte sich der Hirt auf den Weg zu seiner Angebeteten. Der Schmied aber wollte sein Versprechen nicht halten und hatte die Hängebrücke in der Klamm angeschnitten. Der Hirt kam nichtsahnend daher und stürzte tief in die Klamm. Der Himmel verdunkelte sich, ein Blitz zuckte und der Stier im Stalle des Schmieds schrie auf. Den Hirten aber hat es in einen Stierkopf aus Stein, hoch oben in der Zammer Klamm verwandelt. Die Schmiede brannte bis auf die Grundmauern ab und die Nymphe hat sich ebenfalls in die hintere Klamm zurückgezogen. Dort sind sie jetzt vereint beisammen, der Hirt und die Nymphe. Und manche meinen den Stierkopf und einen wunderschönen Mädchenkopf in der Felsenwand, dort wo sie am schmalsten und am steilsten ist, gesehen zu haben.

Nymphe und Stierkopf © Berit Mrugalska
Die Nymphe im markanten Profil unten, der Hirte als Stierkopf ihr gegenüber
© Berit Mrugalska, 26. Juni 2005

Quelle: Frei von SAGEN.at nacherzählt, vgl. Der Zammer Lochputz, Kunstsage von Chr. Stefaner 2004