Volkscharakter und Volksleben. Sagen. Bräuche, Wohnung und Sitte.
Ludwig von Hörmann
In: Stubei, Geschichte und Gebirge, Land und Leute. Leipzig 1891.
Volkscharakter und Volksleben, Ludwig von Hörmann

 

Volkscharakter und Volksleben
von Dr. Ludwig von Hörmann

Je abgelegener ein Thal ist, desto weniger entwickelt sich das Volksleben. Das breite Hauptthal mit seinem erleichterten Verkehr und seinen ansehnlichen Dörfern und Flecken, verbunden mit größerem Wohlstand der Bewohner, ist geeigneter zur Entfaltung ernster und heiterer Volksgebräuche und Belustigungen, als die weniger bevölkerten und meist ärmeren Seitenthäler mit den oft weit entfernten Einzelgehöften und schwierigen Verkehrsmitteln.

Zwei alte Stubacher

Zwei alte Stubacher.

So ist es auch im Stubeithale [Stubaital]. Dafür blüht desto üppiger die Sage und das duftende Märchen, welche beide Genien abwechselnd den stillen Kreis des winterlichen Heimgartens beleben. Wenn nach Michaeli bei der knisternden Herdflamme oder am Kaminfeuer der Stube die schlichten Rädchen der Dirnen schnurren, während die Burschen aus ihren Pfeifen qualmend herum hocken und der alte Aehnl halb schlafend am Ofen nickt, da "gibt wohl eine Red' die andere" und Sage um Sage, eine schauriger als die andere, macht die Runde. Der Knecht weiß von der "Irrwurzen" zu erzählen, auf die er im vorigen "Langes" (Lenz) getreten sei und so den Weg verloren habe, der Senner erzählt von den "Kasnörggelen" oder "Kasmannlen", wie sie anderswo heißen, welche ihm das Almvieh und die Ziegen mit den Ketten so zusammenverkoppelt hätten, daß er sie nur durch den Schlag von zwei kreuzweis gelegten Haselzweigen wieder auseinander gebracht habe und so fort. Diese Norggen- oder Wichtelensagen sind in sofern interessant, als in ihnen sicher ein schwacher Nachklang jener Überlieferung zu suchen ist, wornach im Hinteren Stubei [Stubai] ein kleiner gewachsener, anders redender Menschenschlag, wahrscheinlich der letzte zurückgedrängte Rest der ursprünglich vielleicht kelto-ligurischen Bevölkerung gewohnt habe. Oder sollte da an die alten Noriker zu denken sein?

Auch die Riesensage mit ihren mythischen Bestandtheilen ist reich vertreten. Züge vom nordischen Thor (Donar) haften an den Wildemannsagen, sowie besonders an der Sage vom Umisberger Riesen und vom starken Hochgenäuner. Ersterer hauste mit seinem sanfteren Bruder auf einem Hofe zwischen Medratz und Neustift, der noch steht. Als ihm sein Vater einmal auftrug, Wasser zu holen, brachte er unwillig gleich den ganzen Brunnentrog, einen lärchenen Einbaum, daher. Wegen eines Vergehens angeklagt und zur Strafe nach Innsbruck geliefert, zerriß er auf der Innbrücke die Stricke, mit denen er gefesselt war, wie Bindfäden und hielt einen der eskortirenden Soldaten mit einer Hand über das Brückengeländer hinaus. Ebenso Unglaubliches erzählt man vom Hochgenäuner. Merkwürdiger Weise spielt die Sage von diesem riesenstarken Menschen nicht im Stubei selbst, sondern im vorderen Wippthal [Wipptal], vornehmlich an der sogenannten Ellbögner oder Salzstraße, die sich unweit der Hochgenäunerhöfe über das Mittelgebirge von Matrei bis Hall zieht. Nun, vom Schönberg aus mag man wohl jene luftige Höhe mit der Heimath des Hochgenäuners erblicken, sowie auch die genannte Hochstraße, auf der welcher Recke manche Probe seiner Kraft ablegte. Einmal traf er auf dem Wege nach Hall, wo er sich das Salz zu holen pflegte, ein umgeworfenes Fuder Heu. Ringsherum standen rathlos die verzagten Mäher und Dirnen. Mit einem Ruck hatte er es wieder aufgerichtet. Ein anderes Mal stieß er auf Bauern, die sich abmühten, einen gefällten mächtigen Baumstamm auf den Wagen zu laden. "Dös Bamel", sagte er, "wenn i's aufderlupf, blattre ich euch." Als die sahen, daß er den Baum wirklich allein hinaushebe, liefen sie erschreckt davon. Er aber hieb die Hacke mit solcher Gewalt in den Baum, daß man sie nicht mehr herausbrachte. Ja, das war ein Kerl, der Hochgenäuner, von einer Art, wie sie jetzt nicht mehr herumlaufen. Einen Nacken hatte er wie ein Stier. Wenn er von Hall Salz holte, so trug er einen schweren Sack auf der einen, den zweiten auf der andern Schulter. Das drückte ihn aber so wenig, daß er einmal in Judenstein eine eiserne Egge mitgehen ließ, sich trotz dieser dreifachen Last aber noch mit Leichtigkeit nach Steinen bückte und das Obst von den Bäumen warf.

