Jenseitsglaube und Totenkult

In dunkle, oft undurchdringliche Schleier, die das Licht kaum ahnen lassen, ist die Geschichte unserer Bergtäler gehüllt. Keine Baudenkmäler, keine Schriften, keine Funde werden in den abgelegenen Hochtälern gemacht, da der Mensch der Berge nicht aus Stein, sondern aus Holz gebaut hat. Und wo Steinbauten vorhanden sind, da sind sie im Laufe der Jahrhunderte vollkommen neu gestaltet worden. Holz vermodert, Steine werden abgebrochen. Nur eines ist noch im Volke lebendig geblieben — das geistige Vermächtnis der Vergangenheit! Eine Fülle von Bräuchen und Sagen, von Erinnerungen und Überlieferungen, Flurnamen und Bergbezeichnungen muten uns heute wie ein letztes Vermächtnis unserer Ahnen an, hinter dem sich der dunkle Schleier der Vergangenheit leise lichtet. Wenn auch das alte Bauernhaus nicht mehr dasselbe ist wie in Urzeiten, so hat sich doch Form und Gestalt und Einrichtung erhalten. Wenn auch die Sprache der Urbewohner längst verklungen ist, so lebt sie doch noch auf den Bergen und Almen wie ein lebendiges Denkmal weiter. Fast jeder Berg und jedes Tal ist von einem geheimen Schleier umgeben. Wer ihn zu enthüllen imstande ist, dem offenbaren auch die Berge die tiefsten und letzten Geheimnisse, obwohl sie auch dann noch immer geheimnisvoll bleiben werden. Es ist wie mit dem sagenhaften Bergspiegel, den die Venediger-Männlein im Gschnitztal besaßen, um damit Gold und Schätze aus der Tiefe der Berge zu finden und zu heben!

Mag man manchmal nur auf schwache Vermutungen angewiesen sein, mögen viele Ergebnisse fast unhaltbar oder weit hergeholt scheinen, so steht doch das eine fest, dass die Ortsnamen, die Sagen und die Überlieferungen in vielen Fällen das einzige Behelfsmittel bilden, die über eine Reihe von vielen Geschlechtern hinweg die Verbindung von der Gegenwart zur Vergangenheit herstellten. Gerade diese Tatsache macht ja die Tiroler Landschaft besonders reizvoll und anziehend. Jeder Berg, jedes Tal und jedes Feld ist von einem alten Geschehen überschattet und umdämmert. Es lebt geradezu. Es wird zum Künder der alten und ältesten Zeit. Oft bilden sogar Ortsnamen und Bräuche die einzigen Anhaltspunkte, die uns wichtige Rückschlüsse auf das kulturelle und religiöse Leben und Denken unserer Vorfahren ermöglichen. Bei eingehender Untersuchung erkennt man daher überraschend, wie viele noch vorchristliche Erinnerungen im Volk durch Jahrhunderte weiterlebten und wie dann das Christentum organisch eingewachsen ist und somit nicht eine fremde, sondern eine höchst lebendige Verbindung mit dem Volk aufgenommen hat. Wie in einem fernen dämmerigen und schleierhaften Bild hebt sich daher das Leben unserer Vorfahren in der naturhaften und urwüchsigen Einfachheit der Bergbewohner ab. „Es gibt im Wipptal aus deutscher Zeit so manches Mythische in den Ortsnamen, wovon wir sonst überhaupt kein Zeugnis mehr finden oder was in den heimischen Sagen, Gebräuchen, ja sogar in den Zinstagen seine Erklärung oder seine Bestätigung findet!“ (Alois Egger.) Allerdings aber wäre es verfehlt und einseitig, immer nur auf „Germanisches“ zu schließen und jeden Brauch von diesem Standpunkt aus zu beurteilen. „Aber der alte Glaube lebt im Volk weiter in veränderter Form bis auf unsere Tage und der Volksglaube bleibt der Born, aus dem sich immer wieder heidnische Vorstellungen mit christlichen Heiligen verbanden.“ 1) Das ist kein Vorwurf der christlichen Religion gegenüber, sondern das ist der Lauf der geschichtlichen Entwicklung.

1) Fink, Die Kirchenpatrozinien Tirols, S. 11.

Viele Flurnamen und Sagen erzählen uns vom alten Geisterglauben der Vorfahren. Meist sind solche Sagen an eine Örtlichkeit gebunden, wo sich ein Wegkreuz oder ein Marterl oder ein Steinmal befindet. In den meisten Fällen handelt es sich natürlich um rein religiöse Motive, aber oft darf man viel tiefer schließen. Daher war ein solches Wegkreuz oder Bildstöckl nicht selten zum Schutz gegen das Böse oder gegen Seelengeister errichtet. Viele Wegkreuze erinnern daher an irgendwelche Geschehnisse aus früheren dunklen Zeiten.

Ein solches Kreuz hat sich einst — oder auch noch heute — am Eingang in das Tal von Obernberg befunden, wonach sogar ein ganzer Hof benannt wurde, nämlich der „Kreuziger“. Die Sage erzählt davon, dass zur Zeit des reichen Bergbaues in Obernberg die Knappenleute schlimmsten Frevel getrieben haben. Vor lauter Reichtum und Hab und Gut wussten sie nicht, was anfangen. An den Schuhen trugen sie Nägel aus Gold, mit den Butterknollen bewarfen sie sich. Ihr König hatte ein güldenes Kegelspiel, womit die Knappen Kegel spielten. Bei einem großen Fest stahlen sie in ihrem Übermut einem Bauern den größten Stier aus dem Stall und schunden ihn bei lebendigem Leib. Dann hetzten sie ihn talauswärts und das von Schmerzen wahnsinnig gepeinigte Tier sprang durch die wogenden Kornfelder und Wiesen und sein schreckliches Brüllen drang über alle Berge. An der Stelle, wo der Wildbach in die enge Schlucht stürzt, blieb das Tier stehen und brüllte wie anklagend gegen Himmel. Dieses Brüllen soll nicht mehr verstummt sein; vom Himmel selbst war die Antwort gekommen. Ein schreckliches Wetter mit Blitz und Donner wütete über Berg und Tal. Muren stürzten hernieder und begruben die ganze Knappensiedlung und die reichen Bergstollen. Über Nacht war das Bergwerk zerstört und vernichtet und die nachfolgende Pest machte den letzten Bergknappen, die auf die Wildgrube geflohen waren, ein grausames Ende. (Fürst)
An dieses grause Geschehnis erinnert noch heute das Kreuz am Taleingang und der dortige Hof wird beim „Kreuziger“ genannt.


Viel älter jedoch, aus rauhem Granitstein behauen, ist das Sühnekreuz im Matreier Wald. Solche Steinkreuze sind in Nordtirol recht selten. Der Sage nach wurde an dieser Stelle ein Ritter meuchlings erschlagen, weshalb dann das Sühnekreuz errichtet worden ist. Solche Sühnekreuze bildeten eine Eigenart des germanischen Rechtes. Aus den deutschen Rechtsaltertümern geht hervor, „dass Sühne- oder Mordkreuze bis zum 15. Jahrhundert herauf neben dem Wehrgeld als Sühne für begangene Bluttaten gesetzt wurden.“ 2) Die ursprüngliche germanische Sühne für einen Totschlag bildete bekanntermaßen das Wergeld, wozu später die christliche Sühne dazugekommen ist. Gerade für das Wipptal lässt sich nun nachweisen, dass sich das alte germanische Bahrrecht bis ins 16. Jahrhundert erhalten hat. 3)

2) Mailly, Deutsche Rechtsaltertümer in Sage und Brauchtum, S. 126.
3) Vgl. Kolb, Bahrrecht im Wipptal (Handschrift).

Auch einige Flurnamen gehen auf den Seelenglauben in christlicher oder vorchristlicher Zeit zurück: so in der „Marter“ oder am „Bildstöckl“; dann mögen die Alten die Seelengeister im „G'schwätz“ flüstern gehört haben, während der Flurname „G’stille“ an die heilige Ruhe und Abgeschiedenheit solcher Orte erinnert, wo Seelen ihren Wohnsitz haben.

Am Rasselstein in Obernberg und am dortigen Rasselkreuz sollen die Knappenleut von Obernberg herumgeistern, die sich einstens so frevelhaft versündigt haben, während die letzten Bergknappen auf die Wildgrube verbannt worden seien. Unterm Rasselstein soll das güldene Kegelspiel versteckt sein. Dort an dieser Stelle geschah es, dass die Knappen den Stier geschunden haben, worauf dann das fürchterliche Strafgericht hereingebrochen ist. „Der fromme Bauer bekreuzt sich noch heute, wenn er am Rasselstein vorbeigeht und in finsteren Nächten sollen die Irrlichter herumhuschen und feurige Katzenaugen dem Schatzgräber ansagen, wo das güldene Kegelspiel begraben liegt.“4)

4) Egger, Flurnamen, unter „Rasselstein“, S. 376.

Vielleicht erinnert auch der Lorleswald in Schmirn an das Lurlen von Totengeistern. Allerdings erklärt die Volkssage die Entstehung dieses Namens von „Lurlen“ in anderer Weise: das ganze Tal Schmirn war einst infolge der Pest entvölkert. Da haben sich die Matreier Herren entschlossen, eine Reihe von jungen Leuten mit frohem Fest und Gesang zu verheiraten, worauf der Hochzeitszug in das Schmirntal ging. Aber das junge Volk soll sich darüber so entsetzt haben, daß sie mit Peitschen in die verlassene Wildnis getrieben werden mußten. Dann haben sie beim Taleingang so „gelurlt“, daß noch heute der Name Lorleswald. geblieben ist. (Zach Nanne und Cajetan Gratl.)

Viele Sagen wissen auch von verbannten Geistern zu erzählen, die sich meistens an unheimlichen, wilden Bergorten aufhalten.

Der Geist der Thurler-Burge ist in die Schwarze Wand im Padaster-Tal gebannt. Wenn die Hirtenbuben „Thurloj“ schreien oder wenn man mit „ausgespannten Armen hinaufflucht“, dann wirft der Geist Steine herunter.

