Erster Gesang aus dem romantischen Epos "Ein Edelmann"



von Hochw. Herrn M.J. Schweiger, Vikar in Ellmau.

Das Testament.

Die hohen, hohen Berge im Felsenland Tirol
Mit ihren tausend Zinnen, wer mag sie zählen wohl?
Sie ragen auf zum Himmel, das Haupt von Eis umglänzt,
Und dunkle Wälder halten den weiten Fuß umkränzt.

Der Alpen grüne Matten umsäumt der Felsenwall
Und in den Klippen toset der Wasser jäher Fall,
Im freien Hochreviere die flinke Gemse  lebt,
Der weitbeschwingte Adler darob' vorüberschwebt.

Darunter schwingt im Aether der Vöglein bunter Chor
Zur Rechten sich und Linken und nieder und empor.
Das Alphorn begleitet der frohen Senner Sang,
Dazwischen aber klinget der Herden Glockenklang.

Ein wundersam' Empfinden durchhauchet Wald und Hain,
Wie  Zauber zieht's die Seele mit in den Strom hinein.
Die hochgetürmten Ferner umschwebt ein feiner  Duft,
Und wunderbare Klänge ein jeder niederruft.

Mir klang von einem Berge ein Lied aus alter Zeit,
Es spricht von edlen Taten, von Kampf und hartem Leid:
Ja, wie der Alpen Stirne, so kühn und himmelhoch.
War einst der Sinn der Deutschen, o wäre er es noch!

Ich sing' von einem Berge und sag' von einem Schloß,
Ich sing' von einem Ritter auf stahlumhülltem Roß,
Was ist das für ein Berg wohl, was ist das für ein Schloß?
Was ist das für ein Ritter auf stahlumhülltem Roß?

Der Ritter nicht mehr blühet, zerfallen ist sein Haus,
Der Berg sieht noch alleine so ganz wie damals aus,
Er hat viel hundert Zinnen, wie eine Riesenstadt,
Ein Bau, des Meisters würdig, der ihn gegründet hat.

Zwölf Stunden mußt du schreiten, willst du den Fuß umgeh'n.
Und seine innern Räume hat niemand noch gesehn.
Nicht wär es auch zu raten, zu nahen einem Tor,
Der zehn zu seinen Schachten: ein Drache liegt davor.

Und wenn es dir gelänge, den Unhold zu besiegen.
So müßtest du noch fürder mit sieben Riesen kriegen.
Die an der Halle Pforte mit grimmen Speeren schalten
Und an dem Leichenbette des Kaisers Wache halten.

Auf einem Porphyrpfuhle ruht Karl in hoher Hall',
Die Kissen sind Smaragde, die Linnen von Kristall,
Die Kron' hat er am Haupte, das Szepter in der Hand,
Mit dem er einst gewaltet im weiten deutschen Land.

Wenn durch die öden Klüfte die Windlawine brauset
Und dann ihr Widerhallen die Zackenburg umgrauset.
Erhall't ein mächtig Tönen das heißt nach alter Sag'
Um Deutschlands ersten Kaiser di  große  Trauerklag':

O daß nach seinem Herzen der Deutschen Herz und  Will'!
Dann schwiege an dem Berge die Kaiserklage still.
Willst du des Berges Namen? Du kennest ihn ja wohl,
Den tausendtürm'gen „Kaiser", den Markstein von Tirol.

In altersgrauen Tagen sah stolz sein Haupt herab
Wohl auf die Schlösserrunde, die seinen Fuß umgab.
Und haben alle Burgen auch männiglich gefallen,
War doch, von der ich künde, die stolzeste von allen.

Wo sich am Kaiser weitet das grüne Leukental,
Vor seinem Thron ein Teppich mit Blumen sonder Zahl,
Durchrauschet von vier Bächen, gar munteren Gesellen,
Den Höhen erst enteilet in nimmermüden Wellen.

Dort schmiegt sich an den Kaiser ein wellig' Hügelland,
Wie zwischen Tal und  Herrscher zu lieblichem Verband,
Auf einer seiner Höhen — ietzt ist es dort so still -
Lag  einst die Burg die stolze, von der ich sagen will.

Wenn Tal und Firne schweigen in sternenklarer  Nacht,
Ein wunderliches Leben allhie im Kreis erwacht,
Und wer dann sorgsam lauschet, hört all' die Tannen klagen,
Wie schön es hier gewesen in längst entschwund'nen Tagen.

Da noch von dieser Höhe der Velben Edelhaus
Wohl über Flur und  Auen gar stattlich sah hinaus.
Da seine Zinnen blickten hinüber in die Halde,
Die weißen Mauern lugten aus dunklem Fichtenwalde

Rings waren sieben Türme zu starker Wehr und Wache,
Dazwischen sieben Giebel  mit  hochgeschwung'nem Dache,
Die Fallbrück' lag hinüber zum  eingewölbten Tor,
Darüber war der Söller, der Erker trat hervor.

Dort war in Stein gehauen des Hauses Wappenschild:
 Am  reich umsäumten Schilde ein Leu und Taubenbild,
Und mitten aus dem Schlosse stieg auf der Warte Turm,
Er stand so keck und prächtig und spottete dem Sturm.

Das Banner überwehte den feingezackten Rand,
Der Kastellan war oben und  spähte in das Land,
Da sah er auf und nieder des Tages Läng' und Weite,
Ein Hüfthorn hatt' er hängen wohl an der linken Seite.

Und kam aus wälschen Landen der Handelsmann einher.
Die Mäuler hochbeladen mit seinen Waren schwer.
Und kam der Nachbar Bayer von Straubing her mit Korn,
Daß weitum es erhallte, stieß er ins helle Hörn.

Der Schaffner stieg dann nieder, der Händler hielt dann Rast,
Und bot zu schmuckem Kleide Demanten und Damast,
Es füllten sich die  Speicher mit nährendem Getreid',
Von dem dann schöpft der Arme, drückt ihn des Hungers Leid.

So stand die Burg der Velben! Sie war ein starker Schutz,
Auch einem grimmen Feinde zum Spotte und zum Trutz.
So mancher rieb sich mürbe an dieser Burg da oben.
Wer solches Werk geschaffen, den Meister wollt' ich loben!

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 5ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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