Mit Einem aber hätte er doch nicht gern angebandelt, das wette ich, nämlich mit dem "Gschnallsjuzer". Diese Sage klebt in doppelter Gestalt am sogenannten Schinderplatz, unweit der Brücke vor Fulpmes, gerade dort, wo der Weg zum Gnadenorte Waldrast hinaufbiegt. Armer Brugger Franzl, dir ist es wohl schlimm ergangen! Das war ein lebfrischer Bauernbursch in Fulpmes, dem Weinflasche und Kartenspiel leider lieber waren als der Gottesdienst. Als dieser einmal, ich glaube, es war gar in der heiligen Nacht, von Schönberg nach Fulpmes kreuzfidel heimtrottete und in tollem Uebermuth Juchezer um Juchezer losließ, hörte er von ferne ebenfalls juchezen. Er juchzte wieder und immer näher kam der herausfordernde Gegenruf. "Und wenn's der Teufl selber wär', i' raufet' damit", schrie er, aber die Fortsetzung blieb ihm stecken, denn im selben Augenblick hallte ein gellender Juchezer gleich hinter ihm, daß es ihn fast umriß, und der Teufel mit Hörnern und Bocksfuß und zwei Augen wie glühende Kohlen stand vor ihm. Im Nu hatte ihn der Schwarze mit seinen kralligen Händen gepackt und trug ihn unter höllischem Jauchzen durch die Lüfte. Seit der Zeit ist es an dieser Stelle nicht mehr recht geheuer und oft hört man noch, besonders in stürmischen Nächten, das dämonische Juchezen des armen Brugger Franzi. Die andere Sage läßt hier ein gefallenes Mädchen, das die gemordete Frucht ihrer Schande unter die Gschnallskapelle, die hier früher statt des jetzigen großen Kreuzes stand, vergraben hatte, ihr unheimliches Juchzen erschallen, das auch nicht aufhörte, als die Aermste, von Verzweiflung getrieben, ihr Kind wieder ausgegraben hatte und damit in die reißende Rutz gesprungen war.

In dieser Gegend ist es überhaupt "unkatla" (unheimlich), besonders spukt es auf jenen saftigen "Pleißen" (Bergwiesen), die sich gegen das Gleinserjöchl und andererseits gegen das Geschröffe der wilden Serles ziehen. Unterhalb des erstgenannten liegt der sogenannte Gleinsersee. Obwohl er ganz klein ist, "brüllt" er doch oft, daß man ihn bis Mieders hinab hört. Bricht er einmal aus, was sicher eintreten wird, dann gnade Gott den armen Dörflern. Südöstlich von diesem unheimlichen Wasser droht aber die wilde Serles. Diese stolze dreizackige Dolomit-Pyramide, die sich wie ein gothischer Dom über der stillen Wallfahrt Maria Waldrast erhebt, kahl und öde, soll der zu Stein gewordene König Serles sein, der nun mit seinem ebenfalls versteinerten Weibe und einem bösen Rathgeber zur Strafe seines Uebermuthes reglos und starr ins Thal schaut und in schauriger Wetternacht Blitze und Steintrümmer verheerend herabsendet. Auch vom "Wilden Pfaffen" im Hinteren Stubei [Stubai] geht eine ähnliche Sage im Volke um. Ein Geistlicher habe nämlich den Sonntag durch Jagd entheiligt und sei zur Strafe in diesen unwirthlichen Eiskoloß verwandelt worden.