An gebannte Geister erinnert auch die düstere Schwarze Wand am Tribulaun, vielleicht dass der Name „Im Elend“ mitten im dortigen Geschröfe damit zusammenhängt. Denn dort geistert die ruhelose Seele des ehemaligen Kuraten Amort von Vinaders, der die Stipendien von der einstigen Seelsorge Lueg missbraucht hätte. Zuerst hat er in der Kirche von Vinaders sein Unwesen getrieben und die Leute besonders bei Nacht geängstigt. Manchmal war die Kirche taghell erleuchtet. Einmal ging der Mesner in kalter Winternacht Betläuten, als sich der Geist wieder in der hellerleuchteten Kirche befand. Der Mesner aber fürchtete sich nicht und dachte, solange er nur in der Kirche wär, tuts keinen Schaden. Aber der Geist folgte ihm auch in das Glockenhaus nach, so dass der Mesner schleunigst Reißaus nahm. Daraufhin wurde der Geist in die Schwarze Wand im Hinterenns gebannt. Drei Geistliche, die sich eines besonders heiligmäßigen Rufes erfreuten, versuchten die Bannung des Geistes. Aber der erste Pfarrer hatte einmal als Kind in der Schule einen Griffel gestohlen — daher hatte er zu wenig Macht über den Geist. Der zweite Pfarrer hatte einmal als Kind seiner Mutter „Rueben“ gestohlen — der hatte auch zu „wenig Kraft“, erst dem Kapuziner-Guardian gelang es, den Geist mit zwei brennenden Kerzen in der Hand in das „Hohe Geläut“ am Tribulaun zu bannen. Die Bannung führte durch das ganze Tal hindurch. Diese Sage ist noch heute in Obernberg sehr lebendig. Der alte Fürstbauer gibt an, er habe einmal im Hinterenns in der Nachtstunde jemanden am Feuer sitzen gesehen, der Knödel gekocht hat, und wär gleich wieder verschwunden. Der alte Borthe erzählt, daß er einmal auf der Jagd droben im Gebiet der schwarzen Wand einen Geistlichen aus dem Nebeltreiben auftauchen sah, der ernsthaft sein Brevier gebetet hat und dann wieder verschwunden ist.

Auf die Unmenge von Geister- und Ung’schichtensagen im Wipptal wird ja noch später eingegangen. Auffallend aber ist vor allem die Erscheinung von Geistern in Form von Irrlichtern über Felder und Berge. Vielleicht mag das Volk einstens am „Zündler“ am Habichtkamm solche huschende Irrlichter gesehen haben, denn der Berg-Habicht, in alter Form „Hoger“ geheißen (der Höchste), galt im Gschnitztal und im Stubaital als Hauptverbannungsort von Geistern und Hexen. So erzählte der alte Silbergasser ganz aufgeregt: „Da ist der Geist über den Hobach geritten und die glühnigen Eisen (Steigeisen) haben gefunkt!“ (Silbergasser.) Wie plastisch und volksanschaulich ist doch dieses Bild!

Irrlichter sah man noch in vielen anderen Tälern, fast überall im Wipptal.

So geisterte beim „Geneinhäusl“ in Schmirn das sogenannte „Schupfenlichtl“. (Cajetan Gratl.) Irrlichter sah man auch am „Kienberg“ in Obernberg, ja schon der Name deutet darauf hin (heute verunstaltet zu Kühberg!), dann am Gewanger Kreuz in Obernberg.

Andererseits aber gibt es auch Flurnamen, die nach Tieren benannt sind oder auch auf versteinerte Menschen hinweisen, ähnlich wie bei der Frauhitt-Sage in Innsbruck.

Die alte Burg Aufenstein bei Matrei, die einst herrliche Zeiten gesehen hatte, leitet den Namen von „Ouf“ ab und bedeutet Eulenstein. Der Sage nach sollen untreue Weiber früher zu Eulen verwandelt worden sein.

Das steinerne Lamm in Schmirn geht auf die auffallende Form eines Lammes am dortigen Joch zurück, während die Katzenlöcher und Katzlas-Reiße in Trins ebenfalls mit irgendeiner Sage in Verbindung stehen dürften, obwohl jede Erinnerung daran erstorben ist.

Bekannt ist auch der versteinerte König am Tribulaun, das „Goldkappl“ genannt.

Vielleicht, dass auch der „Kraxentrager“ einer persönlichen Vorstellung oder Sage den Namen verdankt. Vom Valsertal aus sieht man kleine Steinmannln auf dem Gipfelkamm dieses Berges. Die Gestalt des Kraxentragers, oft auch des ungetreuen Kraxentragers, ist ja im Wipptal sehr bekannt. Über alle Berge und Jöcher sind die Kraxentrager mit ihren Waren gewandelt: eine der volkstümlichsten und interessantesten Figuren im alten Tiroler Volksleben! Die Bedeutung dieser Kraxentrager auch in politischer Hinsicht — als lebendiger Zeitungsdienst — war nicht zu unterschätzen (1809). Diese volkstümlichen Gestalten sind ja aus Geschichte und Literatur bekannt. 1742 bittet „Gertraud Holzmannin, eine alt erlebte Kraxentragerin auf dem Lueg, Landtgericht Steinach“, in einer Eingabe an die landesfürstliche Camer, „ihr nichts Hinderliches in den Weg zu legen“, wenn sie „von den Bäuerinnen aus dem Pfitsch Eier und Hühner nach Innsbruck“ bringt (Zwei Tagemärsche). 5) Eine solch volkstümliche Vorstellung der alten Kraxentrager lebt auch in dem Sterzinger Kinderspruch weiter:

Der Kraxentrager Hiesele
Kocht alle Tag ein Müesele.
Gehen tuet er spannenweit
Und rasten tuet er lange Zeit.“

5) Innsbrucker Stadtarchiv, Causa Domini, 1742, 18. Juni, fol. 257.

In Liedern, Spielen und Parodien des Ziller-, Tuxer- und Ahrntals und der östlichen Tauerntäler gehört der Kraxenträger zu den beliebtesten Volkstypen. Auch die vielen Tiroler Nikolausspiele und -Umzüge verzichten nicht gerne auf ihn (A. Dörrer).

Auch vom Teufel selbst hört man im Volk oft erzählen, obwohl es hier wenig Flur- und Bergnamen gibt, die an diesen Bösewicht erinnern.

So soll er [der Teufel] in alten Zeiten an der unheimlichen Gewanger Mühle am Eingang ins Obernberger Tal geklappert und gekracht haben. Einmal konnte eine Frau, die sich auf dem Weg nach Obernberg befand, an dieser Stelle nicht mehr weiterkommen. Sie war „gebannt“. In ihrer Not machte sie ein Gelöbnis, ein Bildstöcklein aufzustellen, und gleich darauf war der Bann gelöst (Fürst). Heute noch befindet sich an derselben Stelle ein Bildstöckl.

Flurnamen jedoch erinnern selten an diesen Bösewicht, wohl aber gibt es da oder dort sogenannte Teufelssteine.

Ein solcher vom Volk als Teufelsstein bezeichneter Fels befindet sich auf dem Weg zur Maria-Waldrast in der Nähe der Sieben Brunnen. Dort hat einmal der Teufel einen Mann an den Felsen gepreßt. 6)
6) Erzählung des etwa 75jährigen Pionerbauern von Pion, der in Mitzens bei Matrei aufgewachsen ist.

Ein anderer großer Stein von länglicher, rechteckiger Form liegt unter der Sattelalm, noch im Wald. Von diesem dunkel gefärbten Block wird erzählt, dass ihn einmal der Teufel vom Padauner Joch herüber geworfen habe, als er von einem verwegenen Hirten herausgefordert wurde. Der Hirt konnte sich nur retten, dass er ein Kreuz gemacht habe, und so konnte ihm der Teufel nicht nahekommen. Auch im Stein sieht man noch dieses rohe Kreuzlein (Hoachenbauer).

Dann gibt es aber auf vielen Weiden Stellen, die vom Volk als „Teufelslagerplatz“ bezeichnet werden (Zach Nanne). Wenn sich das Vieh dort niederlässt, bekommt es den „Brand“. In dieser Hinsicht genoß die Valmeritz-Alm bei Steinach einen gefürchteten Ruf. Einmal musste deswegen sogar das ganze Vieh abgetrieben werden. Als der alte Zach mit seinem Sohn (vor etwa hundert Jahren) dort gehütet hat, gab es einmal ein furchtbares Unwetter. Der Vater ist aufgestanden und zum Vieh gegangen, während der Bub in der Hütte blieb. Er erzählte dann, bei der „Tür wären die Gluhn auf und nieder gefahren und er hätte wollen heraus, aber jemand hätte die Tür zugehalten. Es muss der Teufel gewesen sein.“
Am andern Tag war der Bub krumm und hinkte.

Der Sage nach soll die Alm Valmeritz in einer einzigen Nacht von den Trinsern „versoffen worden sein“, so dass sie in den Besitz von Steinacher Bauern gekommen ist. Es hätt sich nur um ein „graues Hemat“ (= Hemd) gehandelt (Grampler).

Der Rauschbrand wurde ganz allgemein als eine Teufelskrankheit bezeichnet, als „etwas nicht Natürliches“. Vielfach wurden Beschwörungen angewandt.

Besonders kräftig sollen die Weihen des Pfarrers Pittrich von Steinach gewesen sein, der einmal den Rauschbrand aus Presante und auf der Gerichtsherrnalm gebannt hat.

Ebenfalls hatte der alte Gschnitzer Pfarrer Grundner großen Ruf in dieser Hinsicht. Als einmal die Ellbögner zu ihm gekommen sind, um ein Mittel gegen den Brand zu erhalten, hat er ihnen gesagt: „Ihr müsst mir Erde von der dortigen Alm bringen!“ Diese Erde wurde dann von ihm geweiht und wieder auf die Alm zurückgebracht und ausgestreut. Dann ist kein Vieh mehr gefallen. Auch der Niederer-Berg bei Vinaders war deswegen verrufen und galt als „verhext“. (Vgl. Kapitel Hexen.)

An den Teufel selbst dürften wohl auch die verschiedenen Höllennamen erinnern, so das schon im 13. Jh. erwähnte Hölltal im Navis. Eine Hintere Hölle, eine Höllscharte und eine Höllwand befindet sich auch in der wildromantischen und sagenumwobenen Gegend des Olpererkamm bis zum Kaserer Spitz hin. Von Teufelssagen selbst sei der sagenhafte Geigenstein in Trins erwähnt. 7)
7) Der Geigenstein von Michael Mößner, Tiroler Heimatblätter 1935, S. 121.

