Von Elfen und wilden Fräuelein

Die Bergfee: „Ich leb von Rautenblüt
Und schlaf auf Edelweiß. Und was ich trink, das kommt
Vom Gletschereis!“
Matthäus Schiestl.

Die lieblichsten und seltsamsten Sagengestalten in den Bergen, wie überhaupt im deutschen Sagengebiete, sind die Elfen, im Wipptal und Zillertal Salige oder Wilde Fräuelein benannt. Diese Lichtgestalten lebten in fernen, lichten Höhen, in Eis- und Kristallpalästen, aber in beständiger Angst vor den Unholden und Riesen, die sie verfolgen. „Sie hausten zu Füßen des Olperer unter der Gfrorenen Wand, sie schwebten im Mondesstrahl bei der Frauenwand am Tuxer Joch und sangen auf den höchsten Almen.“ (Egger.) Oder sie verbreiteten als Talgilgen über das ganze Tuxer Tal Segen, bis der wilde, feindliche Riese kam und sie zurück in ihr Kristallschloss trieb.

Die Elfen galten als Sinnbild des Guten und des Lichten in den Bergen. Im Gegensatz zu anderen Sagengestalten, so den Wichtelen und den Zwergen, waren sie dem Menschen immer Freund und wohlgesinnt, wenn er sich ihnen gut erzeigte. Ja, sie suchten sogar seine Nähe und dienten ihm treu und ergeben. Wenn im Hörbist der Sturmzug des Mortas Gstampfe durch Täler und Höhen brauste, dann verbargen sie sich furchtsam in ihren Höhlen. Oft musste ein Wildes Fräuelein vor Riesen und Unholden flüchten. Aber es war gerettet, wenn es noch einen Baumstumpf erreichte, wo ein Kreuz eingemeißelt war. Deshalb wird bei den Holzhackern des Wipptales in vielen Fällen noch bis zur Gegenwart auf jeden umgehackten Baumstamm ein Kreuz gehauen. Dort finden die Saligen Fräuelein Schutz bei Verfolgung. Außerdem können die Hexen bei solchen Baumstämmen nicht rasten, wie der Volksglaube behauptet.

Verschiedene Bergnamen erinnern noch an diese lieblichen Lichtgestalten. Der Wipptaler Heimatforscher A. Egger erwähnt solche Hof- und Bergnamen: Albhart, Albe(n)rieh, Albbozel, Albgewinke. 58) Viel eher aber geht der Alfeier-Hof in Gschnitz auf einen solchen „Alb“ oder „Elf“ zurück, in dieser Form schon im Jahre 1406 erwähnt. Dort gibt es auch ein „Alfach“ und die Alfeier Albe, die Alfeier Mahder, heute nur „Alfoa“ genannt.

58) Grimm, Mythologie, S. 285

Während das Vorkommen der Elfen im Gschnitztal nur durch die Bergnamen und den Hofnamen Alfeier sowie durch eine später erwähnte Sage erschlossen werden kann, berichten uns liebliche Sagen von den Wilden Fräuelein im Schmirntal. Auch dort sind Berge und Fluren danach benannt, so vor allem der Fräuelespitz, Fräueles Gufel, dann die weißliche Frauenwand am Tuxer Joch. Im ganzen Berggebiet des Olperer, vor allem im Schmirntal und im Tuxertal, war die Heimstätte der Wilden Fräuelein. Sie hausten gern in ungestörter, hochgelegener Bergeinsamkeit. Sie hielten sich im Eispalast der Gefrorenen Wand auf und sangen im Mondesstrahl auf den höchsten Almen. Auch in anderen Tälern erinnern solche Namen an Wilde Fräuelein, so das Frauenlaub in Pflersch, das Frauenmahd in Obernberg, das Frauholz in Vals, das Frauental am Glungezer, ja vielleicht sogar der Wilde Freiger in der Stubaier Eiswelt, bei Peter Anich „Hohe Freuele“ genannt. Diese Berge halten durch ihre Namen allein die Erinnerung an die Wilden Fräuelein fest. Auch am sagenhaften Wildsee im Venntal am Brenner sollen Wilde Fräuelein vorgekommen sein.

