DAS WILDE MANDL

Zwei Wildschützen kamen einmal, nachdem sie ihr Tagwerk vollendet hatten, in einer Alphütte an und legten sich ins Heu, da den Sennern zur Lagerstätte gedient hatte. Zwei Jagdhunde, von denen einer den anderen an Größe weit übertraf, waren ihre Begleiter und hatten sich ebenfalls im Heu geborgen.

Ihre Augenlider waren noch nicht geschlossen, als ein starkes Klopfen an die zugelehnte Tür ertönte. Eine Stimme ließ sich hören, welche um Einlaß bat. Auf die Zusage der Jäger erwiderte der Bittende: Aber ich getraue mich nicht vor den Hunden, hängt sie daher an, damit ich hineingehen kann."

Davon wollten die Jäger nichts wissen, weil sie im Falle der Not an den starken Begleitern mächtige Schützer hatten. Hängt sie doch an, da habt ihr ein Band. Ich kann es in der kalten Nacht auf ferner Weiter nicht aushalten." Mit diesen Worten langte er eine schmale Schnur bei der etwas geöffneten Türe herein. Die Jäger nahmen das Band in Empfang befestigten aber nur den kleinen Hund daran und bedeuteten dem zudringlichen Fremden, er möge jetzt nur herein gehen.

Da zeigte sich ein kurzes Männchen, schoß mit Blitzesschnelle auf einen der Jäger und wollte ihn erwürgen. Wie dies der große Hund sah, sprang er wütend auf das Mandl los, packte es und riß es vom bedrohten Jäger weg. Das Mandl balgte sich mit dem Hund herum, zieht zur Tür hinaus, während der Hund unablässig an ihm zerrte und biß.

Noch in weiter Entfernung hörten die Jäger bald den Hund winseln, bald das Mandl schreien, bis das Geschrei und Gebell in der dunklen Nacht verstummte.

Nach etlichen Tagen kam der Hund in einem elenden Zustand zurück und krepierte bald darauf. Den kleinen Jagdhund, welchen sie am Zauberband festgemacht hatten, vermochten sie auf keine Weise mehr wegzubringen.

Haid, Hans, Unveröffentlichte Sagen aus dem Ötztal, in: Tiroler Heimatblätter, 45. Jg., Heft 4-6, 1970, S. 65 f.
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997