Das Kaisergebirge und sein Name - der Kaiserkopf und seine Sage.
SAGEN

Wenn der Wanderer in das Land Tirol und da durch jenes herrliche Tal kommt, welches der Inn durchschlängelt, so sieht er dort, wo dieser Fluß sich bald den Bergen entwunden hat, knapp an der bayerischen Grenze mitten im Tal eine hohe Burg aufragen, an die sich, ein niedliches Städtchen anschmiegt. Es ist dieses Kufstein mit seinem munteren Völklein. Hier ist der Haupteingang zu dem Kaisergebirge, jenem majestätischen und sagenhaften Kalkgebirge, welches man, nicht was die Höhe, wohl aber was die abenteuerliche Gestaltung anbelangt, mit Recht den vielgerühmten Dolomiten Südtirols an die Seite stellen kann.

Die Richtung gegen Kufstein ist es jedoch nicht, in der sich dieses Gebirge am schönsten präsentiert, sondern von Süden her, von Kitzbühel, Reit, Oberndorf oder Going und Ellmau aus gesehen, da zeigt es seine formenreichste Gliederung, da steht der "Kaiser" in seiner ganzen, sechs Stunden messenden Länge vor dem Beschauer, und majestätisch  ragen seine  Felsenzinnen himmelan.

Von Süden aus sieht man auch den berühmten Kaiserkopf am deutlichsten. Es braucht keineswegs viel Phantasie, sondern man muß nur aufmerksam gemacht werden, um an diesem zwischen Treffauer und Ellmauer Haltspitze befindlichen Felskopf, hinter dem die "rote Rinne" emporführt, das wirklich edle Profil eines wie im Todesschlummer ruhenden Hauptes zu erkennen, das aber, wenn seine Felsenhöhlungen mit Neuschnee bedeckt sind, mit einem Totenkopfe frappante Aehnlichkeit annimmt. Hier läßt das Volk Kaiser Karl den Großen im Tode ruhen. Die große Kaiserkrone (die in der Tat einer Krone ähnlich sich schief aufbauende Ellmauer Halt) sinkt ihm vom Haupte: die Hände hält er im Tode gefaltet; wie kaiserlicher Hermelin fließen die weißen Schneeflächen hernieder, und die drei Riesen des Treffauers (auf dem Bilde nicht mehr sichtbar) halten ritterliche Wache am kaiserlichen Totenlager. Wenn aber einst das einzige Brünnlein am hohen Grutten zu tropfen aufhört, dann erwacht der gewaltige Kaiser, steht auf und schlägt die große Schlacht, in der er alle seine Feinde überwindet. Es wird überliefert, daß seinerzeit der vorbeireisende Kaiser Karl V. beim Anblick des Kaisergebirges ausgerufen habe: "Lange, wenn ich es nicht mehr bin, wirst du noch, Kaiser sein!", und als im Jahre 1665 Kaiser Leopold sich in St. Johann aufhielt, habe der Erzbischof von Salzburg zu ihm geäußert, er wisse einen anderen, noch größeren Kaiser, und auf die verblüffte Frage des Kaisers habe er nach dem Gebirge gezeigt, worüber sich Leopold höchlichst ergötzte. Hängt nun der Name des Gebirges wirklich mit dem jener höchsten weltlichen Würde zusammen, wie in diesen Anekdoten als selbstverständlich vorausgesetzt ist? Es hat an verschiedenen Versuchen, ihn anders zu erklären, nicht gefehlt. Man hat ein windisches (slawisches) Wort "koza" -- Gemse zur Erklärung des Namens herangezogen, hat ihn keltisch abzuleiten gesucht, indem man ihm die angeblich keltischen Wurzeln "caid" (mit gezischtem d) - Berg und "er" -- groß zugrunde legte, ihn also als "großer Berg" übersetzte: Man hat auf die Möglichkeit hingewiesen, daß der auf der Südseite zu beobachtende Kaiserkopf, den die einen auf Karl den Großen, andere auf Kaiser Max und wieder andere auf Franz I. beziehen, namengebend gewirkt habe: Man hat endlich den Kaiserberg als Kaserberg gedeutet. Von diesen Erklärungsversuchen ist offenbar der letztgenannte am ernstesten zu nehmen. Ja, er hat etwas recht Bestechendes an sich, wenn man bedenkt, daß das Gebirge tatsächlich durch eine bedeutende, uralte Almwirtschaft ausgezeichnet ist und es früher in noch höherem Grade war, daß es insbesondere vom Inntale aus geradezu als das Almgebirge der Gegend erscheint und anderwärts die Entstehung gleicher Namen aus Kaser erwiesen ist. Anderseits aber widerstrebt diese Erklärung bei unserm Kaiser nicht nur die mundartliche Aussprache, sondern vor allem der etymologisch entscheidende Umstand, daß schon die ältesten Vorkommnisse und alle die zahllosen Ableitungen und Zusammensetzungen des Namens nur die Formen Kaiser oder Kayser aufweisen. Nicht eine einzige Ausnahme ist zu verzeichnen. Hingegen spricht alles dafür, daß unser Gebirge einstmals kaiserliches Gut gewesen und daß die Volksüberlieferung, wie so oft, vielleicht auch in diesem Falle auf Wahrheit beruhe, wenn sie an einen Zusammenhang mit Karl dem Großen glaubt. Man braucht gar nicht, wie es geschah, anzunehmen; daß dieser große Volkskaiser persönlich im Gebirge gewesen sei — wofür jeder Schatten von Beweis fehlt — und die Namen Karlspitzen, Scharllngerboden (Scharlinger -  Karlinger!), Kaiserfelden und Edelfelden unmittelbar auf seine jagdliche Betätigung daselbst zurückzuführen seien, sondern es genügt, daß das Klaisergebirge als unbewohnte Wildnis zum agilolfingischen Herzogsgute gehörte und nach dem Sturze der Agilolfinger an den neuen Landesherrn, eben Karl den Großen, den nachmaligen Kaiser, überging. Ob es dann später im unmittelbaren Besitz der königlichen und kaiserlichen Rechtsnachfolger Karls blieb oder den bayerischen Herzogen, deren übrigens manche zugleich Kaiser waren, als Lehen übertragen wurde, beziehungsweise sich in ihr Krongut verwandelte, bis durch den Uebergang des ganzen Landesteiles an das Haus Habsburg unter Maximilian neuerdings der Fall eintrat, daß Reichsober-haupt und engerer Landesfürst ein und dieselbe Person waren, das gibt bei der sehr früh vollzogenen Namensbildung keinen Ausschlag mehr. Die Bauern des Kaisertales konnten sich noch Ende des Mittelalters darauf berufen, daß der Kaiser ein "freies Gebirge des Kaisers" sei; in späteren Akten wird wiederholt betont, daß der Wald im Kaiser unmittelbar dem Landesfürsten gehöre, und bis in die Neuzeit herein findet sich der amtliche Ausdruck "Gebirge des Kaisers" für unser Gebirge, Das alles zusammengenommen, zwingt förmlich zu dem Schlusse, daß das Kaisergebirge einst kaiserliches Krongut gewesen und diesem Umstand  den Ursprung  seines Namens verdankt.