Die saligen Fräulein, Prof. Math. Schmid

Die saligen Fräulein
Originalzeichnung für die Monographie von Prof. Math. Schmid

Viel lieblicher ist die Sage von den Saligen Fräulein - in Stubei [Stubai] "Schneefräulein" genannt - jenen holden, den Menschen freundlich gesinnten Wesen, die auf den weiten Schneefeldern Hinterstubei's [Hinterstubai's] ihre Wohnstätte hatten und Glück und Segen den Thalbewohnern spendeten.

Daß auch die Hexen sich einer ganz besonderen Berücksichtigung im Volksmunde der Stubeier erfreuen, ist selbstverständlich. Eine ganze Legion von Sagen geht von diesen unwirschen Blocksbergscandidatinen um und macht die Herzen der Jungen und Alten erbeben. Ihren Hauptsitz haben sie auf der obersten Kuppe der hohen Saile, des westlichen Riesenpfeilers des Stubeithales [Stubaitals]. Dort befindet sich auf der grünen Grasfläche ihr Tanzplatz, wo sie nächtlich ihren höllischen Reigen aufführen, bei dem ein großer Ochse gebraten und verzehrt wird. Sie sind es auch, welche von dort die verderblichen Hagelwetter herabsenden, den Schlickbach mit Wolkenbrüchen anschwellen und die Sturmglocken von Fulpmes und Telfes ertönen machen. Nicht umsonst steht auf der uralten Wetterglocke in Telfes:

Anne Marie heiß i,
Alle Wetter weiß i,
Wenn man mi' thut ziechen,
Müßn alle Netter fliechen.

Aber nicht immer hilft der Wettersegen, denn nicht jeder Geistliche ist "wetterg'recht". Ein vorzügliches Mittel gegen diese Unholdinnen sind die sogenannten Hexenmesser, welche aus dem sogenannten Hexeneisen gemacht werden. Dieses findet man nun freilich nicht im nächsten besten Graben, sondern nur hier und da hoch oben im Gebirge. Es rührt von den Pferden her, auf denen die Hexen durch die Luft reiten. An andern Orten heißt es Pfaffeneisen. Ein solches verlorenes Hufeisen hat ganz wunderbare Kräfte. Man schmiedet nicht nur die berühmten Schlagringe daraus, welche dem Besitzer stets Sieg im Robeln (Raufen) verleihen, sondern auch die eben genannten Hexenmesser. Wirft man nun mit einem solchen Messer nach einer Hexe oder nach einem Hexerer - dies sind die Hexenmeister -, dann ist's mit dem Wettermachen und Hagelfabriciren vorbei; der betreffende Verhexte ist aber erlöst.

Hiervon nur ein Beispiel: Einmal sah ein Hirt einen Hexerer "auffahren", natürlich zum höllischen Tanz auf der Saile. Flugs warf er sein Hexenmesser nach ihm und der Hexerer war verschwunden, sammt dem Messer, das im Schenkel stecken geblieben war. Das Jahr darauf kam der Hirte zum Militär und mußte ins Wälschland ziehen. In einem Wirthshaus, wo er einkehrte, wurde ihm das Essen "aufgedeckt". Er schaut das Besteck an, sieh! da war es sein Hexenmesser. Erstaunt sagte er es dem Wirth, dieser aber drückte ihm dankend die Hand und sagte: "Mit dem hast du mich erlöst." Wer's nicht glaubt, frag' den alten Pechmanger in Telfes, der hat es mir selbst anvertraut.