„Unter diesem Geigenstein in Trins ist einmal eine Schenke gestanden. Da sind an Sonntagen die Burschen und Mädchen von Trins hingegangen, um zu tanzen. Dabei ging es immer recht ausgelassen und sündhaft her. Es war ein recht wüstes Treiben. Die Mädchen lachten zu den schamlosen Possen der Burschen. Das gefiel dem Teufel.
Als an einem Sonntagnachmittag Burschen und Mädchen wieder hier beisammen waren und es wieder recht wüst trieben, erschien unter ihnen ein flotter Bursche, der allen fremd war. Er tug ein rotes Wams und einen Gupf hüt mit einer roten Hahnenfeder. Es war ein fahrender Musikant mit einer Geige. Der flotte Spielmann spielte mit der Geige zum Tanze auf. Im tollen Wirbel wurde getanzt. Die Röcke der Mädchen flogen hochauf. Die Tanzenden ermüdeten, doch der Spielmann spielte weiter auf und die Paare mussten tanzen. Es kam zum Streit mit dem Spielmann. Dieser sagte: Ich will nicht lange streiten — in einer halben Stunde gehört ihr doch alle mir! Er ging sodann aus der Schenke hinaus und schlug die Geige an den Stein, dass der Abdruck davon an dem Stein haften blieb. Es kam Rauch und Feuer hervor. Die Schenke fiel zusammen. Die Leute gingen zugrunde. Der Boden öffnete sich und Tänzer und Tänzerinnen versanken in den Abgrund. Nun ging für sie ein anderer Tanz los, der Höllentanz; denn der Spielmann war niemand anderer als der Teufel, dem die Leute wegen ihres gotteslästerlichen Treibens verfallen waren."

Eine gruselige Teufelssage wird vom alten Schloß Aufenstein, dessen Kapelle der hl. Katharina geweiht ist und deshalb im Volksmund kurz St. Kathrein heißt, erzählt: dort feierte man die Mitternachtsmette zu Weihnachten. Ritter und Knecht, Bauer und Herr hatten sich in der Schloßkapelle eingefunden, wo das heilige Opfer dargebracht wurde. Nur drei verwegene Knechte hielten sich im Turmgemäuer auf, wo man durch eine enge Luke in die Kapelle sehen konnte. Ohne sich am heiligen Opfer zu beteiligen, spielten sie mit den Karten und ergaben sich ganz ihrer wilden Leidenschaft. Da läutete aber das Glöcklein, um die heilige Wandlung anzukündigen. Eben traf es einen, auszuspielen, aber er zögerte. Der andere rief ihm zu:
„Christi, misch!“
Doch der warf die Karten zur Seite und sprach ehrfürchtig: „Nay — der Herr wandelt!“
Da riss der andere die Karten von der Steinplatte und wollte eben ausspielen — aber im selben Moment fuhr der Teufel beim Turmfenster herein, zerrte den verwegenen Kartenspieler an den Haaren heraus und warf ihn an die hohe Mauer des Wehrturmes. Dort hat man lang noch den blutig roten Fleck gesehen. (Zach Nanne.)

Eine sehr drastische Vorstellung einer Teufelserscheinung wird auch vom verrufenen Riedwirtsgasthaus bei Matrei erzählt. Dort war einmal das junge Volk zum Tanz gekommen und es ging wüst und wild zu. Da hockte auf einmal der Teufel oben am First und schaute auf die Leute herunter. Aber er konnte die Leute doch nicht in die Gewalt bekommen. (Rosina Penz.)

In ähnlicher Erscheinung hockte der Teufel einmal auch auf dem Dachfirst des Mauserhofes in Tienzens „und ließ den Schnabel und das struppige Gefieder herunterhängen wie ein zerflatterter Geir“. Der dortige Bauer Mauser Blasige galt als wilder und grober Trunkenbold, „ein schiecher Loter“, wie ihn die Leut nannten. Er hat seine Frau so misshandelt, dass sie immer unter den „Barren“ im Stall geschloffen ist. Mauser Blasige ist hernach, spurlos verschwunden . . . (Schneiderin.)

Viel seltener treffen die sogenannten „Teufelsverschreibungen“ auf, obwohl sie in alter Zeit bestimmt nicht selten waren. (Vgl. S. 143.) Das alte Motiv der Teufelsverschreibung spielt ja in der deutschen Sagenwelt eine große Rolle. Dem Grunde nach erkennt man darin das alte Faustmotiv, die irdische Schwäche mit überirdischer Stärke zu paaren. Dem Tuifel verschrieben waren in den Augen des Volkes viele verwegene Wilderer, die bei jedem Jagdgang ihre Gemse mit heimbrachten. Die abergläubischen Beschwörungen beim „Stellen der Gemsen“ waren in den Augen des Volkes so furchtbar, dass sich die Leute bekreuzigten:
„Die Gams soll nit vom Fleck mehr kommen,
Wie Christus ist am Kreuze ghangen!“ (Fürst)

Dem Teufel verschrieben und vom Teufel geholt werden auch alle Wilderer, die es wagen, die geheimnisvollen „Bluetkugeln“ zu gießen. Einmal fliegt die Kugel auf den Schützen zurück, der dann vom Teufel geholt wird.

Man hat sich aber auch dem Tuifel verschrieben, um zu überirdischer Kraft zu gelangen. Die Stierkraft der Bauernburschen spielte in alter Zeit eine große Rolle. Die ganze Ehre des Dorfes oder einer Talschaft hing bei den Raufereien ab. Der Robler wurde verlacht, wenn er verspielte und er wurde im ganzen Tale rühmend genannt, wenn er den Kampf bestanden hat. Oft aber ist auch grause Feindschaft und Rache aus den alten Kampfspielen am Tennenboden erwachsen und aus Scherz blutiger Ernst geworden. So versteht man es, wenn manche Burschen zum Letzten ihre Zuflucht nahmen.

Mehreren Freiheitskämpfern des Jahres 1809, so vom Lutzer in Vals und von den Gebrüdern Jenewein von Obernberg, die mit herkulischer Stärke ausgezeichnet waren, sagte das Volk überirdische Stärke nach. Der Lutzer war kugelsicher, die Jenebein waren „gefroren“; ihnen konnte kein Schlag und keine Waffe etwas antun, höchstens ein goldener Säbel. Dieser Jenewein, vulgo Blasiger Jörgile war „gefroren“ und konnte mit dem Kopf mit voller Wucht an eine Mauer springen, ohne dass er etwas spürte. Nur goldene Waffen konnten ihm beikommen. Zufällig hatte auch ein französischer Offizier bei den Kämpfen im Jahre 1809 bei Gossensaß einen Säbel mit goldenem Griff und daher konnte er ihm eine schwere Wunde mitten im Gesicht beibringen. „Denn das Güldene löst alles auf!“ (Fürst und Töchterler.)

Dem Teufel verschrieben war auch der bärenstarke Hümmerer von Obernberg (Hammer), von dem die Leute heute noch erzählen, „er war ein Ries, so stark und so groß“. Schon in seiner Jugend hob er sich seiner Größe und Körperkraft wegen von seinen Altersgenossen ab. Mit 18 Jahren nahm er keck die Herausforderung des stärksten Roblers im ganzen Tal bei einem Markt an. Aber der Robler lachte über ihn und sagte: „Mit Kindern tue ich nit schmeißen!“ Der stierköpfige Hummerer gab jedoch nicht bei und sagte kurz und zornig: „Kinder seind auch Leut!“ Daraufhin hat der Zweikampf begonnen und der Hummerer zeigte sich als Meister. Bei jeder Rauferei sagte er folgenden Spruch, der von den Leuten wie ein Bannspruch aufgefaßt wurde:
„Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit
schlag ich alle andern —
im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes!“ Die Stärke seines Armes und vor allem seiner Finger wird durch folgende Erinnerung veranschaulicht: Bei der Töchterler-Alm am Obernberger See zeigte der Hummerer seine Kraft. Er nahm eine hölzerne Milchschüssel und hob sie nur mit den Fingern allein in die Höhe, bis der Arm gestreckt war. Bei dieser Übung gelang es ihm, genau 49 alte Pfund zu heben, aber so sehr er auch versuchte, 50 Pfund brachte er nie zustande. (Töchterler.)

Einmal ging der Hummerer in Obernberg „auf die Gasse“, d. h. zu einer Dirn fensterlen. Als er schon bei der Leiter hinaufstieg, war plötzlich ein kleines altes Männlein erschienen und „naggelte“ (schüttelte) an der Leiter, dass sie fast umfiel. Der Hummerer wurde zornig und schrie herunter: „Gehst du nit, sonst werf ich dich hinunter!“ Das „Löterle“ hat jedoch nicht nachgegeben, so dass der wilde Raufer heruntergesprungen ist und das Löterle in den Dreck geworfen hat. Das Löterle aber ist aufgestanden, als ob nichts gewesen wär und hat ruhig gesagt: „Rührst du mich noch einmal an, dann schlag ich dich neun Ellen in den Boden hinab!“
Dieser riesenhafte bärenstarke Robler aus dem Obernberger Tal war dem Volksglauben nach dem Teufel verschrieben. Von ihm hatte er die menschlich nicht mehr erklärbare Kraft. „Bei seinem Tode hat das ganze Haus gekracht!“ (Töchterler und Salchner-Christler.)

Dem Teufel verschrieben hatte sich auch der alte Egger (vom Eggen-Hof ober Gries), der den Teufel beim Kartenspielen brauchte. Dieser Egger verspielte nie. Jedes Mal, wenn er ins Pustertal zum Markt fuhr, gewann er ein Paar Ochsen. Aber zum Schluss reute ihn sein sündhaftes Leben und er wollte sich vom Teufel wieder lossagen. Die Wallfahrt Maria-Waldrast hatte er zur Buße ausersehen. Er war jedoch „so sündhaft schwer, dass ihn sieben Paar Ross nicht hinaufziehen konnten“. Noch ein achtes Paar musste mithelfen. Auf der Waldrast droben haben ihn die Patres in den „Weichbrunnkessel hineingestellt und ihm das Höchste Gut zum Schutze auf den Kopf gestellt“. „Jetzt soll er ihn nur vertragen“, haben die Umstehenden gesagt. Der Teufel hat es wohl versucht, aber er war doch zu schwach. Dafür hat er laut geschrien: „Tuet mir das Blattl (Hostie) weg!“ Aber die Patres haben nicht nachgegeben, sondern haben den Teufel gefragt, wo er den Schuldschein des Sünders habe, der mit dem eigenen Blut unterschrieben worden sei. „Wo ist die Unterschrift . . .?“ Da antwortete dann der Teufel: „Die hat das Weib am Altar droben!“ Damit meinte er das Muttergottesbild am Hochaltar. Als man nachschaute, fand man tatsächlich den „Schuldschein“ im Besitz des Gnadenbildes. Der Teufel musste nachgeben.
Bald darauf ist der alte Egger gestorben und dann sah man noch lange einen schwarzen Hund um das Haus geistern und bei der Geldkiste sitzen . . . (Fürst und Töchterler.)

