Die erlösten Geister auf der Walleralpe.



Es ist ein schöner Rundgang von Kufstein hinauf zum Brentenjoch, vom Joch auf den Brandkogl, wo man eine weite Uebersicht des ganzen südlichen Hinterkaisers nebst einem Teile des Wilden Kaisers vor sich hat, und von da hinab über den Bettlersteig nach Hinterbärenbad und von dort zurück nach Kufstein. Ein weiterer markierter Weg führt vom Brentenjoche, den tiefen Gaisbachgraben querend, hinüber zu den Steinberger Alpen, wozu auch vom Beginn des Bettlersteiges eine Markierung hinüberführt. Von den Steinberger-Alpen gelangt man auf holperigem Alpenweg in einer Stunde zu den Walleralpen und von da in drei Viertelstunden zu Führer Wied-auers beliebter Einkehr am Hintersteinersee. Den Weg von Steinberg über die Walleralpe nach Hinterstein in der Nacht zu machen oder gar dort Nachtlager zu nehmen, war einst nicht geheuer; denn es geisterte da manche Nacht ganz furchtbar.

Es war da ein alter Senner, der auf einer dieser Alpen über zwanzig Jahre gewirtschaftet hatte, plötzlich gestorben, und seit dessen Todestage hauste und geisterte es in dieser Alpe derart, daß die junge Sennerin, die jetzt dort eingezogen, und ihre Freundin in der Hütte nebenan es nicht mehr aushalten konnten und nicht mehr bleiben wollten, obwohl die zwei Senner auf der oberen Alpe besorgt genug waren, sie vor den Geistern in Schutz zu nehmen. Am Hinterstein und Eiberg war viel Gerede von dem Geisterspuk, sodaß sich schon bald keine Ablösung für die zwei jungen Sennerinnen finden wollte. Doch dem Hans am Eiberg ging die ganze Geisterei nicht recht zusammen. Er saß eines schönen Abends beim Schmiedlwirt am Eiberg mit seinen Kameraden bei einem Glas Wein beisammen, als schon wieder die Walleralpen-Geister zum Gespräch kamen. "Wißt ihr was," sagte der Hans, "wenn ihr a Schneid habt, gehen wir hinauf und fangen die Geister!" Gesagt, getan. Es war Neumond, die Nacht ganz dunkel. Die Burschen stiegen hinauf zur Waller-Alpe, verteilten sich dort und schlichen dann hinter Zäunen und Gesträuch zu den Almhütten der zwei jungen Sennerinnen. In allen Almhütten ringsum war es dunkel und alles lag in sanftem Schlummer, nur dort und da flatterte ein aufgeschreckter Vogel auf. Es kam die zwölfte Stunde und siehe, die Geister erschienen mit furchtbarem Lärm, Gebrüll und Kettengerassel. Die Burschen aber, die im Versteck gelegen waren, sprangen mit einem Halloh auf sie zu und hielten sie fest. Anderen Tages wanderten zwei junge Senner mit ihren Bündlein von der Walleralpe gegn Hinterstein hinab und die Geister dortselbst waren erlöst.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 88
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Juli 2006.
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