Vor allem lebendig ist hier ihre Erinnerung im Gebiete des Olperer, wo sie sich im Kristallschloss der Gefrorenen Wand aufgehalten haben und wie Nebelschleier über die Berge getanzt sind. Dann brach der wilde Riese „Tuck“ in ihr Reich, nach dem das Tuck(e)s Tal und die ganzen Tueck(e)ser Berge benannt sind. Nun jagte er die Saligen Fräuelein in ihr Kristallschloss und erbaute sich aus Quadern ein Schloss auf dem Talgrunde. Aber die Saligen Fräuelein rächten sich und zerstörten von ihrer Eisburg aus sein Bauwerk mit wilden Gewässern so lange und so beharrlich, bis der Riese sein Schloss stampfend in Trümmer schlug und grollend wieder abzog. Seine Riesentritte sieht man noch heute beim Wasserfall in Hintertux. 51)

51) Alpenburg, Mythen und Sagen, S. 7, 33, 34.

Gerne hielten sich die Wilden Fräuelein in den Berghöfen des hintersten Schmirntales; in Modern, auf. Sie liebten die Nähe des Menschen. Sie lebten gerne in ihrer Gesellschaft und zeigten sich gut und anhänglich, so lange man gut mit ihnen umging. Im Sommer hausten sie droben auf den schon erwähnten Bergen, wo von den Hirten eine kleine Quelle heute noch als „Fräueles- Quelle“ gezeigt wird. Dort befinden sich auch die sagenhaften Fräueles-Guflen (etwa eine halbe Stunde ober der See-Albe). Aber auch im Geklüfte des Tolderer-Schrofens hatten sie ihre versteckten Behausungen. „Da oben saust es und braust es nicht selten unheimlich und der Mensch in der Tiefe des Tales denkt an die Wilden Fräuelen, die da oben in den Tolden hausten.“ Noch ist die Sage vom Schwarzen Hof oder Tolderhof oder auch Staudenhof genannt, immer lebendig. Dieser Hof lag am Fuße des Tolderer Schrofens, aber heute ist keine Spur mehr zu sehen. Wildbäche durchfurchen jedes Jahr den Boden und undurchdringliche Staudengewächse machen ihn zu einer düsteren, verlassenen Stätte. In der Nacht sieht man ein feuriges Ross durch die Stauden sausen oder das Staudenliechtl geht um. Folgende Sage kann vielleicht in Verbindung mit den Saligen Fräulein gebracht werden:

Einst befand sich ein stolzer Hof an dieser Stelle und die Felder waren eben und weit. Von Toldern aus konnte man bis zur heutigen Schmirner Kirche sehen. Reich und stolz war der Bauer auf dem Schwarzenhof. Er hatte den Stall voller Vieh und den Geldbeutel am Ranzen immer voller Taler. In einer Kammer hatte er sogar „ein aufgehäuftes Star voll Geld versteckt“. Bei diesem Bauer arbeitete der Hl. Felix (Kirchenpatron von Schmirn) als Knecht. Ein Wildes Fräuelein verrichtete die Hausarbeiten. An einem Samstag abends kehrte sie den Hausgang sauber. Aber der Bauer nahm ihr übermütig den Besen aus der Hand und sagte höhnend: „Geld hab ich genug, nun kannst du das Glück auskehren!“ Da erschraken die Ehhalten ob solch frevelhafter Worte. Am selben Abend ging der Hl. Felix mit den andern aus dem Haus nach Toldern zu einem Nachbarn auf Hoangert und am selben Abend brach die Gisse herunter und verschüttete den alten, großen Schwarzenhof. Der Dachfirst soll sich heute noch ganz knapp unter der Grasdecke befinden. So haben die Berggeister in den Tolderer Schrofen den Frevel des Bauern furchtbar bestraft.