Dem Teufel verschrieben war auch der berüchtigte Wilderer von Nößlach, namens Hagatler. Der hat sich können plötzlich verstecken und unsichtbar machen (Fürst und andere).

Auch zwei andere Obernberger Burschen hatten sich dem Teufel verschrieben, nur um der stärkste Robler zu werden. Der Name des einen hieß „Liedele“ (Lienhart). Beide haben mit eigenem Blut einen Vertrag unterzeichnet. Der eine Bruder wurde persönlich vom Teufel geholt, während der andere später beim Seaper-Bauern in Mauern bei Steinach als Knecht angestellt war. Auf den Bergmahdern im Inzental kam er einmal scherzweise mit einem andern Burschen zu raufen. Da hat sich der Teufel hineingemischt, hat den einen „geschüttelt“ und zum Liedele hat er gedroht: „Das nächste Mal hole ich Dich!“ Daraufhin hat den Knecht Angst und Reue gepackt, ja er hat sich auf die Waldrast verlobt. In der Waldrast haben ihn die Pater auf den Weichbrunnkessel aufgesetzt. Aber der Teufel hat ihn mitsamt dem Panzen hochgehoben. Und doch war das Gebet und die Reue stärker als der Teufel, so dass der Knecht gerettet wurde (Schneiderin).

In Schmirn aber hat der Mesner Tudl (Tunig), auch Tudlas-Ries genannt wegen seiner Stärke, mit dem Teufel selbst gerauft. Dieser Mesner Tudl stammte aus dem abergläubischen Mesnergeschlecht, namens Eller, heute nur noch in weiblicher Linie auf demselben Hof. Er fürchtete sich überhaupt vor nichts. Kein Mensch war ihm beim Raufen gewachsen. So sind sie eines Nachts über die Eggen heraufgekommen, ihrer mehrer Burschen und haben gejuchzt. Dann hat er zu den andern übermütig gesagt: „Wir fürchten uns vor nichts, mag kommen, was und wer will!“ Dann hat es zur Antwort aus der Dunkelheit herausfordernd gejuchzt; sie glaubten, es wollte jemand mit ihnen raufen. Er hat gesagt, „lasst ihn nur kommen!“ Dann ist ein „endsgroßer Loter aufgetaucht“, aber der Tudl hat schneidig gesagt: „Lasst mir den Tuifl!“ Dann geht er den fremden Raufer an und packt ihn gleich an den Füßen, wie er es gewohnt war, um ihn „überzuwerfen“, doch in dem Augenblick spürt er, dass er auf „Geißfüße“ gegriffen hat. „Mit Dir rauf i nit mehr“, hat er kaltblütig gesagt, „Du hast ja Goaß-Füeß!“ Aber er hat ihn trotzdem über das Geländer in den Bach geworfen.
Später ist derselbe Tudlas Ries bei Hochwasser in den Bach gefallen und zugrunde gegangen. Erst nach einem halben Jahr hat man „einen Schinken“ gefunden (Draxler).

Aus derselben Familie Eller des Mösnerhofes haben sich einige dem Teufel verschrieben, dass er ihnen Geld bringen solle. Damals gab es Kreuztaler und Kronentaler. Die Kreuztaler galten als wertvoller und daher verlangten sie „lauter Kreuztaler vom Tuifel“. Aber das war dem Teufel wieder nicht möglich, weil eben ein Kreuz auf dem Taler abgebildet ist. So ist er ihnen „ganz glühniger erschienen“, aber ohne ein Geld zu bringen. Die wilden Gesellen sind gegen den Widum gesprungen und haben verzweifelt an die Tür geklopft, ohne sich Zeit zu nehmen, den Pfarrer bei vollem Namen zu nennen. Er war etwas mit ihnen verwandt. Daher riefen sie hinauf: „Vötter! Steh g’schwind auf! Es verträgt uns der Tuifel!“ Da ist der Pfarrer mit ihnen in die Kirche und sie haben Tür und Tor verrammelt, aber es hat draußen furchtbar gekracht und an die Tür gestoßen. „So hat er es mit dem Segen allein gar nimmer gewagt, sondern hat den Gesellen das Höchste Guet auf den Kopf gesetzt.“ Deutlich hörten sie draußen den Tuifel toben und schreien:
„Hätten sie nur das Käppi nit au (Höchste Gut),
Dann hätt i sie schon geholt!“ (Draxler.)

Mit dem Teufel im Bund stand auch der Jackler aus Schmirn, aus der Mösner-Verwandtschaft stammend. Er galt als gefürchteter Wilderer, der selten oder nie ohne Jagdbeute aus den Bergen zurückkehrte. Einmal blieb er drei Tage aus und die Leute gingen aus, ihn zu suchen, da sie dachten, es wäre ihm etwas geschehen. Die Jäger hatten ihn verfolgt und in die Enge getrieben. Aber als sie ihn fangen wollten, hat er plötzlich die Hose an den Knien hochgezogen und auf bloßem Knie — ähnlich wie der Gamsgoaßer in Navis — Tabak geschnitten. Da waren die Jäger machtlos und konnten ihm nicht beikommen. Als er davonlief, schossen sie ihm nach. Die Kugeln jedoch steckten im Brot, das er im Rucksack mit sich trug.
Er war in der Kunst des Gemsenstellens erfahren. Einmal ist der Pfarrer und einige andere Gesellen mit ihm auf die Jagd gegangen. Wieder hat er seine Kunst probiert und die Gemsen sind „gestanden“. Da hat der Pfarrer den Bann gelöst und nun sahen alle voller Schreck, wie der Tuifel selbst jede Gemse an den Hörnern hielt und „den Gamsen sein die Pobblen (Tränen) nur so oergerunnen“! (Draxler.)

Den Teufel bannte man mit Hilfe des alten Tiroler Schutzpatrons, des heiligen Valentin, dem man auf dem Brennerpass ein Kirchlein geweiht und dessen Fest noch heute von den Bauern in unentwegter Anhänglichkeit gefeiert wird. Dieser St. Valentinstag wird hier schon im alten Trautson-Urbar von 1423 „Sant Valenteinstag“ erwähnt. Noch heute pilgern am „Valtinstag“ hunderte von Bauern des Unteren und Oberen Wipptales zum uralten Heiligtum des Valentin auf dem Brennerpass empor. Sogar die Sage weiß noch vom alten Valentin zu erzählen:

„Und als der heilige Valentin vom Süden her gegen den Norden zog, um die neue Lehre zu verkünden, da fand er auf der Höhe eines Bergpasses undurchdringliche Wälder vor, die sein Weiterkommen sehr erschwerten. Da befahl er seinen Gefolgsleuten, sie sollten den Wald in Brand setzen. Und zur Erinnerung an diesen großen Waldbrand auf der Berghöhe nannte er den Bergpaß: Brenner.
Und als er in die Gegend von Steinach kam, da wollten ihn die heidnischen Bewohner nicht aufnehmen, sondern sie warfen ihm Steine nach und hetzten ihn mit den Hunden weiter. Zur Erinnerung an diese ungastliche Aufnahme nannte er den Ort: Steinig! (Steinach!) Müd und matt kam er endlich in die Ortschaft Matrei, wo man ihn freundlich aufnahm und mit Eiern labte. Zur Erinnerung daran, weil er so müde und matt war und mit Eiern bewirtet wurde, nannte er den Ort: Matrei! (Hofer Kathl.)

Wenn diese Sage auch leicht erkennen lässt, dass sie eine volkstümliche Auslegung des Ortsnamens bezweckt, so ist sie doch insofern interessant, weil in dieser Sage allein die Erinnerung an den Heiligen Valentin hier festgehalten wurde 8), ähnlich wie die Erinnerung an den hl. Korbinian durch eine Kapelle in Hötting und durch ein Übertragungsfest in Wilten. Beide Heilige zählen zu den frühesten Glaubensboten der Meraner Gegend.

8) Die Sage über den Brenner ist weit verbreitet, in dieser Form erzählt von Moar-Hartlin, Mauern bei Steinach († 1938, 88jahre alt).

Manche heiligmäßige Geistliche genossen beim Volk besonderes Ansehen und besondere Gewalt bei Teufelsbeschwörungen. So hat vor allem der Kurat von Gschnitz, Christian Grundner (1846 - 1860), größten Ruf als Teufelsbeschwörer genossen. Damals sind die letzten Beschwörungen und Austreibungen im Wipptal erfolgt. Der Kurat hat aber auch die Hexen gebannt. Einmal hat er gerufen: „Seht ihr die Hexen kommen . . .? Sie muss ich bannen!“ Von weither sind die Leute gekommen, um seine Hilfe und Beistand zu erbitten.

