DIE HÖLLENTÜR

Nahe bei Tumpen zeigt man am Fuße der Engelswand eine schwarze, mäßige Vertiefung, die sich wie eine große Doppeltüre ausnimmt und die Höllentür genannt wird. Darüber wußten die Alten wie folgt zu erzählen:

Vor vielen, vielen Jahren kam ein Fuhrmann, der von Längenfeld nach Hall fuhr, spät abends bei der Engelswand vorbei. Von ferne schon hörte er laut rufen und schreien: Auf, auf! Es kommt die Rößlerin von Hall!" Verwundert und voll Schrecken blickte er auf die Wand hin und sah dort ein großes Eisentor weit geöffnet. Plötzlich sauste durch die Luft ein feuriges Schwein daher, auf dem eine Weibsperson saß, und fuhr durch das Tor in die Wand hinein. Sofort wurde die Tür mit Krachen zugeschlagen und jede Spur war verschwunden. Der Fuhrmann fuhr weiter, um seine Geschäfte zu erledigen. Doch vergaß er dieses Erlebnis keineswegs. Als er in Hall angekommen war, frug er nach der Rößlerin und es wurde ihm gesagt, daß sie gestorben sein. Durch genaues Fragen kam er darauf, daß sie gerade zur selben Zeit, in der er bei der Engelswand vorbei gefahren war, ihr Leben beendet habe.

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Ein Imster, der in später Nacht bei der Engelswand vorbeiging, sah vor dem Felsen eine Menge Leute stehen, die laut schrien und großen Lärm machten. Plötzlich öffnete sich das Tor, das Feuer luckte und schlug beim selben heraus und die versammelte Volksmenge war hinein verschwunden.

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Eines Abends ging ein Viehdoktor bei der Engelswand vorbei. Da hörte er eine befehlende Stimme: Lauf! Lauf! Schnell aus dem Wege!" Er achtete es aber nicht und ging etwa zwanzig Schritte weiter. Da rief es wieder: Lauf! Lauf! Schnell aus dem Wege!" Da ging er aus dem Wege und sah, wie ein feuriger Wagen so schnell vorbeirollte, daß ihn kein Vogel im schnellsten Fluge hätte einholen können. Dann öffnete sich das Tor der Engelswand, der Wagen fuhr hinein und das Tor schlug heftig zu.

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Alte Leute erzählten auch, daß von der Engels wand bis zur Martinswand bei Zirl ein feuriger Gang gehe. Setzt sich jemand auf die Höllentür und flucht, dann kommt der Teufel heraus und fährt mit dem Fluchenden durch das Tor geradewegs in die Hölle.


2. Noch Unheimlicheres gewahrte einst ein Imster Bauer, der zur Nachtzeit an der Engelswand vorüberkam. Er sah viele, viele Menschen vor dem Felsen stehen, die einen ungeheuren Lärm machten und laut schrien. Auf einmal öffnete sich das Eisentor in der Wand, eine mächtige Flamme schlug aus dem Felsen und verschlang die Menschenmenge, von der keine Spur mehr zu sehen war.

So vermutet das Volk hinter der Engelswand ein unterirdisches, unlöschbares Feuer; manche meinen sogar, daß von der Engelswand tief unter der Erdoberfläche ein feuriger Gang bis zur Martinswand führt.

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3. Eines abends ging der Viehdoktor an der Engelswand vorbei. Da hörte er eine befehlende Stimme laut schreien:

"Lauf, lauf schnell aus dem Wege!" Da trat er neben den Weg und da sauste ein feuriger Wagen an ihm so schnell vorbei, daß ihn kein Vogel im schnellsten Flug hätte einholen können. Da öffnete sich das Tor der Engelswand, der Wagen fuhr hinein und die Höllentür schlug mit Krachen zu.

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 161 f.
Quelle 2: Paulin, Karl, Sagen aus Tirol, Innsbruck 1948, S. 178
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997
Quelle 3: Oetztaler Talkunde, Josef Pienz, Imst 1963, S. 57