IM GSTOAG

Zwischen Habichen und Tumpen muß die Talstraße eine etwa 100 Meter hohe Talstufe überwinden. Die Ache schäumt und rauscht wie echtes Wildwasser über die Abstürze. Diese Steigung nennt man das Gstoag"; sie gilt von jeher als eine nicht ganz geheure Gegend. Manche unheimliche Geschichte hat hier ihren Schauplatz.

Da ging einmal einer bei Nacht mit einem Schuster von Tumpen nach Ötz hinunter. Zuoberst im Gstoag ging der Schuster einmal auf den Wegrand, als ob er jemanden vorbeilassen müßte. Der Begleiter aber sah niemanden. Einige Minuten später machte der Schuster wieder einen Ausweichbogen. Der andere fragte: Wo gehst du hin?" Aber er erhielt keine Antwort. Der Schuster redete überhaupt nichts mehr. Noch ein drittesmal stellte er aus, doch lief er diesmal vor Angst auf die Seite. Erst als sie nach Habichen kamen fing der Schuster zu reden an: Hast du gar nichts gesehen oder gehört?" Nein" sagte der andere, ich habe auf dem ganzen Weg nichts gesehen und nichts gehört!" Wie ich das erstemal ausweichen mußte", sagte darauf der Schuster, kamen drei unheimliche Weiber, die große Packen trugen, uns entgegen und du gingst mitten durch. Das zweitemal sah ich einen ungeheuren Mann quer über den Weg liegen, du bist ruhig darüber geschritten. Das drittemal haben uns vier schwarze Katzen verfolgt."

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 170
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997