Der schwarze Hund im Hochwinkel.



Es war ein etwas schwüler Sommernachmittag, als zwei marschgewandte Touristen von Hinterbärenbad dem Stripsenjoche zugingen. Auf der Neustadler Lichtung setzten sie sich zur gemütlichen Rast. Max, so hieß der ältere dieser beiden Herren, packte aus seinem Rucksacke etwas Fleisch, Brot und Wein zur Jause aus, und reichte seinem Freunde Karl seinen Feldstecher, während er für sich das Fernrohr zurecht richtete, "Schleppst aber du eine Masse Sachen mit," begann Karl, "wie möchte ich doch so schwer tragen!" "Nun," entgegnete Max, "man weiß nicht, ob man dies oder jenes braucht; hat man es aber nicht, dann entbehrt man es, und das will ich nicht. Nichts tragen, nichts haben, sagt ein Touristensprichwort." "Horch!" fuhr Karl auf, "was war denn das für ein sonderbares Gebell? Nicht Hund, nicht Kalb." "Ei was," sagte Max, ein erfahrener Alpinist, "was wird es denn sein, ein Rehbock ist es, und hier an den Felswänden hallt es halt so sonderbar." "Nein, nein," sagte hinter ihnen eine Stimme. Die beiden Herren sahen sich um, und hinter ihnen stand ein kleines, graues Männlein, das vom Kräutersammeln aus dem Teufelswurzgarten kam. "Nein, nein," sagte das Männlein, "das ist der Metzger von der Wildschönau, der bellt so, den hätten's auch besser drüben behalten können." "Setz dich, Alter," sagten die Herren und legten ihm von dem Proviant vor, "hier nimm und erzähle uns von dem Metzger!" "Ja," sagte das Manndl, seinen Ruckkorb ablegend und sich niedersetzend, "ja, das ist bald erzählt. Der Metzger ist halt ein rechter Vichschinder gewesen und hat die armen Tiere furchtbar gemartert und an ihren Qualen seine Freude gehabt. Aber einmal ist bei jedem Laster das Maß voll, er hat sich bei einer solchen Marterei geschnitten und ist daran unter großen Schmerzen gestorben; dann aber hat er zur Strafe in seiner Fleischbank fortgeistern müssen und hat die ganzen Nächte herumgebellt wie ein Hund, sodaß die Leute keine Ruhe mehr gehabt haben. Was wollten die Leute machen, sie haben halt einen Geistlichen gebeten, daß er ihn aussegnet, und die Leute haben ihm gewünscht, er soll in den Wilden Kaiser verbannt sein. Da haben wir ihn jetzt oben im Hochwinkel und da geht er um als wie ein schwarzer Hund und bellt ganz abscheulich. Aber wissen Sie, den Jägern ist das ganz recht, daß die Leute damit abgeschreckt werden, in den Hochwinkel hinauf zu gehen. Man mag im ganzen Kaiser herumsteigen, wie man will, da sagen sie nichts, aber nur im Hochwinkel, da soll ihnen niemand hinaufsteigen; denn da oben bleiben die Gemsen so gern und da sollen sie ihre Ruhe haben. Einesteils haben sie schon recht, weil gerade da oben die Gemsen sonst in eine andere Jagd versprengt werden; dort kriegen's nachher die Gschwendter, und die sollen alles z'sammschießen, so sagen unsere Jäger, und das wär wohl auch schade, wenn die netten Tierln ausg'rott' würden. O mein Gott, ich bin auch so einer g'wesen; wie ich jung war, bin ich in die Holzarbeit gegangen, aber wie ich auskönnen hab', bin ich halt mit dem Büchs'I g'stiegen, und wo ich ein Schweiferl g'spürt hab', hat es schon mein g'hört, und so bin ich wohl den ganzen Kaiser ausgekommen." "Und von was lebst denn du jetzt?" fragten die Herren. "O jetzt," meinte das Manndl, "geht es mir auch gut, ich sammle, Kräuter, und es gibt immer gute Leute, und wenn man zufrieden ist, hat man gleich genug." "Jetzt b'hüt euch Gott," sagte das Manndl aufstehend und nahm wieder seinen Korb auf den Rücken. Die Herren hatten aus ihrer Börse schon etwas bereitgehalten und drückten es ihm in die Hand, und unter tausend "Vergelt's Gott!" verschwand das Bergmanndl hinter den Bäumen.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 73
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Juli 2006.
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