DIE MILCHNUDELN

Vor vielen, vielen Jahren sammelte ein einfältiger Tobadiller Knabe in dem nahegelegenen Schlosswalde dürres Reisig für die Küche seiner Mutter. Der Junge hatte bald ein Bündel solchen Klauholzes beisammen, lud dasselbe auf den Rücken und trug es, weil ihn der nächste und bequemste Weg so führte, bis zum Schlosse Wiesberg, wo er für einige Augenblicke zu rasten gedachte. Als der Knabe zufällig seine Blicke auf das gegenüberstehende stattliche Schloss warf, fand er dessen Thor geöffnet und bemerkte eine große Pfanne voll Milchnudeln, die im Flure stand. Wie staunte da der gute Knabe und dachte bei sich: "Hätte ich doch einen Löffel bei mir, wie gerne wollte ich mich - ich spüre ja große Esslust - an diesem köstlichen Mahle erquicken !" Nach langer Überlegung, was er doch thun sollte, um von diesen Nudeln essen zu können, beschloss derselbe endlich, hastig nach Hause zu eilen, um sich einen Löffel zu holen. Rasch war er wieder ins Schloss zurückgekehrt, doch jetzt fand er keine Spur mehr von diesen Nudeln. Der Schatz "blühte" eben nur auf kurze Zeit, welche der Knabe nicht zu benützen verstand, um zu Reichthum und Wohlhabenheit zu gelangen.


Quelle: Sagen aus dem Paznaun und dessen Nachbarschaft, Gesammelt und herausgegeben von Christian Hauser, Innsbruck 1894, Nr. 80, Seite 111