Ja, was ließe sich da noch Alles erzählen, so vom Gasteiger Wasserfall, unter dem eine Kiste mit einem großen Schatz liegt. Ein Pater wollte ihn heben, aber der Deckel fiel zu und seitdem liegt des Paters abgeschlagener Kopf in der Kiste unter dem Wasser.

So umwebt das Volk Alles, uralte Vorstellungen und überkommene geschichtliche Ereignisse, mit dem phantastischen Schleier der Sage, und das um so lieber und ausdrucksvoller, je tiefer diese sich im Gedächtniß des Volkes eingegraben haben. Das "große Sterben", die Pest, die fast kein Thal Tirols verschonte, wovon die vielen Pestkapellen und Pestfriedhöfe Zeugniß geben, hat auch im Stubei [Stubai] ihr trauriges Erinnerungsdenkmal hinterlassen. Auch das im ganzen Lande bekannte Heil- und Schutzmittel dagegen kennt man dortselbst. Als nämlich die Noth am höchsten war, rief der Sage nach eine Stimme vom Hügel oder nach anderer Fassung in die Stube:

Iß Kranewitt und Bimbernell,
Dann stirbst du nicht so schnell.

Wer weiß, ob nicht darin ein Körnchen Wahrheit steckt. Auf diese Medizin hat auch der Wiesen-Iaggl in Mieders heilig geschworen, nur hat er von der Sache eine andere Anschauung gehabt und die Kranewittbeeren statt zu kauen - als Schnaps getrunken. Damit sind wir jetzt eigentlich schon aus dem Bereich des Sagenhaften in das Gebiet der Wirklichkeit eingetreten, zu den Thalleuten vom Stubei [Stubai], und können nun betrachten, wie dieses wackere Völklein haust und lebt, lacht und weint. Großen Reichthum darfst du, freundlicher Leser, im Stubei [Stubai] nicht suchen, aber auch dem Fluche der Armuth wirst du selten begegnen. Die Häuser, größtentheils von Stein oder wenigstens mit steinernem Unterbau, sind reinlich und sauber, häufig mit Bildern oder einem sinnreichen Spruch geziert. So z. B.:

Gott lieben ist die schönste Kunst,
Die schönste Kunst auf Erden;
Wer anders liebt, der liebt umsunst
Und kann nicht selig werden.

Oder:

Wan ich due waß Gott will,
So duet Gott auch waß ich will;
Due ich aber das widerspill,
So duet Gott auch waß er will.

Auch das tiefernste, wunderschöne Sprüchlein, dessen Spur sich ins graueste deutsche Alterthum verfolgen läßt, habe ich in Stubei [Stubai] an einem Hause gefunden:

Ich leb', weiß nicht wie lang',
Ich sterb' und weiß nicht, wann,
Ich geh', weiß nicht, wohin,
Mich wundert, daß ich so fröhlich bin.

Ein Volk, das so tiefe und wahre Sprüche an seine schmucken Häuser schreibt, bei dem muß es auch "unter dem Brustlatz" richtig bestellt sein, und wir freuen uns darüber und feiern, in seinen Jubel einstimmend, die kirchlichen und profanen Feste mit, die sein schlichtes Alltagsleben verschönern.

Die Stubeier [Stubaier] sind trotz der schweren Arbeit - ich erinnere nur an die beschwerliche Herabschaffung des Holzes und Bergheues im Winter - ein fröhliches Völklein, und wenn man die jungen Burschen, die brennrothe Nelke am Hute, nach dem Sonntagsgottesdienst am Kirchplatz stehen und schalkhaft die "wiffen" Dirnen, die kichernd an ihnen vorbeiziehen, mustern sieht, dann fühlt man sich zu diesen Naturmenschen hingezogen und möchte mit ihnen lustig sein.

