Die Goldtrupf und das Venedigermanndl.



Wenn zur selben Zeit, als noch kern Widerhall eines Lokomotivpfiffes von den Wänden des Kaisers gellte, ein Fremder durch das Kaisertal wanderte, so sahen ihm die Leute dort neugierig nach, schüttelten den Kopf und fragten sich, was wohl der da suche und mache. Stieg einer etwa gar in dem Geschröfe des Kaisers herum, so hieß es: nun ja, umsonst plagt sich der Mensch nicht so, der sucht etwas da oben, und das muß etwas Wertvolles sein: denn wegen etwas Geringem gibt man sich solche Mühe nicht. Dazu kam noch, daß manche wissenschaftliche Exkursionen zur Erforschung von Gebirgsformationen und Gesteinsarten unternahmen, eine Beschäftigung, welche die Leute in ihren Meinungen erst recht bestärkte, sodaß mancher Graukopf sich's rundweg nicht nehmen ließ, daß es mit Geschichten wie der nachfolgenden vom Venedigermanndl seine volle Richtigkeit habe.

Da kam nämlich einer, ein ganz besonderes Männlein, der ging ernst und nachdenklich seinen Weg durch das Kaisertal. Mochten die Leute ihn auch anschauen und von ihm reden, er stieg schweigend, kaum' sie beachtend, weiter und hinauf zu den geheimnisvollen Höhen. Er kam alle Jahr und trug jedesmal ein schweres Säcklein, mit herunter und hinaus. Bald hieß es, er komme von Venedig, er wisse da oben im Sonnkaiser eine Goldtrupf, die er natürlich niemanden verrate. Ihn dabei zu belauschen, sei nicht möglich, da er unbemerkt auf einmal im Felsen verschwinde. Auf dieses Gerede hin bekamen die Leute eine gewisse Scheu vor ihm und unfolgsamen Kindern drohte man mit dem Rufe: Es kommt das Venediger-manndl! Daher kam es auch, daß die Kinder, wenn sie ihn kommen sahen, vor ihm davonliefen und sich zu den Leuten und Häusern flüchteten: die Hunde wurden rebellisch und bellten, die Leute wichen ihm aus, was alles er wohl bemerkte und was ihn auch unangenehm berührte.

Goldtrupf

In einem der Gehöfte war ein junges, von Verwandten angenommenes Mädchen. Das Herz, wie man sagt, in den Augen, freundlich und offen gegen jedermann, immer heiteren Sinnes schaute sie mit ihren hellen Aeugelein freien Blickes den Leuten ins Gesicht. Sie pfiff ihren Kühen auf der Weide, sang so schuldlos ihr Liedchen, und war so ein aller Welt liebes Wesen. Wenn die Blitze im grellen Zickzack durch die Lüfte fuhren und der Donner dumpf über die Berge rollte, dann stand sie draußen und sah voll Vergnügen in das tobende Gewitter. Stieg die Sonne glühend rot hinter den Felswänden majestätisch empor, so sah sie, von der Großartigkeit der Natur ergriffen, sinnend in diese Gottesherrlichkeit hinein.

Jedes Blümlein, jeder Strauch, jeder Baum schien mit ihr zu reden. Mit jedem Tierlein am Boden, mit dem flüchtigen Wilde im Gehege, mit den Vöglein in den Lüften, mit allen lebte sie wohlvertraut, sie war mit einem Wort ein Kind der Natur.

