Schätze blühen

Wohl kaum ein anderer Zweig des Tiroler Volksglaubens mag in früheren Zeiten die innersten Gemüter der Landbevölkerung so gefangengehalten haben, als der Glaube an das Vorhandensein unterirdischer Schätze und der sie hütenden armen Seelen, kurzweg Schatzhüter genannt, die oft mit dem Blühen des Schatzes für den Menschen sichtbar werden und dann erlöst werden können, falls sie überhaupt zu erlösen sind. Manchmal übernimmt die Rolle des Schatzhüters jedoch auch der Teufel und sein Anhang.

Gewöhnlich blüht der Schatz in so unscheinbarer Weise, daß er von den Glücklichen, die die Gnade hätten ihn zu heben, nicht als solcher erkannt wird. Manchmal blüht er freilich auch in seiner ganzen strahlenden Pracht, oder es lodert von der Stelle, wo er liegt, eine gewaltige Feuersäule empor.

Ein alter Wurzelgräber aus Thaur bei Hall erinnert sich noch gut, wie seine Mutter, wenn ein schönes Abendrot vom Oberland herüberleuchtete, den Kindern zugerufen hat:

Schauts, Kinder, wia 's Arz blieht!
[Schauts, Kinder, wie das Erz blüht]

Nur an einem einzigen Tag im Jahre blühen alle Schätze zugleich und können von denjenigen Menschen gehoben werden, welche sich in ihrer Nähe befinden, nämlich am Johannistag um zwölf Uhr mittags, während des Betläutens. Weil es nun aber dem Menschen bestimmt ist, sich im Schweiße des Angesichts sein Brot zu verdienen und nicht in so leichter Weise in den Besitz von Reichtümern zu kommen, mahnten an jenem Tage mittags nur drei kurze Glockenschläge zum Gebet. Das war nun freilich eine zu kurze Zeit, um viel auszurichten.

Will man aber den Schatz zu einer anderen Zeit heben, besonders wenn er nicht gerade blüht, so ist dies meist ein vergebliches Beginnen, vor allem weil die Hebung des Schatzes unter tiefem Schweigen vor sich gehen muß und immer irgendein Umstand eintritt, der den Schatzheber unwillkürlich zum Sprechen veranlaßt.

Das haben auch der Pfeifer Seppele und sein Bruder, der Hansel von der Höll (einem Weiler oberhalb Pfaffenhofen) erfahren müssen, als sie es unternahmen, die bayrische Kriegskasse zu heben. Sie wußten nämlich, daß sie bei der Schöffenkapelle außerhalb Pfaffenhofen vergraben liege und haben sie auch früher einmal am St. Johannistag blühen gesehen. Sie brauchten nicht lange zu graben, da kam ein Taler zum Vorschein.

Do schau hear, meinte der Hansel, den Tholar!

Jetzt war aber der Taler verschwunden und unter der Erde hörte man rumpeln, als ob eine schwere eiserne Cassa in eine furchtbare Tiefe stürzen würde.

Quelle: Schätze blühen, F. Dörler, Schätze und Schatzhüter in Tirol: ZfVk. 4, 1898, 225 zit. nach Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 344, S. 180f