DIE SAGE VOM BLASIGN MARTIN

Als Blasign Martin, Bauer in Gurgl, noch jung war, hütete er drüben im Schnals. Als er einmal neben dem Wege saß und schnitzte, ging ein Geistlicher vorüber, blieb stehen und fragte ihn, was er da mache. Hüten und schnitzen" war die Antwort. Tust du auch manchmal beten?" fragte daraufhin der Priester. Ja, bisweilen beten und bisweilen schänden" (fluchen). Höre", sagte der Geistliche daraufhin : Du mußt täglich zur Muttergottes drei Vaterunser beten, denn du wirst dreimal in Lebensgefahr kommen und wenn du das betest, wie ich sage, wirst du alle dreimal entrinnen." Martin hat nie erfahren können, wer der Geistliche gewesen ist, auch wollte niemand um diese Zeit einen Geistlichen in dieser Gegend gesehen haben. Aber Martin merkte sich die Ermahnung des Priesters gut und betete getreulich alle Tage die drei Vaterunser zu Ehren der Mutter Gottes. Und wirklich nicht umsonst. Denn einmal kam er innerhalb der Gurgler Säge unter eine Lawine und entkam glücklich. Ein andermal ging er mit mehreren anderen über das Timmlsjoch, geriet in eine Lawine und kam wieder gut davon. Am knappesten ging es aber das drittemal an sein Leben und seine Rettung war wunderbar. Außerhalb der Hohen Brücke" war eine Lawine in die Ache niedergefahren und hatte das Wasser gestaut. In der Nähe war ein großer Stock Holz. Martin ging nun einmal mit anderen Leuten nach Sölden, sah den Stock und wollte ihn ins Wasser werfen, ließ sich aber von seinen Begleitern durch die Vorstellung abwendig machen, er könnte dabei selbst ins Wasser geraten und verunglücken. Als ihn auf dem Heimwege dieselbe Versuchung befiel, konnte er nicht mehr widerstehen, mochten die anderen sagen was sie wollten. Und wirklich geriet er mit dem Holzstock ins Wasser und unter die Schneedecke der Lawine. Drei Tage lang suchten viele Leute ihn zu befreien, sogar von Sölden herein kamen Leute, um an der Rettung teilzunehmen. Man hatte längst schon die Hoffnung aufgeben, Martin noch am Leben zu finden; doch am dritten Tage fand man ihn unter der Lawine über dem Wasser auf dem verhängnisvollen Holzstocke. Dieses Unglück hatte ein Müller, der außerhalb Pill in der Mühle am Bache mahlte, vorausgesehen. Er hörte nämlich öfters an jener Stelle, wo später Blasign Martin dieses Unglück ereilte, lärmen, viele Leute um Hilfe rufen usw. Der Müller sagte oft: Da draußen wird noch einmal ein großes Unglück geschehen." (Die Mühle ist später abgebrannt und wurde nicht mehr aufgebaut.)

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 129 f.
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997