Der mißglückte Schatzraub

Viele Jahre ist es her, da stieg einmal ein Melker der Lizumer Alm auf der Suche nach verlorenen Schafen von Mittag her auf den Hippold. Mit scharfen Augen suchte er die Gegend ab, konnte zwar seine Schafe nirgends erspähen, dafür aber entdeckte er mitten in den wildesten Bergschründen ein gähnendes Loch und vermutete sogleich, das könnte der Eingang zur Schatzhöhle des Alten Geißler sein. Kurz entschlossen stieg er zum Felsenloch hinüber, gewann nach manchem Quergang den Eingang in die Höhle, und als er seine Augen an die Finsternis in ihr gewöhnt hatte, fand er, halb mit Furcht, halb mit Freude: da war Gold, viel Gold, in Haufen lag es umher! Da hatte er wirklich den Schatz des Hippoldmandls entdeckt. Vorsichtig tastete er sich tiefer in die Höhle und spähte und horchte ins dämmerige Dunkel hinein. Nichts rührte sich. "Sicherlich geistert das Hippoldmandl draußen in den Schrunden und Schrofen umher!" beschwichtigt der Melker sein laut klopfendes Herz, tut einen tiefen Atemzug, und dann bückt er sich, füllt seine Taschen mit Gold, und weil ihm die nicht genug fassen, zieht er die Joppe aus, schnürt die Armelenden zu und säckelt die Ärmel voll mit Gold und Geld. Sodann hängt er sich die Joppe über den Hals, läßt die prallvollen Ärmel wie dicke Würste rechts und links auf die Brust herabbaumeln und schleppt sich, keuchend unter der schweren Last, auf seine Alm zurück.

Ungesehen erreichte der Bursche die Hütte und versteckte seinen Schatz im Milchkasten. Der Gedanke aber an das ungeheuer viele Gold im Berge ließ ihm keine Ruhe. Zwar fühlte er sich an allen Gliedern wie zerschlagen, doch vom Goldteufel besessen, beschloß er, sogleich wieder zum Schatzloch aufzusteigen. Ruhe wollte er sich erst gönnen, wenn er mit einem neuen Haufen Gold glücklich zurückgekehrt war. Und schon war er wieder unterwegs, diesmal mit der Zumme auf dem Rücken, um nur ja recht viel Gold auf einmal zu erbeuten.

Von der Gier nach Gold getrieben, stand der Melker alsbald oben vor dem Schatzloch. Ohne sich erst zu vergewissern, ob nicht am Ende das Hippoldmandl wieder bei seinen Schätzen war, stapfte er in die Höhle hinein, schöpfte mit beiden Händen die Zumme voll, lud sie sich auf den Rücken und wandte sich dem Ausgang zu. Schon sah er blauen Himmel zum Loch herein scheinen, einen Schritt nur noch hatte er zu tun und er war draußen - da wehte es plötzlich eiskalt durch die Höhle, pechschwarze Finsternis verhängte jählings den Ausgang und eine furchtbare Stimme dröhnte heraus aus dem Berginnern: "D'Hand von der Buttn! Ausleeren die Zumme! Und alles zurückbringen, was hinter der Tür im Milchkasten steckt! Und gleich, sonst wirst zerrissen zu ...!"

Mehr hörte der Melker nicht. Schon hatte er die Zumme ausgeleert und war auch schon Hals über Kopf davongejagt. Binnen einer Stunde lag alles geraubte Gold und Geld vor der Höhle des Hippoldmandls, und nicht ein Stäubchen fehlte daran. Hätte der Melker auch nur ein Körnlein unterschlagen, er hätte sich selber am Hippold zum Schatzhüten verflucht. Das Hippoldmandl aber war erlöst gewesen.

(Haag nacherzählt.)

Quelle: Sagen aus Wattens und Umgebung; gesammelt von den Schulkindern in Wattens und Wattenberg. In: Wattener Buch, Beiträge zur Heimatkunde von Wattens, Wattenberg und Vögelsberg. Schlern-Schriften 165, Innsbruck 1958. S. 309 - 326.