MISERE

Als Christus einst als Bettler verkleidet auf der Erde wandelte, kam er zu einem stolzen Bauernhaus. Darin herrschte Übermut und Reichtum und die Bäuerin badete sich anstatt in Wasser in fetter Milch. Dieser Überfluß rührte aber vom Misere her, das auf allen Wiesen und Feldern wuchs und die Kühe milchreich machte. Jesus bat die stolze Bäuerin um ein Almosen, allein umsonst. Er ward mit harten Worten von der Türe gewiesen. Da sprach Christus:

Misere
Wachs unterm Schnee!"

Seitdem verschwand im Tale das isländische Moos und mit ihm der Segen. Es ist nur mehr hoch auf den Bergen zu finden.

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 170
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997