Die alte Thaltracht, zum Theil recht kleidsam und malerisch, ist leider, wie fast überall im Lande, im Verschwinden. Schade! Wie hübsch machen sich bei den Männern die kurzen Lederhosen und die blühweißen Strümpfe! Dazu tragen sie eine sackartig geschnittene dunkelbraune Lodenjoppe mit schmalem aufrechtstehenden Kragen und grünen "Ausschlägen", die oft von den Mädchen mit großer Mühe gestickt werden. Charakteristisch ist die Reihe weißer Knöpfchen zu beiden Seiten der Joppe, sonst ist kein Knopf am ganzen Kleidungsstück zu sehen. Die Hosenträger sind meist grün, der Halsflor schwarz, mit einem Ring, aus Wurzelfasern künstlich geflochten, befestigt; Bauchgurt tragen sie keinen. Auf dem Kopfe sitzt der sogenannte Fügnerhut ohne Schnur, aber mit breitem, grünseidenen Band, hinter dem der Spielhahnschweif schief steckt.

Die Weiber tragen einen faltigen Rock (Wiffling), ein dunkelgrünes, weiter drinnen im Thal schwarzes, rothbetupftes Mieder, das brettartig die Brust umspannt, zurückgebundene bauschige Aermel mit breiten Spitzen. Früher hatte man als Kopfbedeckung die sogenannten "Fatzelkappen", wie sie im Innthal [Inntal] gebräuchlich waren; jetzt sieht man sie nur mehr hier und da etwa bei einem alten Botenweiblein, das in die "Stadt" einkaufen geht. Die jüngeren tragen flache Zillerthalerhütchen, die ganz kokett auf dem dunkeln Ringelzöpfen sitzen.

Die Sprache der Stubeier klingt ziemlich rauh, desto voller ertönt das Lied, mag es nun als trutziges Schnaderhüpfl durch die Nacht "hildern" oder als eigentliches Lied am Wirthshaustisch erschallen.

Muß ich doch immer lachen, wenn ich oft von herumziehenden, sogenannten tirolischen Nationalsängern in Konzertsälen und Restaurationen sogenannte Tirolerlieder singen höre, und ich bedauere stets Einheimische und noch mehr "Fremde", welche diese verkünstelten, unwahren Lieder als echte Tiroler Volkslieder genießen müssen. Geht ins Stubei [Stubai], da klingt zwar etwas herber, aber echter Volksgesang am Wirthstisch, wie in schönen Sommernächten, wenn drei, vier Bursche fröhlich nach Hause wandern:

Wenn's d' willst Gamsberg steig'n,
Mußt a Schneid haben,
Derfst kan Jager scheuchen
Und ka Pulver sparen.

Bald's d' an Jager scheuchst,
Ast (dann) derwischens di':
Schießn thun mer (wir) grad
A bissl auf di'.         Jodler u. s. f.

Solche Wildschützen- und Jägerlieder, desgleichen Almen- und Sennerlieder gibt es zu Hunderten in Stubei [Stubai]. Der Kirchengesang wird am meisten in Neustift gepflegt, wo überhaupt viel gesungen wird. Am häufigsten natürlich hört man das heitere Schnaderhüpfl, dieses Kind des Augenblicks, erklingen. Manche dieser Impromptus sind von einer Kraft, andere von einer Innigkeit, die ihres gleichen sucht. Nur ein paar Muster, die mir gerade durch den Kopf fliegen:

's Wetter hat g'schlag'n
Auf der entern (drübigen) Seit'n -
Wegen oan Bübl laß i
Net Wetterleut'n.

Wo i zum Diendl geh,
Wachst ka Gras, bleibt ka Schnee,
Wenn i's Diendl nimmer hab,
Kimmt der Steig wieder ab.

Aft (dann) draht si' das Diendl,
Aft draht si' der Bue,
Aft nimmt ers beim Mieder
Und juchezt dazu.

Ja, da sind wir ja mitten im helllichten Kirchtag drin, in der dampfenden, tabakraucherfüllten Wirthsstube, die vom Tanzlärm der Paare widerhallt. So ein Bauerntanz, bei dem nicht die "herrische Polka" und Mazurka, sondern noch der alte Ländler, der "Hosenlatterer" und der originelle "Schuhplattler" dominirt, hat etwas fast aufregendes. Wie das schleift und stampft, daß einem beinahe Sehen und Hören vergeht. Hier und da gellt wieder ein Heller Juchezer auf oder ein Anfrümliedel, schneidig wie Gift:

Spielleut macht's auf
Mir (wir) wer'n enk (euch) schon zahl'n.
Wenn's Geld nimmer kleckt,
Schneid'n mer d' Hosenknöpf wek.

