Die Bärenstatt.



Dort drüben über dem Hintersteinersee, wo vom dunklen Waldessaum ein weißgetünchtes, die liebliche Landschaft belebendes Kirchlein herübergrüßt, liegt die Bärenstatt. Das Bärental und das Bärenbad im nördlichen Kaiser hängt mit seiner Namensbedeutung wohl mit der Bärenstatt zusammen. Wenn die löblichen Bärenherrschaften zur Zeit ihrer hier noch wenig gestörten Existenz in den Schlupfwinkeln des Bärentales ihr Heim hatten und in Vorder- und Hinterbärenbad je nach Stellung und Stand ihre erster oder zweiter Klasse kühlender Bäder besuchten., so sind sie gewiß hier herüber zur Tafel gegangen, haben da ihre Besuche, welche ihnen drüben in den engen, unwirtschaftlichen Tälern nicht so zugänglich waren wie hier, wo sich eine weite, belebte Alpenwelt öffnet, empfangen und sicherlich auch allergnädigst verspeist. Knapp unter den Wänden des Scheffauer Kaisers breiten sich, gegen die rauhen Nordwinde geschützt, saftig-grüne Feldfluren und blühende Obstbaumgruppen aus, hinter denen die idyllischen Wohnhäuser einladend herausschauen. An ihnen vorbei und längs des Sees dahinwandernd, stets mit dem Blick auf Kitzbühelerhorn und Hohe Salve, erreicht man in drei Viertelstunden das nette Wallfahrtskirchlein mit dem sauberen Gasthause. Gerne hält man hier Einkehr und genießt, in der offenen Veranda sitzend, die wohltuende Ruhe dieses stillen, von der Außenwelt abgeschlossenen Plätzchens. "Wo gehst du hin?" fragte dort einst auf dem Wege eine Bäuerin die andere. "Ich gehe zur Muttergottes in die Bärenstatt" war die Antwort. "Da ist ja unser Herr selbst" entgegnete die erste. "Nachher geh' ich nicht hin," sagte sie, "ich habe über meinen Mann etwas zu klagen, und die Mannsbilder helfen alle zusammen", und kehrte um. Wenn die Bäuerin von der eine halbe Stunde von hier entfernten Scheffau gekommen ist, so gehen wir mit ihr. Wir haben in Bärenstatt den höchsten Punkt unserer Wanderung erreicht, gelangen jetzt auf gut markiertem Weg hinab gegen das Söll-Land, kommen in das sonnig gelegene Bergdörflein Scheffau und von da in einer Stunde nach dem schönen Dorfe Ellmau, wo man die ganze Südseite  des Kaisers überschaut.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 58f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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