Der Alberer.



Auf der Alm!  Wie anziehend, wie freudig  klingt dieses Wort, wie wohl, wie heimisch  fühlt man sich  in einer Alphütte während der Sommerszeit. In der Vorhütte sitzt man auf dem Herde um das lodernde Feuer, während draußen im Hag das Vieh sein Tagesschläfchen macht und der Senner und die Sennerin in und um die Hütte vollauf mil Arbeit beschäftigt ist. Wenn die Sonne mit ihren glühenden Strahlen hinter den Bergen verschwunden ist und mit ihrem Widerscheine noch die Felsspitzen im Alpenglühen wunderbar beleuchtet, da öffnet der Senner die Hagtür und schreit: "Ho-o - aussi! Gehst Scheck! Wart, Keuschei, du Lump! Obst es geh'n laßt!" Bläh und gmäh das kleine Volk hinten drein, geht es rum und drum wie toll um die Hütte, die Glockenkuh voraus, hinaus in kühler Abendluft auf die Weide. Nun ist Feierabend. Man sitzt auf der Bank vor der Hütte oder  legt  sich  in das  Gras und  schaut hinaus  in die große Bergwelt und hinab in die üppigen Täler von wo das Ave-Maria-Glöcklein heraufklingt; dann und wann kommen aus den benachbarten Hütten Senner und Sennerinnen zum Heimgarten und der Kühbua, dessen ganze Kleidung ein Hemd, ein kurzes Höserl und ein Hut mit einer  langmächtigen  Hahnfeder ausmacht, muß  zu den Hütten über den Graben hinüberjuchzen und dann wird herübergegrüßt.  Wenn etwa gar die Bauerntochter selbst oder sonst ein paar saubere Sommerfrischlerinnen heroben sind,  nun da kommt schon  sonst auch  noch  ein Besuch so ist es im Sommer aus mancher Almhütte lustig.  

Alberer

Wie traurig sieht jedoch eine Almhütte aus, wenn das Vieh abgetrieben ist. So öd und verlassen steht sie da  und die geschlossene Tür und die Fensterln, so lieblich sonst schauen uns jetzt so hohläugig, so traurig an. Oeffnet man die Tür und tritt  ein, so ist alles leer und  still,  es ist kein Leben mehr da. Schaut man hinaus in den langen, düsteren Hag, so ficht man nur durch die vom Sturm zerrütteten Dachschindeln seltsame Lichtstreifen hereinscheinen und man schließt gerne wieder die Tür zu. Wenn man dann zum Uebernachten auf das Heu hinaufgekrochen ist und kann nicht einschlafen, da knistert's und kracht's von dem durchziehenden, fröstelnd kalten Wind, und es ist wahrhaftig so ganz allein recht unheimlich auf einer verlassenen Alpe und wirklich nicht mehr recht geheuer darinnen; denn meistens ist schon der Alberer eingezogen. Wenige Hütten gibt es, wo er nicht im Herbst nach dem Abtrieb des Almviehes seinen Einzug hält. Der Alberer ist ein Berggeist, der im Sommer auf den Almen umgeht und die Almleute und das Almvieh vor den Gefahren, des Abstürzens, des Steinfalles, der Wetter und vor allem Ungemach beschützt und jeden Frevel an einer Almhütte böse rächt. Darum muß man Achtung und Respekt vor einer unbewohnten Almhütte haben, nicht mutwillig einbrechen, nichts in Unordnung bringen, nichts Unrechtes darinnen tun oder gar etwas entwenden; sonst kommt der Alberer und straft fürchterlich. Wenn er böse wird, da entsteht ein Gepolter und ein Rumpeln über dem Dach, als wollte alles zusammenbrechen, und draußen im Hag hört man ein Gebrumm und ein Grunnen, als wäre dieser voll von wildem Vieh. Auch das Läuten der Kühe-und Gaisglocken, Peitschenknall und das Rufen und Schreien der Senner hört man, alles genau so, als würde wirklich von der Alm abgefahren, dann sagt man, der Alberer fährt um. Sieht man Lichter abfahren zu einer Alm, so sagen die Leute, jetzt ist der Alberer eingefahren.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 80
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Juli 2006.
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