Viel lieblicher aber ist die Sage von den Wilden Fräuelein am Pirklahner Hof (Stefflerhof), wo das knorrige Bergbauerngeschlecht der Mader seit dem 15. Jh. bis zum heutigen Tage als höchster Stammhof des Wipptales und von ganz Tirol haust (1650 m). Auf diesem Hofe hielten sich die Saligen Fräuelein während der kalten Wintermonate auf, halfen den Leuten bei der Arbeit oder beim Spinnen und erfreuten sie mit ihrem wundervollen Gesang. Ein Fräuelein, „Mimanre“ mit Namen, nach anderer Darstellung „Mimanda“ geheißen, war besonders schön und hat sich besonders hervorgetan. „Sie war nicht nur wunderschön, sondern auch ein ausnehmend kluges Fräuelein.“
Eines Tages fuhr der Großknecht des Pirklahner Hofes mit dem Ochsengespann spät abends heimzu. Da rief plötzlich eine traurige, aber mächtig starke Stimme, die von einem riesenhaften Manne zu kommen schien, vom Walde herunter:
„Unser König Eugl ist tot!
Berichte das seinen drei Töchtern, die sich gerade jetzt am Pirklahner Hof aufhalten.“
Als der Knecht zum Hofe kam, meldete er den Wilden Fräuelein diese traurige Botschaft. Da brachen sie in heftiges Weinen aus und erklärten, nun wäre im Tale Schmirn ihres Bleibens nicht mehr. Seit dieser Zeit sind sie für immer verschwunden. 52)

52) Die Sage von den wilden Fräuelein ist in Schmirn noch heute sehr lebendig und allgemein bekannt; Darstellung nach Cajetan Gratl, Joh. Mader, Steffler-Erbhofbauer in Schmirn, Eller Karl u. a.

Der alte Cajetan Gratl von Schmirn aber wußte folgendes zu erzählen: In einer stürmischen Winternacht kam plötzlich eines der drei Fräuelein zum Pirklahnerhof und verkündete voll Trauer:
„Eugl, Künigl ist tot!“
Dann verabschiedeten sich die drei Saligen Fräuelein von der gastlichen Stätte der Menschen und wurden nicht mehr gesehen. Man weiß daher die Namen der Wilden Fräuelein. Das eine hieß Mimanda oder Mimandr, das zweite hieß Eugl (kleines Auge) und das dritte Fräuelein hieß Künigl, falls es sich nicht um ihren König selbst gehandelt hat. Auch in der früheren Fassung ist die Rede von einem König, der sich Eugl schrieb, so dass sich beide Überlieferungen decken. Vielleicht hat sich daher die Trauermeldung tatsächlich auf ihren König bezogen. Dann hätten die Saligen Fräuelein einen König gehabt, wie es ja ganz allgemein den deutschen Elfensagen entspricht. Der bekannteste Zwergkönig ist König Laurin im Rosengarten.
Seit jener Zeit sind die Wilden Fräuelein vom Pirklahnerhof und vom ganzen Tal verschwunden. Sie haben sich nie mehr von Menschen sehen lassen. Der Pirklahnerhof hält aber für immer die Erinnerung an diese lieblichen Sagengestalten fest; denn in der alten Bauernstube des heutigen Stefflerhof es sollen die Fräuelein irgendwo im Getäfel ein goldenes Haar versteckt haben. So lange dieses Haar in der Stube bleibt, wird das Glück nie mehr vom Hofe weichen und das Haus bleibt vor Sturm und Feuer geschützt. Tatsächlich brannte auch der in nächster Nähe gelegene untere Hof ab, während der Stefflerhof auffallender Weise verschont geblieben ist. Das Geschlecht der Mader aber hat sich weit über Tirol verbreitet und auch manch berühmten Vertreter gestellt.

Was soll nun von dieser lieblichen Sage gehalten werden? Vor allem steht fest, dass es sich tatsächlich um eine schöne und rein überlieferte Elfensage in Tirol handelt. Viele Züge entsprechen ganz allgemein den germanischen Elfensagen. So hatten die Elfen einen König, wie auch die Saligen Fräuelein im Schmirntal. Audi die Vorstellung der singenden und tanzenden Elfen, die die Menschen mit ihrem wunderbaren Gesang erfreuen, entspricht ebenfalls der germanischen Elfensage, vor allem auch in den nordischen Ländern. „Alle Elbe haben unwiderstehlichen Hang zu Musik und Tanz. Man sieht sie nachts im Mondschein auf den Wiesen ihre Reigen führen und erkennt morgens die Spur im Tau.“ (Grimm.) Auch der überlieferte Name Eugl ist ein richtiger germanischer Eibenname, so wie der Zwerg Engi in deutschen Heldensagen erwähnt wird. 53) Es kann sich auch in diesem Falle ganz gut um einen Elfenkönig gehandelt haben.