Kaiserkopf
Der Kaiserkopf und die Ellmauer Kaltspitze

Doch kehren wir wieder zum freundlichen Städtchen Kufstein zurück.  Wenn auch hier zunächst nur der "Hinterkaiser" mit seinen Höhen sichtbar ist und neidische Vorberge den herrlichen Aufbau des  "Wilden Kaisers" verdecken, so ist doch diese alte Grenzveste der Ort, von dort aus am häufigsten und auch am verhältnismäßig leichtesten Touren in dieses herrliche Gebirge unternommen werden. Von hier aus besucht der minder geübte Bergfreund die aussichtsreichen Höhen des' Zahmen Kaisers und von hier aus rückt der kühne Hochtourist mit Eisen, Seil und Pickel dem Wilden Kaiser und seinen trotzigen Hochburgen an den Leib. Durch mehrere Unterkunftshütten und zahlreiche Wegbauten ist der Zugang gegen früher bedeutend erleichtert.

Im Gebiete des Zahmen Kaisers finden wir an dessen Südseite das Unterkunftshaus Vorderkaiserfelden, welches 1901 Von der Sektion Oberland-München angekauft wurde und im Laufe der Zeit vergrößert wurde.
Im Norden des Wilden Kaisers, unmittelbar am Fuße des  Haltstockes, steht das  der rührigen Sektion Kufstein gehörige, stattliche Unterkunftshaus Hinterbärenbad, zu dem ein ausgedehntes Wegnetz den Zugang vermittelt. Weiter im Osten über dem Stripsenjoche liegt unter den Steilwänden des Griesener Kars die zu einer Unterkunftshütte, umgewandelte und im Privatbesitz befindliche Griesener Alm.

Am Südhange des Wilden Kaisers findet sich in nächster Nähe der Wochenbrunner Alpe die Gaudeamus-Hütte der Akademischen Sektion Berlin und nicht weit davon entfernt, aber bedeutend höher gelegen, die reizende Gruttenhütte des Münchener Turner-Alpenkränzchens. Auch hier sind vonseiten des Turner-Alpenkränzchens mehrfache Wegbauten zum Teil bereits fertiggestellt, zum Teil noch in Ausführung begriffen. Im Felsenzirkus des Griesener Kars bietet die Fritz-Pflaum-Hütte der Sektion Bayerland beschränkte Unterkunft.

Von Kufstein aus unternimmt man auch in der Regel den hochinteressanten Uebergang über das Stripsenjoch, welcher zu den herrlichsten Gebirgstouren zählt und dank der vortrefflichen Weganlage der Sektion Kufstein auch von Ungeübten ausgeführt werden kann.

Und so wollen auch wir vom schmucken Städtchen am Fuße der alten Geroldsecker Burg unseren Rundgang beginnen und mit Wahrheit und Dichtung, mit Sagen und Märlein und mit Schilderungen der Natur den freundlichen Leser zu unterhalten suchen, der uns in diese wundervolle  Hochgebirgsgegend begleiten will.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 1ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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