DIE KECKE MOIDL

Auf einem Bauernhof in der Nähe von Ötz lebte eine fleißige, arbeitsame Dienstmagd. Sie war sehr arm und schon seit 28 Jahren beim gleichen Bauern im Dienst. Einmal im Spätherbst - es mag gegen 100 Jahre her sein - half sie beim Nachbarn Türken ausmachen". Dieses Geschäft besorgt man gewöhnlich abends bei Branntwein in lustiger Gesellschaft. Da wird gesungen, erzählt, gelacht und sonstige Kurzweil getrieben. In der Seigner Alm droben ist eine Hütte, in der ein Geist haust. Man hört ihn oft bis ins Tal herunter Vieh zusammentreiben. Es getraut sich niemand bei Nacht über diese Alm zugehen, schon gar nicht in der Geisterhütte zu übernachten." So erzählte ein Bursch in jener Nacht; Ich wette zwei blanke Goldtaler, daß sich im Dorfe niemand findet, der es wagt, in der Nacht aus jener Hütte die Milchseihe zu holen." Da sagte die Magd Moidl: Zwei Goldtaler in einer Nacht, das wäre was für meinen Geldbeutel! Ich hole in der nächsten Nacht die Seihe". Der Bursche nimmt die zwei Taler aus dem Sack, die Moidl schlägt ein und der Handel war geschlossen.

Am nächsten Abend nahm die Moidl eine Flasche Milch, ein Stücklein Brot, den Hund, Bergstock, Stricke und den Rosenkranz zur Hand. Der Bauer wollte sie nicht gehen lassen, doch sie verachtete alle Warnungen und ging los. Als sie das Haus verließ, schlug es gerade neun Uhr. Als sie um elf Uhr zur Holzgrenze in der Nähe der Geisterhütte kam, fing der Moidl das Herz gewaltig zu pochen an, sogar der Hund, Donau" gerufen, lief ihr davon. Das ist ein Hund, ich aber bin ein Mensch", sagte die schneidige Dirn und schritt der Hütte zu. Dabei suchte sie noch Holz zusammen, um Feuer machen zu können. Sie macht die Hüttentür auf, geht in den Gaden, nimmt die Milchseihe, macht Feuer, um sich eine Milchsuppe zu kochen. Da geht draußen auf einmal ein Schreien und Schimpfen los, als ob es donnerte. Der Geist sammelte seine Herde und trieb sie zur Hütte. Da bekam die Moidl große Angst; die Milch lief über, sie griff zur Seihe und wollte bei der Türe hinausfliehen. Doch sie kam nicht so weit; die Türe sprang auf und herein kam ein großer, unheimlicher Mann mit einem wilden Bart und zwei großen, wie Kohlen glühenden Augen. Die Moidl sprang zurück und versteckte sich hinter dem Kessel in einem Winkel. Der Unheimliche setzte sich neben sie hin. So saßen sie lange nebeneinander, die zitternde Dirn und das große, unheimliche Gespenst. In ihrer Todesangst drückte sie dann den Geist plötzlich zur Seite, sprang auf, zur Tür hinaus und hinunter über die Alm, über Stock und Stein, und der Geist wie die wilde Jagd hinter ihr her mit schrecklichem Gebrüll. Als sie zur Waldgrenze kamen, drehte sich die kecke Moidl um und machte das Kreuzzeichen. Da war das Gespenst verschwunden. Um fünf Uhr morgens kam sie todmüde und krank nach Hause, lag drei Monate im Bett, bis sie der Tod von ihren Schmerzen erlöste.

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 171
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997