53) Grimm, Mythologie, S. 698, Anm. 264, wo es heißt: "Zwerg Eugel weissagt!" Vgl. allgemein Elisabeth Hartmann, Die Trollvorstellungen in den Sagen und Märchen der skandinavischen Völker, Stuttgart 1936.

Den Typus freilich stellt immer wieder die Sage der Antike, vom „Tod des großen Pan“, die, älter als alle sprachgebundenen Versionen, in ihren zeitlosen Grundzügen eben auch hier weiterlebt.

Der auffallendste Zug dieser Sagen ist die Erzählung vom Verschwinden der Wilden Fräuelein unter solchen seltsamen Umständen. Wer hat wohl diese geheime Botschaft gebracht? Wessen war die geheime Stimme aus dem Wald? Was sollen auch die seltsamen Namen bedeuten und woher kommen sie? Auffallender Weise findet sich noch in Trins, also im Gschnitztal, wo auch schon die Bergnamen auf das Vorkommen von Elfen schließen lassen, eine ähnliche Sage:

In Trins lebte auf dem Schießer-Hof lange Jahre hindurch eine geheimnisvolle Frau als Dirne, aber nur während des Winters. Äußerlich hat man ihr nichts angesehen, „sie war ein Weibets wie alle andern“. Auffallend war nur ihre Eigenart, dass sie „umgekehrt ging“. Wenn sie im Winter Wasser holte, dann erkannte man es an den Spuren. Beim Aufwärtsgehen führte die Spur nach abwärts und beim Abwärtsgehen nach aufwärts. Man sagte, sie wär von der Warwelerswand gekommen, „wo die Wichtiler hausten“.
Als einmal ein Holzhacker an einem trüben Herbstabend bei der Egert oberhalb von Trins vorbeiging, schrie auf einmal eine seltsame Stimme von der Warwelerswand herüber:
„Holzknecht! Sag zu der Schießer Dirn: Anta Musanna ist gestorben!“
Als der Holzknecht dann zum Schießerhof kam und diese Botschaft überbrachte, saßen alle gerade beim Abendessen. Die fremde Dirn erschrak, dann stand sie auf, rückte den Stuhl zur Seite und ging, ohne ein Wort zu sprechen, zur Türe hinaus, um nie mehr wieder zu kommen.

Was soll von dieser Sage gehalten werden? Handelte es sich um eine sagenhafte Wilde Frau oder vielleicht um eine flüchtige Frau fremder Herkunft, die sich in der einsamen Berggegend verbarg? Aber woher der seltsame Name? Er kann ebenso wenig erfunden worden sein wie der Name von den Fräuelein im Schmirntal.

Solche sagenhaften Frauengestalten finden sich nun in vielen Gegenden des Wipptales.

Vor allem sei hier eine Frau auf der Sattelalm am Brenner erwähnt, die in mancher Hinsicht an die griechischen Sirenen erinnert. Sie hatte es besonders darauf abgesehen, Hirten und Bauern zu verlocken und in die Irre zu führen. Oft erschien sie in Gestalt eines alten Weibleins, besonders am Abend, und weinte und jammerte. Nach anderen Darstellungen hatte sie es besonders auf die jungen Leute abgesehen, die sie mit allen Mitteln in verführerischer Weise vom Weg abbringen wollte, bis sie sich auf einmal am Rand des Felsens der Gemsweide über dem Brennersee befanden.

So erging es vor etwa 50 Jahren dem Hoachenbauern, der sich im Spätherbst auf der Suche nach verlaufenen Schafen befand. Der Boden war mit fußtiefem Neuschnee bedeckt. Beim sogenannten Rossboden begegnete ihm auf einmal wie aus dem Boden gewachsen ein altes Weiblein mit einem seltsamen uralten Ombrell (Regenschirm) unterm Arm. „Weibele, wohin heunt“, fragte er sie leutselig und verwundert. Aber sie gab ihm keine Antwort und verschwand so schnell, wie sie gekommen war, ohne dass man im Neuschnee hätte Spuren sehen können. Der Bauer wollte verwundert weitergehen. Aber er fand sich nicht mehr zurecht und irrte stundenlang im sonst so bekannten Wald umher. Der kurze Weg zur Sattelalm war wie verhext. Erst nach einigen Stunden wurde auf einmal der Bann gelöst und unerklärlicherweise fand er sich in nächster Nähe der Kaser.

