DAS VERSUNKENE SCHLOß AM WEERBERG

Im Schwazer Mittelgebirge liegt Weerberg, ein herrliches Flecklein Erde. Von der Eisenbahnstation Terfens-Weer in einer Gehstunde gut erreichbar, rechts am Berghang des Unterinntales, grüßt es mit seinen zwei Kirchen gar lieblich ins Tal herunter; vielen mag ihr Anblick den Vorsatz entlockt haben, einmal da hinaufzusteigen. Beschwerlich ist es nicht gerade.

Die vielfach gewundene Straße (Fahrweg!) lenkt beim Steixnerwirt links vorbeigleich hinan. Die Höfe "Vöstl" und "Guggenschuster" werden zurückgelassen. Nun klettern wir den Abkürzungssteig rechts hinan, "über die Wurzen" (schlechter Steig, von vielen Fichtenwurzeln gequert) genannt. Kurze Mühe, die äußere "Weerer Eben" ist erreicht. Der Weg schlängelt sich ein Weilchen fast eben weiter. Jetzt werden auch hinter den linksseitig liegenden Wiesen und Äckern zwei Bauernhöfe, "Kohler" und "Lenzeler", sichtbar. Der zerklüftete Fahrweg verengt sich bald fast fluchtartig und jetzt ist man schon im Bereich des versunkenen Schlosses. Der Schloßberg wird auf schmalem Steigl erklommen, das links von der Fahrstraße abzweigt. Jungwald säumt es. Endlich sind wir da. Rechts gähnt der tief eingeschnittene, früher verlassene Weg. Suchen wir nicht lange nach dem schaurigen Ort! Eine etwa kreisförmige Mulde ist es, sumpfig, mit hungrigen Schilf- und Binsengräsern spärlich bewachsen und gegen den Wald zu von zerzausten Stauden abgegrenzt.

Hier stand vor Zeiten ein mächtiges großes Schloß. Lange, lange hauste hier ein Rittergeschlecht, eingedenk des Schwures zu Schutz und Schirm des friedlichen Volkes, zur Wehr des Tales. Aber - Reichtum und Wohlergehen verleiteten schließlich die Bewohner des Weerberger Schlosses zu Bosheit und Sünde. Bald wußte man weitum im Lande schon viel über nächtliche Zechgelage, wüste Schlemmerei und wohl auch von unerhörten unkeuschen Tanzfesten zu erzählen. Niemand wagte aber, auch offen davon zu reden, denn auch die Grausamkeit und Hartherzigkeit der Ritter und ihrer Kumpane war arg berüchtigt.

An einem schwülen Spätsommerabend soll es ganz besonders toll im Schlosse zugegangen sein. Um die Mitternachtsstunde, als der "Buhin" (Uhu) seine klagenden Weisen hören ließ, brach dann das Strafgericht herein. Ein Küchenmädchen tat eben eine Menge Reste übermütig vernichteter Festspeisen in einen Eimer, als ein schneeweißes Mäuschen mit einem Zettelchen im Maule daherlief. Eine schreckliche Vorahnung überschlich das gottesfürchtige Mädchen, denn das Tierchen blieb gerade vor ihm stehen, ließ das Papier fallen und war verschwunden. Was die Magd las, waren nur wenige Worte: "Entfliehe dem Unheil, das Maß ist voll!"

Mit wenigen Habseligkeiten lief das Mädchen aus dem Schlosse in den nahen Wald hinaus. Die kühle Nacht und das gotteslästerliche Gejohle der Schwelgenden jagte der Davongelaufenen eine Gänsehaut über den Rücken. - Jetzt - ein greller Blitz, ein furchtbarer Donnerschlag. Die Erde bebte und unter Krachen und Splittern versank das ganze Schloß in die Tiefe. Niemand entrann. Aus dem Walde ertönte markerschütterndes Hohnlachen. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher; die sündigen Schloßbewohner waren gerichtet.

In einem Kloster des Unterlandes soll jene Magd ihr ferneres Leben Gott geweiht und Barmherzigkeit für die sündigen Schloßbewohner gebetet haben.

Noch vor wenigen Jahren soll man nachts in jener Gegend vielstimmige klagende Rufe gehört und Lichtlein herumwandern gesehen haben.


H. Salvator in 'Sagen vom Weerberg', in: Tiroler Heimatblätter, Heft 1, 1933, Seite 33 f.