Mei Schatz ist a Melcher,
Hat auf an grüen Huet,
Und er tanzt übern Boden,
Daß 's Geld scheppern thuet.

'n Diendl ist angst und bang,
Woaß net was thoan,
Und zum Buebn traut's ihr a net z'sag'n:
Geh amal hoam.


Das Tanzvergnügen war in Stubei [Stubai] früher, als noch die Zeiten besser waren, wie in ganz Tirol, verbreiteter als gegenwärtig. Jetzt wird fast nur mehr am Kirchtag getanzt und hier und da als Nachspiel etwas gerauft. Letzteres ist übrigens, so schneidig sonst die "Stubacher Bueben" sind, so ziemlich abgekommen. Auch von andern weltlichen Belustigungen, wie sie sonst in Tirol vorkommen, ist in Stubei [Stubai] nicht viel zu spüren. Selbst der Fasching weist wenig von den tollen Fastnachtsscherzen anderer Thäler auf. Meist beschränkt sich die ganze Lustbarkeit auf nachmittägige Musik, welche beim Platzwirth oder beim Pfurtscheller "aufgemacht" wird, oft auch nur im Spiel einer Ziehharmonika in einem der Gasthäuser. In früherer Zeit, wo noch das Stundgebet der drei letzten Faschingstage nicht so streng gehalten wurde, war es anders und das "Blochziehen" und das Huttlerlaufen war am unsinnigen Donnerstag nebst dem sich anschließenden Faschingbegraben noch ebenso im Schwange, wie das Schemen- oder Schellenschlagen, das z. B. noch im Wippthal [Wipptal] geübt wird.

Lustig geht es bei den Hochzeiten her, vornehmlich, wenn eine bessere gefeiert wird. Hierbei ist das Klausenmachen auch noch üblich, d. i. die Absperrung der Straße, auf welcher der "Sämerwagen" der Braut herkommen muß, durch einen Strick oder eine Stange. Ebenso hört man auch das "faule Weib" singen, ein gar wunderlicher Gebrauch, bei dem entweder Neuverheiratheten oder einem Wittwer, der nochmals heirathet, mit allen möglichen Marterinstrumenten eine Katzenmusik gemacht wird, an die sich dann das Absingen obigen Liedes anschließt. Natürlich gehen alle diese genannten harmlosen Hindernisse auf die Abgabe von Trinkgeld an die Veranstalter hinaus.

Von sonstigen Gebräuchen, die mit der Ackerbestellung und Ernte zusammenhängen, wie mit dem Heuen, Dreschen und Brecheln, hat sich seit der Einführung der einschlägigen Arbeitsmaschinen, wie auch anderswo, fast nichts mehr erhalten. Aber ich erinnere mich sehr gut, daß vor einigen Jahrzehnten der "Henneler", d. i. derjenige, der beim Dreschen den letzten Schlag machte, auf einen Karren gebunden durchs Dorf gezogen wurde. Auch der "Harerkranz" oder "Brechelbusch" stand seiner Zeit noch in Ehren, sammt allen damit zusammenhängenden schnurrigen Brechlgebräuchen. Einst war eben mehr Wohlstand und deshalb mehr fröhliches Leben, als noch die Fulpmer Eisenschmiedarbeiter sangen:


Lustig mir (wir) Schmiedler,
Müeßen uns plagen,
Müeßen die Zwanzger
Aus'n Eisen außerschlagen.