Gleichermaßen war es dem alten Häuslerbauern von Vinaders ergangen, einem sonst nüchternen, starken Mann, der sich vor Geistern und Hexen nicht fürchtete. Als er sich eines Abends auf dem Heimweg von den Bergmahdern befand, hörte er in der Nähe vom Rossboden weinende Kinderstimmen. Es schien ihm sogar, als wären es seine eigenen Kinder, die sich vielleicht verirrt hatten. So rannte er eilenden Schrittes in den Wald hinein und hetzte immer weiter und weiter, konnte aber den Kindern nicht näherkommen. Immer wieder hörte er das Weinen und Jammern der kleinen Kinder, deren Stimmen nun keinen Zweifel ließen, dass es seine eigenen waren. Das verdoppelte seine Angst und seine Aufregung. Immer weiter hetzte er den Berg hinan, dahin und dorthin. Und wenn er glaubte, er wäre den Kindern nahe genug gekommen, verstummte auf einmal wieder das Weinen und Schreien, worauf es in weiter Entfernung wieder von vorne begann. Niemals konnte er den weinenden Stimmen nahekommen. So hetzte er die halbe Nacht durch den Berg, bis er sich auf einmal gegen die Morgendämmerung zu in nächster Nähe des Hofes befand. Er konnte es selber nicht erklären, wieso er dorthin gekommen war. Dort pochte er angstvoll an Haus und Tor und fragte, wo die Kinder wären. Aber die Kinder lagen zutiefst im Schlaf. Dieses seltsame Erlebnis konnte er nie vergessen!

Auch der alte Knecht des Hoachenbauer, „Tuschen“ genannt, hat öfters die Gestalt des alten Weibeles gesehen und ihre geheimnisvolle Kraft verspürt. Unter Weinen und Klagen zog es ihn abseits des Weges in den Wald hinein, als wollte ihn diese „Sirene“ mit Gewalt vom rechten Weg abbringen und gegen die Felsen locken.

Eine solche singende Sirene, das Huetermadl genannt, hat auch den Hirten auf der Weirich-Alm im Navistal die schönsten Lieder gesungen und zwar vor allem bei Nacht. Sie wurde häufig und von vielen Personen singen gehört, so von Gürtler und Graler Martl. Auch der Kastner Dominikus beim Hilber auf Schöfens hat sie oft singen gehört. Die Hirten gingen sogar hinauf zum „zulosen“. (Die erwähnten Personen lebten vor langen Zeiten. Rögiler.)

Eine ähnliche Gestalt wie die Schießerdirn in Trins lebte vor alter Zeit beim Rueppenbauer in Navis. Auch in diesem Falle ist einmal gerade beim Abendessen eine andere fremde Dirn in die Stube gekommen und hat gesagt: „Die Stutzi-Mutzi ist tot.“ Daraufhin hat die Dirne zu weinen angefangen, hat ihre Sachen gepackt und ist davon. Beim Weggehen hat sie der Bäuerin folgenden Rat gegeben:
„Mach an leahn (weich) Toag,
Nor kriegst du a schians Brot.
Und tue den haarigen Wurm fleißig füettern, (die Katze)
Und beim Trog den Farkopf (?) sauber abspüelen,
Dann wirst Du Glück und Segen haben!“
(Rögiler.)

Noch seltsamer ist die Sage aus dem Venntal, wo sogar eine spanische Königstochter als erste Frau in einsamer Bergwildnis gelebt haben soll. Sie befand sich auf der Flucht vor einem Wüterich und wandte sich in ihrer Not abseits vom Weg in dies abgelegene Bergtal. Dort blieb sie dann bis zu ihrem Tode, nachdem sie ihren treuen Gefolgsmann geheiratet hatte. Von dieser spanischen Königstochter soll das weit verbreitete und wegen seiner Kunstfertigkeit berühmte Geschlecht der Strickner abstammen. Die Strickner sind stolz auf diesen hohen und seltsamen Ursprung ihres Geschlechtes.

