Salige Fräulein

Im niederen Talgelände bei Längenfeld im Ötztal gelangt man durch eine Grotte in die Höhle der Saligen Fräulein. Vor derselben saß einmal im schönen Mai ein junger Hirte und kochte sich sein Mittagsmahl. Als er die Glocken von Längenfeld herüberläuten hörte, kniete er zum Beten nieder und stieß dabei aus Unvorsichtigkeit seinen Kochtopf um. Plötzlich nahte sich ihm ein Saliges Fräulein, gab ihm frische, sehr köstlich schmeckende Speise und führte ihn in ihr wundersames Felsenschloß. Dort wurde er von einer großen Schar der anderen Saugen Frauen auf das freundlichste bewillkommt und zu öfterem Besuch bei ihnen eingeladen, davon er jedoch keinem Menschen etwas wissen oder verlauten lassen dürfe. Auch ward ihm strengstens von ihnen verboten auf Gemsen zu jagen.

Endlich einmal nach langer Zeit verriet der Bursche seinem Vater durch ein angedeutetes Wort, wie es mit ihm und den Saugen Frauen stehe, und von dieser Stunde an war für ihn der Berg verschlossen; da half kein Bitten und half kein Klagen. Um dafür Rache zu nehmen an seinem - wie er meinte - treulosen Saligen Fräulein, ging der verblendete Bursche auf eine Gemsjagd, verfolgte und schoß auf ein Tier. Kaum aber war das getan, so stand das Salige Fräulein vor ihm und schaute, das gehetzte Tier schützend, den Jäger gar freundlich aber wehmütig an und verzaubert von ihrem Blick stürzte derselbe in den Abgrund.

Quelle: Salige Fräulein, Von einer Duxerin, 1847, Eduard Ille: Büschelzuig aus Tirol, ZfVk. 8, 1898, 323, zit. nach Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 255, S. 139f