DER ZAUBERER VON ÖTZERBERG

In Ötzerberg lebte einmal ein Zauberer. Seine Frau war ihm gestorben und ließ ihn mit einer Stube voll Kinder allein. Eines abends ging er ins Dorf hinunter zur Musikprobe. Auf dem Wege fiel ihm ein, daß er sein Zauberbuch nicht versteckt habe. Das konnte ihm große Verlegenheit und viel Unglück bringen. Wenn man nämlich in einem Zauberbuche las, erschienen gleich eine Menge böser Geister. Von Angst getrieben kehrte der Musikant um und wirklich, als er heimkam, war der ganze Hausgang und die ganze Stube voll schwarzer Teufel und mitten drin schrien seine Kinder. Die bösen Geister wollten nun wissen, warum man sie gerufen habe. Der Zauberer war um eine Aufgabe nicht verlegen. Er hatte am Dachboden ein Star Mohn; den schüttete er aus und befahl den Teufeln die Körnchen zu zählen. Unterdessen mußte er im Buche soweit zurücklesen, wie weit seine Kinder vorwärts gelesen hatten. Als er fertig war, mußten die Höllischen schleunigst verschwinden. Es hätte aber nur mehr einige Augenblicke gedauert, bis die Teufel ihre Aufgabe erfüllt gehabt hätten, dann wäre es dem Zauberer und seinen Kindern wohl schlecht ergangen!

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 174
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997