Feldprozession

Feldprozession

Schön und erhebend sind noch viele kirchliche Vorgänge, vorzüglich die Prozessionen. Wer je Gelegenheit hatte, an einem günstig gelegenen höheren Orte um Fronleichnam ins Thal zu schauen, wird mir gewiß beistimmen. Wenn der festlich gekleidete Zug der Beter mit den wehenden Fahnen und Heiligenbildern langsam um und durch die wogenden Saatfelder zieht, voran die weiß gekleideten Kinder und Kranzl-Jungfrauen, dann der Traghimmel mit dem Allerheiligsten, die klingelnden Ministranten, gefolgt von der schmücken Schützencompagnie in ihrer kleidsamen Tracht, und wenn dann der betende und singende Zug an den Evangelienaltären hält, und nach den Segen des Priesters und dem Peletonfeuer der Schützen unter Glockengeläute und den Klängen der bäuerlichen Kapelle wieder weiter wallt, so ist dies eine poesievolle Scene, die Jeden, der nicht ganz vertrocknet ist, ergreifen muß. Noch schöner ist es, wenn man von nah und fern solche Züge sieht, und der Wind die General-Dechargen der Schützen und das ferne Glockengeläute an das Ohr trägt.

Prozession im Stubaital

Prozession im Stubaital

Auch der Winter bietet dem Aug' und Ohr des Volksfreundes einen reichen Genuß, wie man ihn in den Städten nie haben kann. Ich meine die mitternächtliche Christfeier um Weihnachten. Da kommen von beiden Thallehnen, von den höchsten Einzelhöfen die Leute mit Kenteln (Pechfackeln) auf den vereisten Wegen zur Thalkirche. Ueberall sieht man röthliche, Lichter, bald verschwindend, bald wieder auftauchend. Aus der hellerleuchteten Pfarrkirche aber dringen die langgezogenen Orgelklänge und die Weisen des Weihnachtsgesanges durch die heilige Nacht. Diese Hirtenlieder, die bei der Christ-Mette gesungen werden, sind von ganz wunderbarer Naivetät und Herzlichkeit. Die Situation ist meist dieselbe. Die Hirten auf dem Felde bei ihren Heerden sehen plötzlich um Mitternacht eine Helle und hören vom Himmel musiciren und jubiliren. Erschreckt sind sie rathlos, bis endlich ein Engel ihnen die Botschaft von der Geburt des Heilandes bringt, und sie geschwind nach Bethlehem zum göttlichen Kinde eilen. Rührend ist es oft, wie sie bemüht sind, dem armen "Hascherl" etwas mitzubringen, der eine ein Hemdchen, der andere Butter oder Milch zu einem "Müsl".

Hier eines als Muster:

Gottsplunder, Nachbar geh,
Nur gschwind vom Bett aufsteh,
Los (horch) doch lei (nur), wie es heut so spat,
Und grad, weils zwölfuhr g'schlagn hat,
Im Himmel lustig werd,
Hast nie nix rarers g'hört.

Steh auf, schau nur geschwind,
Wie schön der Himmel brinnt,
Es klumpert ziemlich hübsch und fein,
Heut werd im Himmel Kirchtag sein.
Much (Michel) weißt du, was mir (wir) thien,
Mir wollen gucken giehn.

Die Engel schwärmen aus,
Nicht einer bleibt zu Haus,
Sie singen all das Gloria,
Den Fried dem Mensch'n Alleluja!
So lustig war es mir
Habs ghört mein Lebtag nie.

Ihr Hirten laufet all
Nach Bethlehem zum Stall,
Trag jeder nur ein Opfer gschwind,
Daß es verzeichet uns die Sünd.
Wir bitten Jesulein
Führ uns in Himmel ein!

Diese Weihnachtslieder, besonders aber die bereits dramatisirten sogenannten "Herberglieder", die im Advent gesungen werden, müssen in gewissem Sinne als die Vorstufe der Weihnachtsspiele angesehen werden. Letztere bilden mit den Nikolaus- und Heiligenspielen das kirchliche Schauspiel des Volkes, und waren auch noch in den dreißiger und vierziger Jahren in Stubei [Stubai] beliebt. Ebenso wurden auch in Fulpmes weltliche Stücke - Bauernkomödien oder Bauernspiele - aufgeführt. Ich besitze selbst ein solches Stück "die Weibermühl", das am genannten Orte noch in den vierziger Jahren zur Aufführung gelangte.

Quelle: Volkscharakter und Volksleben. Sagen. Bräuche, Wohnung und Sitte. Ludwig von Hörmann
In: Stubei, Geschichte und Gebirge, Land und Leute. Leipzig 1891. S. 597 - 612