Einmal sind zwei besessene Zillertalerinnen zu ihm [Kurat von Gschnitz] geführt worden. Sie begannen zu tanzen, als das „Höchste Gut“ vorbeigetragen wurde. Der Kurat musste tagelang zuvor strengstens fasten und harte Buße verrichten. Er tötete sich selbst in solcher Weise ab, dass er an seiner Gesundheit schweren Schaden erlitt. Auf dem Weg nach Gschnitz haben die zwei Zillertalerinnen in einem Haus übernachtet, wobei dann der welsche Michel gesagt hat: „Sollt ich nit einmal juchzen!“ Als dann der Kurat die Teufel austreiben wollte, fragte er, ob sie alle daran glaubten. Ein Trinser war dabei, der es nicht glauben wollte. Dann fragte der Teufel aus den Besessenen heraus, ob er in ein Fass fahren dürfe. Aber der Kurat sagte ihm: „Nein, nur där Hölle zu!“ Da jammerte der Teufel und sagte: „Ach — das wär hart!“ Dann fragte er wieder um eine Gunst, ob er in eine „Schmelche“ (Grashalm) fahren dürfe . . .? Aber wieder blieb der Kurat starr bei seinem Nein: „Schnurstracks der Hölle zu!“ Zum zweiten Mal jammerte der Teufel: „Ach — das wär hart!“ Dann wurde der Teufel wirklich gebannt und er ist in Form einer dicken Hummel — nach anderer Darstellung einer Fliege — aus dem Munde der Besessenen herausgefahren. Die Hummel tuschte schwer an die Fenster. Dann ist sie verschwunden. Der Teufel aber hat die zwei Weiber auf das Steinpflaster geworfen, dass man gemeint hat, sie müssten zerschlagen und zerschmettert sein. Doch es ist ihnen nichts geschehen, sondern sie waren wieder geheilt . . . (Schneiderin und Grampier).

Ein anderes Madl war ebenfalls vom Teufel besessen und kroch immer im Stall herum. Da hat sie ein Kind bekommen (Schneiderin). Hier scheint sich wohl eine Tragödie abgespielt zu haben, deren grausame Schwere man nur noch ahnen kann!

Der Pfarrer „Jossep“ von Schmirn galt als heiligmäßiger Mann, der aber schwer von der „entrischen Welt“ verfolgt wurde. Nach dem Betläuten am Abend durfte er sich allein überhaupt nicht in das Freie wagen. Einmal ging er allein über die Eggen durch die enge Talschlucht gegen Abend nach Hause. Da verirrte er sich so, dass er auf einmal im Wald ober dem Modlerhof herumsuchte. Die Gegend, wo er vom Weg abkam, nennt man daher noch heute die „Hölle“ (Hörtnagl, Schmirn).

Als unheimliche Stätten galten jene Örtlichkeiten, wo sich die Richtstatt befand, zum Beispiel der Anger oder der Pranger. In Steinach nannte man diese Stätte den Eschpaum, ein Name, der jedoch heute vergessen ist, da die alte Richtstätte beim Bahnbau zerstört wurde. Dafür heißt die umliegende Flur Padinne, eingeteilt in die obere und untere Padinne. Nach Alois Egger kann dies Wort so viel wie Eberesche bedeuten. Ursprünglich mag daher an dieser Dingstätte nur ein Eschbaum gestanden haben. Im Zusammenhang damit soll nur auf die ungemein wilde Sage in Trins hingewiesen werden:

Buben von Trins haben einst zugeschaut, wie ein Verurteilter am Eschbaum in Steinach gerichtet wurde. Später haben dann die Buben den Vorgang im Spiel nachgemacht und einer von ihnen wurde verurteilt. Aber dann wurde aus ihrem Spiel furchtbarer Ernst; denn während der Verurteilte scheineshalber am Baum hing, soll ein Bär gekommen sein, der die Schafherde auseinandertrieb. Da rannten nun die Buben voller Angst auseinander und suchten die Schafe zu retten, wobei sie aber den Delinquenten vergaßen. Das Unglück war geschehen. Eine furchtbare, fast heidnische Streiterei war die Folge. Der Vater des verunglückten Kindes soll in seinem Zorn den jungen Täter in der Mitte auseinandergerissen haben. Eine ganz ähnliche Sage wird auch von Hornbach in Bayern erzählt. 9)

9) Mailly, Deutsche Rechtsaltertümer, S. 99; diese Sage in meine Erzählung „Am Trudenstein“, Innsbruck 1937, aufgenommen.

Der im Volk so stark betonte Glaube an die armen Seelen ist gewiss nicht allein durch die christliche Religion aufgekommen, sondern entsprach ganz allgemein dem vorchristlichen Totenkult. Vielleicht hat die Kirche in vielen Formen diesen Glauben nur veredelt und gewissermaßen an die früheren Vorstellungen angepasst. In dieses Gebiet fallen daher eine Unmenge von Sagen, die sich auf den „Freithof“ beziehen und immer wieder in allen Teilen Tirols in dieser oder jener Form aufscheinen. Im Freithof hört man die armen, unerlösten Seelen weinen und klagen. Dort ist es daher „enterisch“, das heißt, man fühlt sich ins Jenseits versetzt, nach „enten“, also in die andere Welt, in die Welt der Geister.

Im Wipptal wird der Allerseelentag besonders hochgeschätzt und gepflegt. Dieser Tag gehört zu den sogenannten Schwendtagen, deren es im Jahre ziemlich einige gibt. Nur vier von ihnen werden als Hauptschwendtage angesehen, vor allem auch der Markstag (Markus) als einer der wichtigsten. Wer sich an einem solchen Tage verletzt oder schädigt, wird nicht mehr heilen. Man muss sterben. (C. Gratl.) An solchen Tagen soll man keine größere Arbeit unternehmen, man soll auch nicht auf Reisen gehen. Auch heute noch werden solche Schwendtage als Unglückstage gehalten, an denen gern ein Unglück zu geschehen pflegt. (Zach N.) 10)

10) Nadi Angabe des Cajetan Gratl gab es vier Hauptschwendtage im Jahr, außerdem aber noch einige in jedem Monat; diese sind nach Angabe von Zadi Nanne:
Jänner: 1., 2., 6., 11., 17., 18.,
Februar: 8., 16., 17.,
März: 1., 12., 13., 15.,
April: 8., 17., 19., 30.,
Mai: ---
Juni: 17.,
Juli: 1., 5., 6.,
August: 1., 3., 18., 20.,
September: 15., 17., 30.,
Oktober: 15., 17.,
November: 1., 2., 7., 11.,
Dezember: 1., 7., 11., 24.

In Schmirn wird der „Kassentag“ (Kassian) als Schwendtag eingehalten. An diesem Tage hüten sich die Bauern vor jeder schweren Werktagsarbeit. Es wird nichts Neues begonnen. Man geht in die Kirche, fleißiger als sonst. Denn eine der 24 Stunden dieses Tages ist eine Schwendstunde. Man weiß aber nicht welche, ob in der Früh oder Abend oder zu Mittag.

Ein Bauer und ein Knecht haben einmal an diesem Tage Heu in einen Stadel hineingetan. Als die Arbeit gut gelungen war, lachte der Bauer übermütig zu seinem Knecht und spottete:
„Itz Kasse, biß (sei) rasse (zornig),
I hun’s Heu in der Asse (Stadel)“.
Aber bald darauf ist der Stadel aus unerklärbaren Gründen abgebrannt.

Wenn dann der Vorabend von Allerseelen, Allerheiligen, gekommen ist, dann findet um ein Uhr das „Toteneinläuten“ statt. Der große Augenblick für die Armen Seelen ist gekommen. Sie steigen aus den Gräbern oder aus dem Fegfeuer und dürfen einen Tag und eine Nacht wieder unter den Menschen weilen. Nach dem Einläuten findet die Prozession um den Friedhof statt, der dreimal umgangen wird. Besonders schön ist dieser Brauch beim hochgelegenen St. Ursula-Kirchlein von Mauern. Dieser uralte Brauch wird schon 1337 im ersten Ablassbrief von Steinach-Vinaders erwähnt. — Zur selben Stunde ist es dann den Seelen erlaubt, die Gläubigen nach Hause in Küche und Stuben zu begleiten. Deswegen muss an diesem Tage immer fest eingeheizt werden, selbst wenn noch warmes Wetter herrscht. Die Armen Seelen sollen daraus ersehen, dass man an sie denkt und sie bereitwillig in der warmen Stube duldet. Ebenfalls muss während der ganzen Nacht das Licht gebrannt werden. In alten Zeiten hat man das Dochtlämpchen oder Kerzen angezündet; denn ein kleines Lichtlein genügte nicht. Die Stube musste so hell als möglich beleuchtet sein. Erst am nächsten Morgen findet wieder das Ausläuten statt; dann müssen auch die Armen Seelen wieder wandern . . .

In Navis bestand der Brauch, dass am Seelabend Krapfen gekocht wurden. Wer dann mit den ersten drei Krapfen, ohne über eine Türschwelle zu treten, dreimal um das Haus ging, der begegnete jener Person, die zuletzt aus dem Haus gestorben ist. Dann hat sie gesagt, ob sie schon erlöst wäre oder noch im Fegfeuer leiden muss. Ein ähnlicher Brauch im selben Tal bestand zur Weihnachtszeit, wo aber die Dirn ihrem zukünftigen Bräutigam begegnete. (Holzmann Ander.)

Nach einer ähnlichen Sage aus demselben Tal sollen die Armen Seelen am Seeltag um Mitternacht ein feierliches Amt halten. Als ein Bauer zufällig daran teilgenommen hatte, erkannte er alle Verstorbenen der letzten Jahre, darunter auch seine Eltern. Beim Opfergang gingen sie alle neben ihm vorbei. Zum Schluss humpelte ein altes Weiblein daher und sprach zu ihm: „Wenn wir das nächste Mal Kirchen halten, bist du auch dabei.“ Tatsächlich ist der stille Teilnehmer bald darauf gestorben. (Holzmann A.)

Mit dem Seelentag war in früherer Zeit ein sinniger Brauch verbunden, nämlich die Gabe von kleinen Broten, genannt „Sealpuchilen“. Arme, kinderreiche Frauen sind damals von Hof zu Hof gewandert und haben um die Sealpuchilen gebettelt. Von jedem Hof haben sie ein solches Brot erhalten, das sie in einen großen Ruckkorb taten. Zum Dank dafür mussten die armen Frauen mit lauter Stimme und immer wieder „Vergeltsgott“ sagen, und zwar so lange sie sich in Hörweite des Hauses befanden. Je mehr Vergeltsgott, desto besser, weil es den Armen Seelen zugutekommt. Beim Weggehen durfte niemand mehr umschauen. Die Sealpuchilen durften nicht von Kindern oder Männern, sondern nur von Frauen gesammelt werden.

Ein geradezu heidnisch anmutender Totenkult aber wurde in den alten Friedhöfen getrieben, vor allem im Friedhof Mauern bei Steinach. Dieser Friedhof um der uralten St. Ursula-Kirche (995 Muron erwähnt) bildete einstens die Begräbnisstätte des ganzen oberen Wipptales, von Steinach aufwärts bis zum Brenner und hinüber bis nach Hintertux.

