Der Teufel entführt ein Ritterfräulein

Am Ausgang des Zillergrundes steht hoch oben im Bergwald gegenüber Brandberg ein einsamer Weiler, Auf der Burg genannt. Hier soll vor Zeiten eine starke Ritterburg gestanden haben. Der Burgherr hatte eine wunderschöne, aber sehr eigensinnige Tochter, die er oft dringend bat, sich doch einmal zu verheiraten. Viele edle Freier kamen auf die Burg geritten und warben um das Ritterfräulein, aber es paßte ihr keiner und sie erklärte endlich auf neuerliches Drängen seitens des Vaters, sie bleibe ledig, so wahr sie selig werden wolle. Da kam eines Tages ein bildhübscher junger Tagwerker auf das Schloß und bat um eine Stelle als Knecht, die ihm auch bewilligt wurde. Das Ritterfräulein bekam allmählich Gefallen an dem Burschen und beschloß trotz ihres Schwures ihn zu heiraten. Am Vorabend des Hochzeitstages wurde ein glänzendes Fest gefeiert. Die Burg war hell erleuchtet und von fern und nah fanden sich eine Menge Gäste ein. Unter ihnen aber saß ein schwarzgekleideter Mann, von dem niemand wußte, ob er überhaupt eingeladen worden war oder nicht. Er musterte beständig die bunte Gesellschaft und jeden, der ihn sah, überkam ein heimliches Gruseln. Als es zwölf Uhr schlug, bat er die Braut um einen Tanz, drehte sich mit ihr anfangs langsam, dann immer schneller und schneller, zuletzt so geschwind wie ein Dozen, und war dann auf einmal samt der Braut verschwunden.

Selbstverständlich waren Vater und Bräutigam in einer furchtbaren Angst um die Verschwundene und versuchten alles mögliche, um sie ausfindig zu machen, aber alle ihre Bemühungen waren vergebens. Da träumte dem Vater einmal, er solle taleinwärts wandern bis zum Ferner; dort finde er etwas, was ihn sehr freuen werde. Gleich am ändern Morgen machte er sich auf den Weg und traf wirklich im Zillergründl, wo sich das Kees vom Rauchkofel und Kleinspitz gegen den Jochsteig herabsenkt, eine halb verfallene Schäferhütte, die er früher noch nie bemerkt hatte. Wie er aber eintrat, saß bloß ein schieches altes Weib drinnen, das ihn wild anschaute. Der Ritter fragte die Alte, warum sie denn ein solches Gesicht mache, und erzählte ihr von der Entführung seiner Tochter und von seinem Traum. Da sagte das Weib, er solle heimgehen auf seine Burg, sein halbes Vermögen unter die Armen verteilen und dann wieder kommen. Der Ritter tat, wie ihm geraten wurde, und kehrte hierauf zur Hütte zurück. Anstatt der alten Kuntin fand er aber jetzt seine liebliche Tochter, denn der Bann des Teufels war durch die Wohltat des Ritters gebrochen worden.

Quelle: Der Teufel entführt ein Ritterfräulein, Dörler, Tiroler Teufelsglaube, ZfVk. 9, 1899, 263 zit. nach Will-Erich Peuckert, Ostalpensagen, Berlin 1963, Nr. 191, S. 105f