EIN WILDES FRÄULEIN HEIRATET EINEN BAUERN

In Heimbach war ein wildes Fräulein zu einem Bauern gekommen und arbeitete als Magd bei ihm. Da sie so tüchtig und fleißig war und ihr alles so gut von der Hand ging, fragte er sie ums Heiraten. Sie willigte gleich ein, doch stellte sie eine Bedingung: Du darfst nie fragen warum, wenn ich auch etwas tue, was du nicht verstehst." Der junge Bauer versprachs und heiratete voll Freude seine wunderschöne Braut. Einige Jahre ging es ganz gut mitsammen. Der Bauer vermehrte seinen Viehstand, in Feld und Acker, in Stall und Haus hatte er Glück und Stern. Da sagte einmal das wilde Fräulein eines morgens: Heute müssen wir Korn schneiden gehn!" Es war aber erst mitten im Sommer und das Korn noch viel zu wenig reif. Das konnte der Bauer schon gar nicht verstehen und fragte verärgert: Ja aber warum denn?" Da ging das wilde Fräulein sogleich aus dem Haus und niemand sah sie mehr. Der Bauer ging suchen, stieg hinauf in den Wald, rief und schrie nach seinem Weib, sie ließ sich nicht hören und blieb verschwunden.

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 133 f.
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997