Nach der Steinacher Chronik von 1834 „soll sich an dieser Stelle ein heidnischer Tempel [Maurach bei Steinach] befunden haben, wie die gemeine Volkssage berichtet.“

Vorgeschichtliche Funde sind ebenfalls gemacht worden. Auch das Patrozinium der St. Ursula und der Elftausend Maiden mag einen Schluß auf hohes Alter zulassen. Noch deutlicher spricht eine Urkunde von 1498 aus dem Archiv Steinach, wo die Kirche ausdrücklich „ein alts gotshaws und alte Grebnüs“ genannt wird.

Wenn man im 15. Jh. von einer „alt Grebnüs“ sprechen konnte, dann musste es sich um eine sehr alte Totenstätte gehandelt haben. Wir gehen wohl nicht fehl mit der Annahme, dass schon zu heidnischen Zeiten eine Totenkultstätte an derselben Stelle bestanden hat. Für diese Annahme spricht auch die Chronik von 1834, in der es heißt, dass die Kirche von St. Ursula ein heidnischer Tempel gewesen sei. 11) Die „Totengasse“, die von Steinach nach Mauern führt und wo die Toten ihren letzten Gang gemacht haben, ist im wahren Sinne des Wortes eine Totengasse. Es waren damit immer abergläubische Vorstellungen im Volk verbunden. Noch als Kinder war uns diese Stätte besonders im Winter nach dem Betläuten etwas gruselig.

11) Chronik des Pfarrers Haller im Pfarrarchiv Steinach.

Wie schon erwähnt, wurden die Toten sogar von Hintertux. her über das Joch nach Mauern gebracht und dort begraben. Eine lange Wanderung hatten sie durchzumachen, bis sie endlich die letzte Ruhestätte fanden. Oft blieben die toten Tuxer während des ganzen Winters im Tennen aufbewahrt, weil der Weg über das Tuxerjoch nach Schmirn und Mauern nicht gangbar war.

Bekannt im ganzen Lande ist die humorvolle Erzählung von einem Hintertuxer Bauern, der sich justament mitten im Winter zur letzten Ruhe gelegt hatte. Nach alter Gewohnheit hatte sein Sohn den Toten im Tennen auf einer gewöhnlichen Bank aufbewahrt. Wie zufällig war es dann geschehen, dass der Alte den Arm weit ausgestreckt hielt, der dann in dieser Lage erstarrte. Daher benützte der junge Tuxer den ausgestreckten Arm als Laternenhalter, wenn er in aller Frühe zum Füttern ging. Es schien, als wollte sich der Alte noch im Tode wichtig und nutzbar machen, damit er ja „nit umsonst auf der Welt wär“.
Aber als der warme Wind von den Bergen wehte, beugte der Alte den steifgebogenen Arm plötzlich nieder, so dass die Laterne zu Boden fiel. Der gefrorene Körper taute auf. Da soll der junge Tuxer trocken gesagt haben: „Itzn ist’s Zeit, daß bald weiter kimmsch! Hebsch ja schun zum Stinken un!“ 12)

12) Erzählungen über die „Tuxer Kreuze“ in: Tiroler Heimatblätter 1934, S. 104 u. 280; vgl. „Eine gruselige Wette“ von J. Meßmer, ebda. 1944, S. 445.

Aus all diesen Gründen wurde daher den Hintertuxer Totenschädeln eine besonders wirksame Kraft zugesprochen; vom Friedhof in Mauern werden viele Totenkopfsagen erzählt.

Im Jahre 1809 sollen die Bayern in ihrem Übermut mit den Totenköpfen Kegel gespielt haben. Am nächsten Morgen aber sahen sie in den wogenden Nebelfetzen die grause Gestalt des Todes auftauchen, der die Sense schwang und wieder verschwand. Bald darauf stürmten die Tiroler Schützen aus den umliegenden Wäldern und halfen dem Tod zu seinem Rechte.

Ein anderes Mal wollten Kinder im Spiel einen Totenschädel über einen Abhang werfen, aber der Schädel rollte immer wieder hartnäckig zurück. (Zach N.)

Der alte Gogl von Obernberg, ein seltsam verschrobener Querkopf und Hexenmeister, hat sich für seine Zaubereien drei Totenköpfe besorgt, den einen von Vinaders, den andern von St. Jodok und den dritten endlich von Mauern. Als er in dunkler Mitternachtsstunde den Tuxerschädel von Mauern holen wollte, hat plötzlich eine grausige Stimme gerufen: „Halt — das ist der Meinige!“ Entsetzt hat der Gogl den Schädel wieder fallen gelassen, um einen andern aufzunehmen. Aber auch dieser Schädel hat wieder mit anderer Stimme gerufen: „Halt — das ist der Meinige!“ Und endlich hat auch der Dritte angefangen zu schreien: „Lass sein — das ist der Meinige!“ Da packte den Gogl trotz aller Angst und Grausen doch der Ärger. Diesmal nahm er keine Rücksicht mehr, sondern packte den Schädel und murmelte grimmig: „Du wirst doch nit drei Schädel g’habt haben!“ Auf heimlichen Wegen rannte er dann mit dem dickgrindigen Tuxerschädel davon.

Dann stellte er alle drei Schädel in eine Totentruhe hinein und zündete vier geweihte Kerzen an, die schon einmal am Altar gebrannt hatten. Aber als er die Beschwörung beginnen wollte, „tat der Tuxerschädel kein Guet nit!“ Immer wieder sprang „der Tuxer Tuifl aus der Trueche, so oft er ihn auch zornig hineinwarf.“ Der „zwidere Schädel gab nicht eher Ruh, bis er ihn wieder an Ort und Stelle zurücktrug“. Genau um Mitternacht schlich er wieder in den Friedhof von Mauern. „Aber da schauten alles Totenschädel über die Friedhofsmauer, so dass er sich fürchtete, ganz hineinzugehen.“ In weitem Bogen warf er endlich den Schädel wieder in das geweihte Erdreich zurück. (Fürst.)

Wie drastisch ist doch die Vorstellung, dass die Totenschädel hinter der Friedhofsmauer lauernd herausgeschaut haben!

Eine andere Erzählung berichtet von einer Rauferei solcher Totenschädel im Friedhof von Mauern, wo sich gewiss wieder ein harter Tuxerschädel ausgezeichnet hat.

Im Beinhaus von Mauern hat es gekracht und geklappert. Der Mesner, der zufällig des Weges kam, hat immerfort eine enterische Stimme schreien gehört: „Mauricher, wöhr di! Mauricher, wöhr di!“ Das bedeutete so viel, dass sich der Schädel eines eingeborenen „Maurichers“ gegen den harten Tuxerschädel wehren sollte, ähnlich wie sich die Buben zur gegenseitigen Ermunterung im Streite zurufen.

In der Totenkapelle von Mauern waren ebenso wie in Vinaders Totenköpfe aufgestellt. Noch heute erzählen die alten Leute, dass sie sich als Kinder immer gefürchtet haben, die Totenkapelle zu betreten.

Ein Bauernknecht, namens Geiger Anders, hat einmal einen solchen Totenkopf in der Totenkapelle von Mauern gestohlen und ihn in eine Truhe gesteckt. Der Totenkopf sollte ihm unter allerlei Beschwörungen sagen, welche Nummer bei der Lotterie ziehen würde. Aber der Totenkopf hat nichts gesagt, sondern „hat in der Trueche so schiech getan und hat keine Ruh geben, bis er wieder zum alten Platz gekommen ist“ (Schneiderin).

Die Totenschädel haben ja überhaupt die Eigenschaft, „dass sie immer wieder zurückkehren, wenn man sie wegträgt.“ 13)

13) „Totenschädel kehren immer wieder zurück, wenn man sie wegträgt“ (Handwörterbuch des Aberglaubens, unter „Totenschädel“).

So soll auf der Sattelalm ein Hirtenbub einen Totenschädel wie im Spiel über die Felswand gegen den Brennersee gestoßen haben. Aber der Schädel ist eigensinnigerweise immer wieder zurückgesprungen, bis der Bub endlich nachgegeben hat.

Die Gegend auf der Sattelalm stellt überhaupt ein von vielen seltsamen Sagen bevölkertes Gebiet dar.

So soll auf der Hochfläche der Sattelalm eine grause Schlacht mit den Ureinwohnern stattgefunden haben, und zwar genau an der heutigen italienischen Grenze, immer noch Schanzen genannt. Dort wurden die Schätze in große Kessel vergraben. Ein Krieger in alter Kleidung, der keine Ruhe finden kann, geistert herum. Einmal wäre ein Schwert gefunden worden. 14)

14) Erzählung vom Hoachenbauer in Pfruntsch-Gries.

Auch in St. Leonhard-Vinaders wollten abergläubische Burschen in der Nacht Totenköpfe stehlen. Aber plötzlich hat sie so die Angst gepackt, dass sie sich gar nicht mehr beim Tor hinausgetrauten, sondern sie sprangen über die hohe Friedhofsmauer. „Einem hat es seinen G’scholder weggerissen“ (Steckholzer).

Erst vor etwa 40 Jahren aber ist es geschehen, dass der Jagerbauer von Venn, Stefan Strickner, in angetrunkenem Zustand mit seinem Knecht vom Gasthaus Lueg zum Kirchlein von Lueg gegangen ist. Dann sind sie im Friedhof gestanden und haben frevelnd geschrien: „Das schönste Weib soll auferstehen und ein Wein mit uns trinken!“ Da hat es aber einen seltsamen Aufruhr gegeben. „Es ist ein Geräusche losgegangen, dass die beiden Betrunkenen auf und davon gesprungen und in ihrer Angst über den ziemlich breiten Lueger Bach gehetzt sind.“ (Steckholzer.)