Als sie wieder einmal froh und heiter über den Rain in die Höhe auffuhr, da  begegnete ihr das Venedigermanndl. Sie ging frisch auf dasselbe zu und reichte ihm freundlich lachend mit den Worten: "Grüß Gott, Venedigermanndl, wohin?" die Hand entgegen.   Er gab ihr ebenfalls die Hand, schaute erstaunt und befangen in ihre jugendlich leuchtenden Augen und, ohne zu denken, war sein Geheimnis, das er noch keinem Menschen verraten, über seine Lippen gekommen, "Zur Goldtrupf" war seine Antwort. Sie lachte hell auf und sagte: "Da gehe ich mit." "Nun ja, komm," sagte das Goldmanndl und stieg voran, das Mädchen wacker hinten drein; immer höher ging es hinauf durch die Steingrube zur Pyramidenspitze. Von hier aus begann der geheimnisvolle Steig zur Goldtrupf. Sie mochten von der Pyramide weg wohl schon 1 ½  Stunden anstrengend gestiegen sein, als das Venedigermanndl plötzlich stehen blieb und dem Mädchen in einen gähnend tiefen Felsenspalt hinabzeigte. "Hier unten ist die Goldtrupf," sagte er und schaute dem Mädchen ernst in das Gesicht und fragte es prüfend, ob es wohl noch ihr Wille sei, in die Goldtrupf hier so tief hinabsteigen, und ob sie unerschrockenen Mutes sei, den möglicherweise kommenden Gefahren zu begegnen. Zum Großen und Seltsamen war ohnehin ihr Hang und ihre Natur angelegt. Und Gefahren? Dazu erstieg sie ja so manche Höhe, Um solche zu finden, welche ihr eine schauerlich angenehme Empfindung boten, "Ja, ja," sagte sie ungeduldig, "ich habe ein Verlangen darnach, ich, fürchte nichts, komme, was da wolle." Ihre fromme Erziehung lehrte sie jedoch, bei solchem Wagnis sich zu bekreuzen, und während sie ein kleines Schutzgebetlein zum Himmel schickte, zog das Venedigermanndl eine lange, seidene Strickleiter aus einer Kassette, band einen Stein daran, senkte dieselbe in die Tiefe und befestigte sie oben an einem Stifte. Nun stiegen sie in die schauerliche Tiefe hinab. Als sie glücklich den Boden erreicht hatten, gingen sie, das Männlein mit einem seltsamen Lichte voraus, durch einen langen Felsengang tief in den Berg hinein. Auf einmal wurde es lichter und sie standen vor einer steinernen  Schale,  in welche funkelndes Gold  tröpfelte.

Das Männlein füllte einen Becher mit dem Golde und reichte ihn dem Mädchen. Kaum hatte dieses den Becher berührt, war das Männlein zu einem blühenden Jüngling geworden und vor ihnen öffnete sich ein Tor. Sie standen vor einem herrlichen Saale, dessen Kristallwände die Räume blendend hell beleuchteten und wie aus weiter Ferne ertönte eine himmlische Musik.  In der Mitte des Saales stand eine Reihe Bergmännlein zum festlichen Empfange bereit. Das Goldmanndl nahm das Mädchen am Arme, und so schritten sie in deren Mitte und alle verneigten sich. Nun erklärte das Venedigermanndl das Mädchen zu seiner Braut und dieses umarmte in noch nie empfundenem Glück der Liebe den Jüngling zum Zeichen des Bundes. Die Bergmännlein brachten reiche Geschenke an edlen Gesteinen und Gold, dann führten sie die Bergmännleinsbraut gleich einer Königin auf einen Thron; es war ihr, als schwebe sie dahin, als wäre sie kein irdisches Wesen mehr. Die Bergmännlein aber waren erlöst; solange waren sie in den Kaiser gebannt, als einer aus ihnen eine Braut einführe, die so edel und so rein wäre, wie ihr Gold.

In freudigem Jubel zogen sie nun auf des Kaisers Höhen und sangen dort der holden Braut ihre schönsten Lieder. Das Mädchen aber verfiel in einen tiefen Schlaf, und als es erwachte, stand es 'mit seinem jugendlich schönen Bräutigam, mit Schätzen reich beladen, wieder oben vor dem Eingange und zog als glückliche Braut mit ihm, wie die Sage verkündet, nach Venedig.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 77
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Juli 2006.
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