Die Tischobahöhle [Tischofenhöhle] und das Marterl im Schanzerwaldl.

Eine kräftige Mannesgestalt, ein Bergbauer mit ernstem, aber offenem Gesicht, stieg den Kaisertaler Weg empor. Auf der Bank, die jetzt den Namen Neapelbank wohl nach dem Spruche: "So schön wie Neapel", führt, setzte er sich.nieder, legte seine Joppe neben sich hin, nahm den Hut vom ergrauten Kopfe und fuhr bedachtsam mit der Hand über das Gesicht, um sich den Schweiß abzuwischen. Es ist hier aber auch ein einzig herrliches Plätzchen zum 'Rasten und Schauen: Zu Füßen das herrliche Inntal, durch welches sich der breite Inn wie ein Silberband schlängelt, rechts der mächtige Pendling, links im tiefen Schatten das Duxerköpfl, mitten im Tale das liebliche Städtchen Kufstein mit seiner gebieterischen Burg, und in weiter Ferne die schimmernden Gletscher des Stubai- und Sellraintales.

Auch der Bergbauer war in Schauen und Sinnen vertieft; doch was ihn zu bewegen schien, war nicht das vor ihm im Sonnenglanze daliegende Landschaftsbild, es war ein anderer Grund, Lange Reihen von Wägen, Reitern und Fußtruppten zogen in dem sonst so friedlichen Tale, dahin; es war Krieg im  Lande, die  Franzosen   waren    mit  ihren  Verbündeten in hellen Haufen im Durchzuge. Der Bauer hatte in Kufstein eine Kundmachung gehört: "Wer mit Waffen betroffen wird oder in dessen Hause solche gefunden werden, wird erschossen." "Der wird erschossen," brummelte er vor sich hin und verfiel wieder in tiefes Nachdenken, aus dem er durch nahende Schritte aufgestört wurde.

Es kamen Bauern von der Sparchen mit Stutzen und Schießzeug. "Wohin?" fragte er. "Zum Tisch oba! (Zum Tisch hinab!) Es ist alles vorüber," war die etwas verstimmt klingende Antwort. Er stand auf und ging, über die Dinge, die sich da zugetragen, mit ihnen plaudernd weiter.

Dort beim "Zotten", dem zweiten Hof, biegt ein schmales Steiglein ab zur Tischoba-Höhle. Es ist dieses eine tiefe Höhle mit schönem weiten Eingangsbogen; in der Mitte der Höhle stand ein Stein gleich einem Tisch. Diese Höhle diente in schlimmen Kriegsfällen den umwohnenden Landstürmern als Versteck und Versammlungsort. "Zum Tisch oba!" war das bedeutungsvolle Wort zum Versteck oder zum Ergreifen der Waffen. Hier hinab stiegen die Bauern, um ihr Schießzeug in Sicherheit zu bringen. Unser alter Bauer aber ging heimwärts zum Pfandlhof. "Du, Sima," sagte er zu Hause zu seinem Knechte, einem flinken, schneidigen Söllandler, "du trägst heut' Abend das Schießzeug zur Tischoba Höhle, es ist wieder alles vorüber; beim Ruapen und beim Veiten wissen sie es schon, aber der Thoma kann mit der Botschaft zum Hoflinger und Hinterkaiser ge'h'n." Der Sima sah den Alten etwas stutzig an, doch der Bauer hatte mit einem solchen Ernst gesprochen, daß es keine Widerrede gab. Dann kam dem Sima etwas anderes in den Sinn. Die vielen Soldaten da unten paßten dem jungen Knecht auch sonst nicht und der Befehl des Bauern bot ihm willkommene Gelegenheit, einem Herzenszuge zu folgen. Er packte alles nach des Bauern Anordnung fleißig zusammen und ging damit, als es zu dunkeln begann, hinab zur Tischoba-Höhle.

Nachdem er darin alles sorgfältig bis auf seinen Stutzen versteckt, stieg er wieder pfeilsgerade hinauf auf den Kaisertalweg und eilte hinab der Sporchen zu. Er wollte zum Schanzerwirt, um dort seine Leni zu sehen; als er aber auf die Kaiserstiege kam, sah er eine starke Militär-Patrouille von Kufstein her gerade über die Sparchnerbrücke kommen. Der Sima drehte sein Hütl, die Hahnfeder nach vorn, und sprang durch das Viehhölzl und Schanzerwaldl der Patrouille voraus zur Schanz. Als er beim Schanzerwirt in die Stube trat, fand er bewegtes Leben: es waren Schützen da, die vom Kampfe am Passe Strub gekommen waren und heimwärts zogen. "Ah, da Widauer Sima, grüß' di' Gott," rief ein baumstarker junger Bursche und reichte ihm freudiig die Hand entgegen; es war sein Schulkamerad, der Bernauer Sepp aus Söll, der auch mit den Schützen ausgezogen war. Kurz den Gruß erwidernd, rief der Sima: "Schützen, auf, die Soldaten kommen, geht knapp an den Schanzerwänden entlang, dann hinauf auf die Kaiserstiege der Tischoba-Höhle zu, dort seid ihr sicher." Die Schützen, von denen wohl keiner mehr ein Körnchen Pulver und ein Kügelchen Blei in der Tasche hatte, eilten rückwärts beim Hause hinaus, dem Berge zu. Der Wirt löschte alte Lichter aus und schloß die Haustür, um jeden Verdacht, als ob Schützen vorhanden gewesen, abzuwenden. Im Hause war es im Nu still, dunkel und leer geworden; nur hinten im Hausgange stand noch der Widauer Sima und hielt seine geliebte Leni im Arm.

"Fort, Kamerad," rief ihm der Bernauer Sepp bei der Tür herein, "sie kommen schon;" er faßte den Sima bei der Hand und zog ihn an sich, während dieser mit der anderen Hand noch immer die der Leni zum Abschied festhielt. "Fort, fort!" rief noch einmal der treue Freund und nun endlich eilten auch die Beiden dem Schanzerwalde zu. Doch, kaum waren sie bis zur Mitte des Waldes gekommen, so hatten sie auch die Soldaten schon bemerkt und stürzten auf sie los: einige Schüsse, ein Schrei, und die beiden Burschen lagen erschossen am Boden. Den anderen Tag fand man sie mit Tannenreisig bedeckt und mit Blumen geziert. Ein Kreuzlein aus dürrem Holze war bei ihnen aufgesteckt, und auf einem Baumstock stand ein Krug mit Weihwasser; ein Mädchen kniete bei den Gefallenen, betete und weinte; es war die Leni.

Die Tischoba-Höhle, aus welcher man nachts öfter Gerassel hören soll, ist zum großen Teil zerfallen und der Tisch verschüttet. Unten aber im Schanzer-Wäldchen, wo dann und wann zwei Lichtchen aufsteigen, da hängt an einem Baume zum   Andenken   der  beiden  Söllandler Schützen noch immer ein Marterl, welches wie im übertragenen Liebesdienst gar oft noch mit frischen Blumen geziert wird.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 17ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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