Eine solch grause, übermütige Totenerweckung wird auch vom alten Hummerer erzählt, dem wildesten Robler im Obernberger Tal, der sich dem Teufel verschrieben hatte. Der ging einmal mit anderen Gesellen halbbetrunken in dunkler Nacht taleinwärts, am Kirchlein von Vinaders vorbei. Beim Friedhof packte ihn der Übermut und sein überschäumendes Kraftgefühl zum Raufen. „Itzen ist rechte Zeit“, meinte er herausfordernd. Dann schrie er in den Friedhof hinein und forderte den stärksten Raufer auf, er soll aufstehen und lebendig werden und mit ihm raufen. Dann ist tatsächlich ein Loter aus dem Friedhof gestiegen, ganz schwarz gewandet. Das unheimliche Raufen begann. Der Hummerer durfte nicht mehr zurück. Lange Zeit tobte der grausige Kampf in dunkler Mitternachtssunde. Aber der Hummerer vergaß alle Angst und dachte nur mehr ans Raufen und er war stärker und zwang seinen geisterhaften Gesellen zu Boden. Der aber gestand dann: „Wenn ich im Leben nur um ein bissl stärker gewesen wär als du, dann hätt ich dich in Trümmer gerissen!“ Aber beim Raufen durfte er nicht mehr Kraft ausüben als er im Leben besaß. (Fürst.)

Auch der uralte Friedhof von St. Peter in Ellbögen könnte manch schaurige Geschichte erzählen. Wie beim Friedhof von Mauern hat man mit den Totenköpfen in der Gruft allerhand Unfug getrieben.

Einmal (erst in den letzten Jahrzehnten) sind Heinrich Larcher und Franz Kehrer in angeheitertem Zustand um Mitternacht in den Friedhof von St. Peter in Ellbögen gegangen und haben dort „die Totenschädel exerzieren machen“. Der betrunkene Kehrer spottete und lachte mit den Totenschädeln. „Da ist mein Göt“, sagte er höhnend, „der mit der Zahnlücke, ich kenn ihn guet!“ Da hat den Larcher „geargget“ (gefürchtet) und er ist auf und davon. Auch den andern hat dann die Furcht gepackt und beide sind sie an ganz verschiedenem Orte herausgekommen. (Larcher.)

Ein anderer Bauernbursch von Ellbögen hat einmal um Mitternacht auf der Friedhofmauer Zither gespielt, er wollte den „Toten etwas aufmachen“. Dem Burschen ist es schlimm ergangen. Hernach hat er erzählt: „Er tuet’s nimmer!“ Noch heute hat er ein schweres Kopfleiden. Das Volk deutet dies als Strafe für seinen Frevel.

Man soll die Toten in Ruhe lassen und darf sie nicht herausfordern. „Wenn die Leut eingesegnet sind, dann muss man sie ganz in Ruhe lassen!“

Dem Larcher-Bauer sind einmal Zwillinge nacheinand gestorben. In der Eile hat der Vater vergessen, einige Haare zur Erinnerung abzuschneiden. Daher öffnete er noch einmal das Grab und schnitt eine Locke ab. In der folgenden Nacht, so erzählt der alte Larcher, „da ist Paule wohl gekommen!“ Sie trug einen Kranz und ihr Auge hat geleuchtet. Er hat alle Angst überwunden und hat sie gefragt, ob es ihr wohl nicht geschadet habe. Da gab sie zur Antwort:
„Ne — geschadet hat es mir nicht,
aber her han ich gemüeßt!“                                (Larcher.)

Der Glaube geht also darauf aus, dass die Toten erscheinen, wenn man sie nicht in Ruhe lässt. Heiligmäßige Personen aber bleiben im Grabe so frisch wie im Leben.

Als die Holder Lene von Schöfens gestorben war, sprachen die Leute, sie wäre heilig gewesen. Man glaubt noch heute, „sie wäre noch zu heben, sie braucht nur eine Gotl“, das ist eine Person, die sich um die Heiligsprechung annimmt. Dekan Hörmann hat das Grab öffnen lassen und die Leiche war so frisch wie am Leben. Sie trug einen weihen Kranz. Noch heute beten viele Leute an ihrem Grab im Friedhof von Matrei. (Gertraud Penz.)

So sind die Totenkopfsagen uralt und tief verwurzelt. Schon vor 400 Jahren spukten sie im Volk herum:

so wollte im Jahre 1558 Ursula, die Hausfrau des Hans Hörtnagl von Vinaders, nach Pfruntsch hinauf zu ihrer Tochter gehen. „Da ist des Ulrich Puchler seine Hausfrau vom Pach mit einem Wasser gangen und hat sie mit groben Worten antascht: „Ich pin nit eine verzauberte, diebische Huer, wie du pist, die die toten Köpf tanzen kinnt machen!“

Aus diesem interessanten Prozess des Jahres 1558 aus den Gerichtsbüchern in Steinach erkennt man zu deutlich, wie alt und tief verwurzelt die abergläubischen Totenkopfvorstellungen im Volke sind. Auf den Prozess wird noch später Bezug genommen. 15)

15) Verfachbuch des Landgerichtes Steinach 1558, Fol. 36, im Staatsarchiv Innsbruck.

In diesem Zusammenhang verdient auch das frühere Aufbahren der Toten Erwähnung, das in allerschlichtester Einfachheit durchgeführt wurde. Die Toten wurden einfach auf einer Bank, meist in der Stube, oder sogar auf der Ofenbank aufgebahrt, vielfach auch ohne viel Förmlichkeiten im Hausgang. (Z. N.) Das Beispiel von Hintertux wurde schon erwähnt, wo die Toten auf einer Bank im Tennen aufgebahrt und aufbewahrt wurden.

Wie einfach und derb dies früher zuging, berichtet eine Erzählung aus Mauern. Dort wurde der Bauer im oberen Saal auf einer Bank offen und ohne Sarg aufgebahrt. Am vierten Tage haben ihn zwei Knechte heruntergetragen, um ihn in die Truhe zu legen, wobei sie aber nicht besonders sorgfältig umgegangen sind. Bei jeder Stufe schlug der harte Schädel des Bauern mit lautem Pumpern auf: „Tupp Tupp!“ bei der letzten Stufe aber ist der nur scheintote Bauer wieder aufgestanden und hat gesagt: „So — jetzt ists aber genug!“ Dann hat er die Knechte zusammengeschumpfen, weil sie so grob mit ihm umgegangen sind. Aber er hätt zeitlebens keinen Lacher mehr getan.

Als die reiche Schönberger Wirtin zu Grabe getragen worden war, hat ein Dieb in der Nacht das Grab geöffnet und wollte die wertvollen Ringe stehlen. Da er den Ring nicht herunterbringen konnte, schnitt er mit dem Messer den Finger ab. Im selben Augenblick wachte die Scheintote wieder auf. Sie hat noch viele Jahre gelebt, aber zeitlebens keinen Lacher mehr getan, (Penz Gertraud.)

Solche Scheintodfälle scheinen sich früher tatsächlich öfter ereignet zu haben. Einen Fall erzählte der alte Strickner von Vinaders (gestorben 1936).

Im ganzen Wipptal bekannt war die Bestattung der scheintoten Nagele-Wirtin von Steinach. Sie lag schon im Grabe, als einige Diebe das Grab wieder geöffnet haben, um die kostbaren Ringe und den Schmuck zu stehlen, der ihr ins Grab mitgegeben wurde. Dadurch wurde sie wieder gerettet, aber sie hat zeitlebens keinen Lacher mehr getan. Auch Gschnitzer Hänsele vom Schrofnerhof in der Leite ist schon drei Tage auf Ehren gelegen und wachte erst auf, als sie ihn in den Sarg legen wollten. Hernach erzählte er, er habe zuerst nur den kleinen Finger rühren können und dann immer mehr. Aber er hat jedes Wort gehört und verstanden, was der alte Yssler bei der Totenwache gesagt hat. Er hat gesehen, wie dieser Branntwein getrunken, und er hat seinen Verwandten sprechen hören: „Jetzt bin ich Bauer!“ Er hat noch etwa 10 Jahre länger gelebt. (Draxler.)

Geistersagen werden außerdem noch von vielen Friedhöfen im Wipptal in dieser oder jener Form erzählt.

Ein Geist soll im Friedhof von Gschnitz gehaust haben, der vom Pfarrer Grundner verbannt wurde. (Grampler.)

In Navis haben in der Seelennacht junge übermütige Leute Karten gespielt und sich wohl unterhalten. Der Sage nach soll nun —wie schon erzählt — zwischen 12 und 1 Uhr die Seelenprozession in Kirche und Friedhof von Navis umgehen. Da fragten sich die Burschen, wer sich hinauftraue. Niemand wagte es als die ausnehmend schöne Mesnertochter. Sie sprach: „Ich gehe in den Friedhof, und damit ihr es glaubt, werde ich von einem Geist das Käppi mitbringen.“ Sie ist dann tatsächlich in den Friedhof gegangen, hat einem Geist das Käppi genommen und ist wieder zurückgesprungen in die Stube. Bald darauf wäre der Geist erschienen und hat gerufen, er wolle wieder das Käppi haben. Dann haben sie ihm das Käppi vorgeworfen, er aber hat es wieder zurückgeworfen und gesagt, er will es von der, die es ihm genommen hat. Dann hat sie es ihm unter Ängsten und Zittern gegeben. Da hätt sie der Geist so gedrückt, dass das Blut aus ihrem Mund gespritzt sei und sie musste im blühenden Alter sterben (Rosina Penz).

Der Glaube an die Totenerscheinungen galt dem Volk als etwas Selbstverständliches. Häufig erschienen die Eltern den Kindern oder liebe Personen den Angehörigen. Aber auch schuldbeladene Menschen mussten „erscheinen“. Für solche ließ man „Messen lesen, damit sie ihre Ruhe finden“. Der Glaube; an diese Erscheinungen wird am besten durch folgende Geschichte erzählt, die sich tatsächlich zugetragen hat:

Der Nagele’s Wastile und der alte Waldbauer von Obernberg haben im Leben ausgemacht, dass einer dem andern erscheinen muss, wenn er zuerst stirbt. Dann soll er erzählen, wie es ihm geht und wie „es drüben ausschaut“. Bei der einsamen Kapelle am Waldbauernhof hat Nagele’s Wastile dann auf seinen toten Freund gewartet. Der Verstorbene ist ihm dann tatsächlich erschienen und hat folgendes erzählt: „Mir geht's guet! Ich bin in einem gueten Ort, weil ich mit dem Bau dieser Kapelle ein gutes Werk getan hab!“ Mehr hat er vom „Jenseits nicht erzählt“. Aber Wastile blieb seit diesem Tage nimmermehr gesund. (Diese Begebenheit haben mehrere ältere Personen von Obernberg erzählt, darunter auch Töchterler. Nagele’s Wastile lebte bis vor wenigen Jahren!)

