Ischgler Weihnachtsbräuche: "Soniklasstab"

Beten und der heilige Nikolaus

In der Weihnachtszeit, und die beginnt schon anfangs Dezember, verraten die Gesichter der Kinder gruselige Neugierde. Diese steigerte sich immer mehr und mehr, je näher das Fest des hl. Nikolaus heranrückte und unser "Saniklasstab" immer geheimnisvoller wurde von den vielen Kerben, Strichen und Kreuzen darauf, die unsere heißen Gebete zum Heiligen dokumentieren sollten. Mit diesem Holzstab hat es folgende Bewandtnis: Nur in einer sehr eng begrenzten Landschaft Tirols, vorwiegend im Paznaun und dort wieder besonders bei den Ischgiern, die mit dem hl. Nikolaus, ihrem Pfarrpatron, auf Du und Du stehen, gibt's einen Brauch, der sonst in Tirol nicht vorkommen soll. Gemeint ist der so genannte "Soniklasstab" ("Son-" = Abkürzung für "sanctus" und Niklas für "Nikolaus"), der im ganzen Tal einen typischen Kinderbrauch um den Nikolaustag darstellt.

Überall sind es mehr oder minder vierkantige Tannenholzstäbe, ungefähr 30-60 cm lang, zwischen 3 und 4 cm breit und tief, in deren Kanten die Kinder die Anzahl und Art der Gebete und guten Werke für den Besuch des hl. Nikolaus einzuschneiden pflegen. Von den vollgebeteten Hölzern, die am Vorabend zwischen die Fenster gestellt wurden, liest der Kinderpatron ab, wie brav und fromm die Kinder gelebt haben, die Gaben fallen danach, sagt man den Kleinen, mehr oder minder reichlich aus; schienen die Leistungen zu gering oder wurden in betrügerischer Absicht falsche Kerben in das Holz geschnitten, dann brachen diese aus, was dem alleswissenden Heiligen nicht entgehen konnte, und dann fielen die Kerbhölzer der Vernichtung durch den Nikolaus anheim, wurden zerbrochen, über einer Kerze angerußt oder die Kanten angebissen.

Dass das Kind bei diesem Nikolausfest leer ausging oder auch nur weniger bekommen habe, gehört zu den Weihnachtsmärchen, wie vieles in dieser besinnlichen Zeit.

Mit geringen Abweichungen galt in allen Talgemeinden eine Kerbe an den Kanten für ein "Vater unser" mit "Ave Maria", ein gerader Strich für das "Glaubensbekenntnis", und ein großes X auf einer Fläche für den Rosenkranz, ein O für das "Schutzengelgebet".

Auch an den Esel des Heiligen, der die Geschenke tragen musste, dachten die Paznauner und deponierten für ihn etwas Heu in den Hausgang.

Quelle: Anna Keller in: 80 Jahre im Paznaun, Dr. Walter Köck, Landeck 2003, S. 246.