Dieser Sage liegt sicher eine Wahrheit zugrunde, dass die Besiedler des Venntales von weit her gekommen sind. Das Volk hat dann die Erzählung mit einer so lieblichen Legende ausgeschmückt.

Auf dem hochgelegenen Einödhof beim „Stand“ in der Oberberger Leite lebten nach der Josefinischen Klosteraufhebung zwei oder drei Klosterfrauen in versteckter Kammer mit geheimem Zugang von unten her. Die Kammer ist noch erhalten. Vom Stadel her wurde durch eine Lucke das Essen hereingereicht. Die Klosterfrauen sind auch dort gestorben. Einige Erinnerungsstücke werden im Haus aufbewahrt.

Und im Arztal bei Ellbögen geisterte die Arztaler Frau. Diese seltene Gestalt lebt noch heute im Gedenken der dortigen Bauern ungemein lebendig weiter. Die Kinder machte man zu fürchten, indem man von der Arztaler Frau sprach: „Seid stille, sonst kimmt die Arztaler Frau!“ Oder man sagte, wenn jemand ins Arztal ging: „Tuest dich nicht fürchten vor der Arztaler Frau . . .?“
Man sagt von ihr, sie würde immer „Schlöglkübeltreiben“ und bei der Kaser an der Bodenalm, wo sich die geheimnisvolle Frau herumtrieb, hörte man in der Nacht, wie „sie Schlögkübel zuschlug“ (nach dem Buttern!). Die Ellbögener sagen daher heute noch, wenn der „Falkensenner-Bach“ aus dem Arztal heraus recht „tuscht und kracht“, dass die Arztaler Frau „Schlögkübel zuschlagt!“
Nicht selten hat man die Arztaler Frau auch wirklich gesehen. „Sie trug ein kurzes Kittele, einen Roafkittel“, wie die Leute sagen. Häufig hat man sie schreien und lurlen gehört. Bei Nacht ist sie auch in die Städel gekommen, wenn die Bauern zur Sommerszeit auf den Bergmahdern waren, und hat mit einem „Stecken hereingestochen“. Man fürchtete sich vor ihr. Niemand ging gern allein in die Kaser, noch weniger blieb man dort über Nacht.

Nach anderer Beschreibung (Fuchs Kathl) war sie eine große Frauengestalt, „mit blobem Gewand und einem schwarzen Tüchel“ bekleidet. Oft hat man sie „rearen“ gehört. Der alte Schneider- Bauer, gestorben um 1920, soll sie als letzter Mensch gesehen haben, ebenso auch der alte Kehrer in Tarzens bei Patsch. (Wer in der Abendzeit durch den einsamen Bergwald des Arztales wandert, hört das Käuzlein schreien wie eine jammernde Frau oder ein Kind. Kein Wunder, wenn man da an die Arztaler Frau dachte!)

Einmal ist ein furchtloser Wilderer ins Arztal gegangen und wollte allein auf der Bodenalm übernachten. Wieder hörte er von außen das „Schlögkübelzuschlagen“. Er ahnte nichts und dachte auch an nichts. Aber da ihn der Hunger plagte, wollte er hineingehen in die Kaser, um sich etwas kochen zu lassen. Aber niemand befand sich zur Hörbistzeit in der verlassenen Kaser, nur das Feuer brannte lohend auf der „Oasse“. Dann sah er auf einmal eine dunkle Gestalt, die mit einem Reiserbesen in der Kaser zusammenkehrte. Und alles, was sie zusammenbrachte, warf sie dann in die Pfanne hinein und hat es tüchtig herumgerührt, bis es richtige Nocken geworden waren. Daraufhin deutete sie dem einsamen Besucher, er möge sich nur an den Tisch setzen und tüchtig essen. Zuerst hat er nein geschüttelt und wollte sich nicht bewegen lassen. Dann aber dachte er sich, mag’s gehn, wie es will, und er setzte sich an den lisch, ißt die Schmalznocken und dankt zu guter Letzt mit einem einfachen Dankeswort. Im selben Augenblick steht vor ihm eine weiße Gestalt und die Arztaler Frau war erlöst! Seit dieser Zeit hat man sie nie mehr gesehen!

Quelle: Wipptaler Heimatsagen, gesammelt und herausgegeben von Hermann Holzmann, Wien 1948, S. 86 - 95.