Aber die Toten können auch ihre Lage verändern und „ausweichen“, wie der Ausdruck sagt. Dieser Glaube wird mit heiligmäßigen Personen in Verbindung gebracht, deren Ruhe gestört wird.

Vom berühmten heiligmäßigen Kurat von Vinaders Franz Muigg wird erzählt, dass er „ausgewichen“ sei. Sein Grab befand sich neben der Friedhofsmauer. Nacht für Nacht sah man nach seinem Tod ein Lichtlein trostvoll brennen, als wollt es sagen: „Ich bin immer noch bei Euch!“ Einige Jahre nach seinem Tode musste an derselben Stelle die hohe Friedhofsmauer ausgebessert werden, da sie sich gesenkt hatte. Zu diesem Zweck wurden die daneben angebrachten Grabstätten geöffnet. Auch das Grab des Kuraten Muigg wurde geöffnet. Die Leute hoben die ganze Erde neben der Mauer auf. Aber so tief sie auch gruben, sie fanden doch keine Spur von Überresten. Die Erde war so rein wie Ackererde. Da sprach es sich bewundernd im Volk herum: „Er ist ausgewichen!“ (Töchterler-Bauer in Nößlach, gestorben 1938. Der alte Töchterler-Bauer war noch beim Pfarrer Muigg zur Schule gegangen.)

Nicht selten lebten aber nach dem Volksglauben die Geister auch in den Häusern. Als bei Duxnein ein altes Haus abgebrochen wurde, wo die sogenannte „Hoamige Grete“ herumgegeistert hat, hat der Bauer bei der letzten Fuhre laut und spöttisch gerufen: „Hoamige Grete, jetzt darfst aufhocken!“ Und die leichte Fuhre war plötzlich so schwer, dass sie die Ochsen nicht mehr ziehen konnten. Diese seltene Sage hat Ähnlichkeit mit den Christophorus-Sagen, allerdings im gegenteiligen Sinn (Rögeler).

Auch eine Menge anderer Bräuche sind mit dem Sterben verbunden: wenn man nicht will, dass einem der Tote nochmals erscheint, dann muss man sich auf die Totenbank setzen (Zach Nanne). Die Totenerscheinungen waren dem Volk eine Selbstverständlichkeit. Wenn dann der Bauer stirbt, muss der Sohn die „Peykörbe“ (Bienenkörbe) aufheben, sonst sterben alle Bienen. Die Uhr muss man abstellen, wenn der Bauer gestorben ist. Oft steht sie aber von selbst (Zach). Vor dem Sterben „tuscht“ oder „klumpert“ es, dann fährt die Seele aus. Der Totenwächter muss immer auf sein, die ganze Nacht, und das Licht muss immer brennen! Wenn es zufällig oder aus Nachlässigkeit ausgehen sollte, dann klopft der Tote, ja, wenn der Wächter gehen wollte, dann läuft ihm der Tote sogar nach! In Trins wurde den armen Kindern ein Stück „Olmes-Brot“ (Almosen) gegeben (Zach). Beim Hinaustragen des Sarges muss immer das untere Ende mit den Füßen des Toten voran sein. Hinausgetragen wird der Sarg immer bei der Haustür. Er darf aber dann nicht mehr niedergestellt werden. Wenn sich nun jemand gleich nach Entfernung der Truhe auf die Totenbank setzt, dann fürchtet er sich nicht mehr! Bei einer Frau hebt das Totenläuten „klein“ an, bei einem verstorbenen Mann aber groß! Wenn beim Schließen des Grabes „die Erde einfällt“ oder wenn die Leute nach dem Begräbnis „gleich tschüppelweise“ in die Kirche drängen, dann stirbt noch jemand aus der Familie! Nach dem Tode des Bauern stirbt auch ein Vieh, immer das Beste und nur ein Großvieh (Zach). Wenn man auf den Zäunen beim Betläuten am Abend schwarze Katzen sieht, dann bedeutet es Tod (Zach). Wenn es beim Wandlungläuten am Sonntag gleichzeitig die gerade Stunde schlägt, dann stirbt jemand aus der Gemeinde.

Auch eine Menge anderer Bräuche sind mit dem Sterben verbunden: wenn man nicht will, dass einem der Tote nochmals erscheint, dann muss man sich auf die Totenbank setzen (Zach Nanne). Die Totenerscheinungen waren dem Volk eine Selbstverständlichkeit. Wenn dann der Bauer stirbt, muss der Sohn die „Peykörbe“ (Bienenkörbe) aufheben, sonst sterben alle Bienen. Die Uhr muss man abstellen, wenn der Bauer gestorben ist. Oft steht sie aber von selbst (Zach). Vor dem Sterben „tuscht“ oder „klumpert“ es, dann fährt die Seele aus. Der Totenwächter muss immer auf sein, die ganze Nacht, und das Licht muss immer brennen! Wenn es zufällig oder aus Nachlässigkeit ausgehen sollte, dann klopft der Tote, ja, wenn der Wächter gehen wollte, dann läuft ihm der Tote sogar nach! In Trins wurde den armen Kindern ein Stück „Olmes-Brot“ (Almosen) gegeben (Zach). Beim Hinaustragen des Sarges muss immer das untere Ende mit den Füßen des Toten voran sein. Hinausgetragen wird der Sarg immer bei der Haustür. Er darf aber dann nicht mehr niedergestellt werden. Wenn sich nun jemand gleich nach Entfernung der Truhe auf die Totenbank setzt, dann fürchtet er sich nicht mehr! Bei einer Frau hebt das Totenläuten „klein“ an, bei einem verstorbenen Mann aber groß! Wenn beim Schließen des Grabes „die Erde einfällt“ oder wenn die Leute nach dem Begräbnis „gleich tschüppelweise“ in die Kirche drängen, dann stirbt noch jemand aus der Familie! Nach dem Tode des Bauern stirbt auch ein Vieh, immer das Beste und nur ein Großvieh (Zach). Wenn man auf den Zäunen beim Betläuten am Abend schwarze Katzen sieht, dann bedeutet es Tod (Zach). Wenn es beim Wandlungläuten am Sonntag gleichzeitig die gerade Stunde schlägt, dann stirbt jemand aus der Gemeinde.
Neben dem Allerseelentag haben die Geister und Armen Seelen besonders in der heiligen Nacht, zu Weihnachten, die größte Macht auf die Menschen und werden daher in dieser Zeit nicht selten sichtbar. Eine Unmenge von Bräuchen hat in alter Zeit die Heilige Nacht wie mit einem Gewirre von Ranken umgeben und verklärt. In vielen Tälern des Wipptales sind die jungen Dirnen am Heiligen Abend mit den ersten drei gebackenen Krapfen dreimal ums Haus gegangen, ohne jedoch eine Schwelle zu betreten. Bei diesem Umgang werden sie von Geistern und Gespenstern bedroht und die Armen Seelen jammern und klagen. Aber wenn sie sich nie außerhalb des Tropfstalles entfernen, können ihnen die Geister nichts anhaben. Beim dritten Mal begegnet ihnen dann ihr Bräutigam.

Am Heiligen Abend wurde strenger Fasttag gehalten, wo es nur Brennsuppe gab. Dafür war das Abendessen umso reicher und hebiger, vor allem durch die festen Weihnachtskrapfen. Gelegentlich schnitt man auch schon den Zelten an, das nannte man „einen Koster anschneiden“. In manchen Talschaften aber fand das Zeltenanschneiden erst am Kinigentag statt, nachdem er also „dreimal gerächt“ worden ist. In Navis jedoch sagte man, „der Zelten dürfe nicht dreimal gerächt werden, sonst gehöre er dem Schinter“ (zum Wegwerfen). Mit dem Zeltenanschneiden waren viele Bräuche und frohe Unterhaltung verbunden. Die Zelten der Dirnen wurden heimlich von den Burschen scherzhaft mit einem dünnen Draht „geringelt“, so dass das Anschneiden nicht möglich war. Das „Rachen“ selbst fand dreimal statt, am Heiligen Abend, am Sylvester- und am Künigentag. Jeder Raum musste betreten, durch jede Türe gegangen, Stall und Stadel geräuchert und mit Weihbrunn besprengt werden. In Navis ging man beim „Rächern“ ums Haus. In Obernberg ließen die Burschen noch den Hut ausräuchern, indem sie ihn über den Rauch hoben. In Trins hoben Kinder und Erwachsene die Schuhe über den Rauch als Schutz gegen Schlangenbiss im Sommer.

Der Glaube, dass das Vieh in der Heiligen Nacht während der Mette redet und dann die Worte in Erfüllung gehen, war früher wohl überall im Wipptal lebendig.

Ein Bauer in Navis lauschte einmal heimlich, was sich denn die Ochsen und Kühe eigentlich zu sagen hätten. Da hörte er dann zu seinem Schreck: „Heuer müssen wir den Bauern zu Grabe ziehen!“ Aber der Bauer dachte sich, wartet nur! Zuvor geb ich Euch schon her.
Daher hat er die Ochsen verkauft. Aber wie es der Zufall will, hat sie der Nachbar auf Umwegen erstanden, und als dann der Bauer bald darauf starb, haben sie ihn tatsächlich zu Grabe gezogen.

In der Heiligen Nacht soll man „Stall schauen“ gehen. Wenn das ganze Vieh zur Tür herschaut, gibt es eine „frühe Fürkehre“, sonst eine späte (Holzmann Ander). In Navis schaute man auch in der Heiligen Nacht unter den Tisch. Welches Korn man dann zufällig fand, das soll am besten geraten. In dem gleichen Tal werden die Löffel vor der Mette alle fein zusammen in die Tischlade gelegt und dort belassen. Dann soll das Vieh auf Alm und Weide beisammen bleiben und sich nicht verlaufen. Auf diesen Glauben haben die Alten besonders viel gehalten (Holzmann Ander).

In Obernberg durfte am Heiligen Abend niemand aus dem Haus gehen, bevor nicht drei Rosenkränze gebetet waren. Wenn am Weihnachtstag, am Königentag oder am Neujahrstag jemand beim Mittagessen nicht zu Hause ist, dann stirbt jemand im kommenden Jahr aus derselben Familie (Fürst).

Quelle: Wipptaler Heimatsagen, gesammelt und herausgegeben von Hermann Holzmann, Wien 1948, S. 15 - 44.