HEXENMEISTER DORIS

Vom Hexenmeister Doris erzählen sich die Leute heute noch viele, sehr merkwürdige Geschichten, wenn es auch schon bald 200 Jahre her sind, daß er gelebt hat. In der Jugend soll er einige Jahre das Studieren versucht haben. Er blieb dann in seiner Heimat Vent und wurde dort als Mesner angestellt. Nebenbei aber trieb er allerhand sonstiges Handwerk, besonders die Jägerei. Daß er auf der Jagd mehr ausrichte, wollte er mit dem Teufel einen Bund schließen. Er beschwor also den Teufel, und richtig erschien er ihm. Doch der Teufel schloß nicht so schnell den verlangten Bund. Der Doris durfte ein Jahr lang gar nichts beten, dann aber zur Kommunion gehen und eine hl. Hostie unter die Achsel nehmen. Er tat alles genau wie ihm geheißen war. Die Hostie aber wuchs ihm unter der Achsel ins Fleisch ein. Der Höllische aber verschaffte seinem Lehrling noch ein dickes Zauberbuch und der verderbliche Bund war geschlossen. Von da ab widmete der Doris sein ganzes Leben der Hexerei.

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Als Jäger hatte er unglaubliche Erfolge. Die wilden Schneehühner, die nur hoch oben auf schroffen Felsen hausen, fing er ohne jegliche Mühe auf dem Dachboden seines Hauses. Von der Gemsjagd ging er nie ohne Beute heim. Das war alles seiner Zauberkunst zuzuschreiben. Sah der Doris eine Gemse, sprach er seinen Zauberspruch und das Tier war auf der Stelle festgebannt, solange er wollte. So konnte er in aller Ruhe das Tier abschießen.

Jedermann in Vent wußte vom Jagdglück des Doris. Nur der Geistliche wollte nicht recht daran glauben und bat den Jäger einmal, er möge ihm morgen eine Gemse bringen. Richtig schoß er am nächsten Tage eine Gemse und brachte sie dem Kuraten. Diesem kam die Geschichte nicht ganz geheuer vor und da er Zauberei vermutete, bat er den Doris, er solle ihn einmal mit auf die Jagd gehen lasen. Der Doris sagte zu und so gingen sie eines Tages mitsammen zu Berge. Als sie die erste Gemse sahen, blieb diese wie angewurzelt stehen. Der Zauberer nahm sein Gewehr von der Schulter und legte an. Der Geistliche, der den Vorgang ganz genau beobachten wollte, legte sich vor ihm hin. Da sagte der Hexenmeister, er solle sich hinter ihm niederknien und ihm über die Achsel hinaus auf die Gemse schauen. Der Kurat änderte seine Lage, wie ihm geheißen, und da sah er, wie der Teufel bei der Gemse stand und sie an den Hörnern festhielt.

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Der Doris bannte aber nicht nur Tiere, sondern auch Menschen. Besonders abgesehen hatte er es auf die Kirchgänger. Nicht nur einzelne Menschen, sondern auch mehrere zusammen vermochte er zu stellen. Die armen Gestellten mußten dann solange auf demselben Fleck stehen bleiben, bis der Hexenmeister den Bann wieder löste. Sein bestes Stück führte er einmal drüben im Schnalser Tale auf. Dort bannte er auf der Straße einmal einen ganzen Kreuzzug. Wenn ihm das Auflösen des Bannes bei einzelnen Menschen schon schwer wurde, da wäre es ihm beinahe nicht mehr gelungen. Lange mußte er sich abmühen, viele Zaubersprüche sagen, bis es ihm gelang, den Kreuzzug wieder gehen zu lassen. Gerade wenn der Doris Kirchgänger oder sonst betende Leute gestellt hatte, wurde ihm das Anlassen sehr schwer.

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Als der Doris einmal auf Hüben hinausging, wurden ihm dort im Gasthause Socken (Patschen) gestohlen. Kaum hatte er es bemerkt, bannte er den Dieb. Dieser mußte nun hinter dem Muli, den der Doris am Zaume führte, bis nach Sölden hinein - ein Weg von zwei Stunden - nachtappen, die gestohlenen Socken mußte er dabei immer in der Hand halten. Erst in Sölden ließ er den Dieb wieder frei. Der Doris verstand sich auch aufs Prophezeien: drei Dinge sagte er voraus: In Winterstall wird einmal im Kirchlein Messe gelesen, in Vent wird man aufeinander schießen und das dritte weiß ich nicht mehr. Er verstand auch noch andere Zauberkunststücke. So konnte er sich selbst verwandeln. So verzauberte sich der Doris selbst einmal oberhalb Rofen in einen moosigen Opn (Mooshügel). Da er lange nicht zum Vorschein kam, gingen seine Nachbarn von Vent in der Furcht, es sei ihm ein Unglück zugestoßen, auf die Suche. Sie schritten dabei über den Verzauberten ahnungslos hinweg. Später sagte der Doris einmal, alles andere habe ihm damals nichts getan, nur das habe ihm Schmerzen am Rücken gemacht, als die Suchenden mit Steigeisen an den Schuhen auf ihm gegangen seien.

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Als er einmal an einem Hohen Frauentage (Fest Maria Himmelfahrt, 15. August) nicht in die Kirche ging, sondern irgendwo im Niedertale drin Gemsen nachstieg, sank er auf dem Heimwege in dem aperen steinigen Boden bis zu den Knien herauf bei jedem Schritte ein. Einmal war er mit mehreren Männern bei der Holzarbeit im Walde. Sie wollten Tabak schneiden, aber sie fanden nirgends ein Brett oder sonst eine geeignete Unterlage. Da stülpte der Hexenmeister seine Hose über die Knie und schnitt auf der nackten Haut den Tabak auf ohne sich zu verletzen. Der Doris wurde sehr alt. Erst vor seinem Sterben dachte er an die Ewigkeit. Er lag auf der Stadeltenne und wollte sterben. Schwarze Katzen strichen fortwährend um sein Lager herum. Da wurde dem alten Sünder angst und bang vor dem Augenblick, in dem der Teufel, dem er ja seine Seele verschrieben hatte, ihn mit ins höllische Feuer nehmen werde. In seiner Angst rief er nach dem Geistlichen. Der Doris erzählte ihm alles, wie er den Bund mit dem Teufel geschlossen und was er sonst noch Böses verübt habe. Er vergaß aber dabei das Hexenbuch zu erwähnen. Der Geistliche sagte, er könne den verfluchten Vertrag schon auflösen, wenn er aller Zauberei entsage. Doris tat es. Die hl. Hostie, die ihm unter der Achsel ins Fleisch eingewachsen war, mußte herausgeschnitten werden. Trotz allem wichen die schwarzen Katzen nicht vom Lager des Zauberers. Also war der Bund noch nicht aufgelöst. Da fiel dem Doris ein, daß er noch das Hexenbuch habe. Man brachte das Buch und der Geistliche warf es in das Feuer des Ofens. Das Buch aber flog wieder aus dem Ofen heraus. Erst nach öfteren Versuchen gelang es dem Priester das Zauberbuch im Feuer zu verbrennen. Nun waren die schwarzen Katzen auf einmal nicht mehr da und der Bund zwischen dem Doris und dem Teufel war gelöst. Der alte Hexenmeister söhnte sich nun ganz aus mit Gott und der Kirche und konnte endlich ruhig sterben.

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 124 ff.
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997