Wassergeister und brüllende Seen

Eine Naturgewalt, die im Leben der Vorfahren eine wichtige, aber von Geheimnissen umschattete Bedeutung genoss, stellt das Wasser dar. Tief aus Berg und Erd, aus geheimnisvollem Dunkel ergießen sich die Quellen und Wässer. „Ursprinc“ oder „prunno“ lautete die alte germanische Bezeichnung für die Quellen. Auch in Tirol lebt dasselbe Grundwort noch heute in wichtigen Quellen weiter. Das Quellgebiet des Mühlauer-Baches wird als Ursprung bezeichnet. Die Hausquelle des Postenhofes in Tienzens trägt denselben schönen und geheimnisvollen Namen. Im Gschnitztal aber wird der staubende Wasserfall, der sich vom Simming herunter in die Laponnesalm in schäumenden Stürzen ergießt, als Urfall bezeichnet. Sogar auf die daneben liegenden Felder ist der Name als „Urfeld“ übergegangen. Durch die düstere Schlucht von Kunern (vgl. S. 157) ergießt sich der weiß-gischtende Fernerbach und stürzt dann in die Tiefe. Gewaltig und eindrucksvoll in all der grausigen Wildheit wirkt dieses Berggebiet. Wie muss der Mensch einst in grauen Urzeiten beeindruckt gewesen sein! Noch heute klingt das in einigen Sagen wieder.

Die Quellen waren daher in den Augen des Volkes von Geistern und seltsamen Wesen belebt. Hier treten sie aus den dunklen Tiefen ans Tageslicht. So erinnert das Quellgebiet des Arztales am Haffenlueg oder Hafenlug, 1398 jedoch am Heister1ueg geheißen, an das nordische Havfolk. (Egger.) Im Quellgebiet des Nassen Tuxs aber befindet sich der Plüderling, „dessen Flanken immer von Wasser überrieselt sind und der den Regen nach allen Seiten aussendet“. (Egger.) Oder soll der Name vielleicht auf das derbe Volkswort „Pluder“ Bezug nehmen . . .? Es wäre tatsächlich ein sehr zutreffender Name. Auch in Navis gibt es einen Plüderling, der zur Ochsenalm gehört. Dort gehen im Sommer immer acht Stück Ochsen. Außer einigen kleinen stehenden „Lacken“ gibt es nicht viele Wässer.

Seltsamer aber mutet der Name der Dettensquelle am Tuxerjoch an. Dieses Wasser spielte in der Geschichte der Tuxer Jochgänger eine gewichtige Rolle. Es hatte nämlich die Eigenschaft, sich mit Schnaps unkenntlich zu vermischen, so dass die Tuxer Schnapsträger sich manchmal gerne etwas Branntwein zukommen ließen und ihn mit Wasser von der Dettensquelle ergänzten. Als einige Tuxer einmal im Vorwinter bei eisiger Kälte übers Joch gingen, fing der Branntwein beim Hinunterspringen auf einmal zu singen und zu klingen an. Die guten Tuxer wussten nicht, welch schlimmer Geist sie verfolge, sondern rannten wie besessen hinunter. Dadurch wurde das Klirren und Singen immer geheimnisvoller. Im Tal aber erkannten sie, dass sie kleine Eisstücke in der Zumme hatten . . .

Woher hat wohl die Dettensquelle ihren geheimnisvollen Namen? Die etwas volkstümlich derbe Annahme, dass die alten Tuxer durch diesen Graben ihre „Teten“ (Toten) wie einen knorrigen Larch hinunter nach Kasern „getrieben hätten“, ist wohl etwas gar zu volkstümlich. Demgemäß würde es „Totenquelle“ bedeuten. Es handelt sich jedoch um einen Namen, dessen Stamm einer viel älteren Sprachschicht angehört. Die Erklärung muss daher offen bleiben.

Ein seltsamer Wassergeist aber scheint im Nößlacher Moorland gelebt zu haben, der „Plapart“ genannt, vielleicht ein „plappernder Geist“. (Egger), eine onomatopoetische Bezeichnung für das Sprudeln der Quellen. Die Alraunen hausen nach Egger im Obernbergtal, falls die „Alderleigrube“ und der „Alderlei- Brunnen“ damit zusammenhängt. In Obernberg aber hielt der Neggl (Nöck) am Negglhof und an der dortigen Brücke seine Wacht. Schon das Wort erinnert an den in deutschen Märchen oft erwähnten Nick oder Nöck oder in welcher Form immer der Name lautet. Ziemlich häufig finden sich auch die „Pütze“ in Quellgebieten des Wipptales: Am Wilden Laner sind die Gepützlen. Ein wirkliches Naturschauspiel im dortigen Fernerbachlauf bildet ein natürlicher Wasserfall, der wie in einem Kunstbrunnen aus einem Felsloch aufwärts in die Höhe schießt und dann auf den Felsen zerstäubt.

Auch in Gschnitz und Nößlach gab es einen „Pützenhof“. Noch heute warnt man in Nößlach die Kinder vorm schwarzen Putz. Ein Putz muss bei Kreith am Eingang ins Stubaital als Unhold auf dem „Unholdhof“ herumgeistern. Unholdenhöfe aus dem Stubaital und anderen tirolischen Seitentälern werden im Urbar der Grafschaft Tirols, das Meinhard II. im Jahre 1288 anlegen ließ, namentlich angeführt (Osw. v. Zingerle, Zeitschrift f. österr. Volkskunde 1906, S. 126).

Während einsame Bergseen brüllen, gibt es einen Bach, der manches Mal „juhzt“ und deswegen sogar der „Finsterlahner Juhzer“ geheißen wird, der Übername für den Finsterlahner Bach in Ellbögen. Dieser Wildbach juchzt von Zeit zu Zeit, vor allem bei Hochwasser. Seiner Muren wegen ist er bei den Bauern sehr gefürchtet.

Gleich in der Nachbarschaft „tuscht“ der Falkensennerbach vom Arztal heraus, wo man dem Volksglauben nach das „Schlögkübeltreiben“ der Arztaler Frau hört. (Schneider und Fuchs Kathl.)

Der Finsterlahnerbach hat sich einst ähnlich wie der „Schmirner Ferner“ als Rächer und Richter auf gespielt. Zwei Bauern, der Gruber und der Marx, stritten sich um Wies und Waid, wo heute der Finsterlahnerbach herunterbraust. Jahrelang dauerte der Streit, bis endlich die Wiese dem Marx zugesprochen wurde. Darauf hat der Gruber gesagt:

„Wenn du es redlich hast, dann soll es bleiben,
Wenn du es unredlich hast, dann soll ein Gießgraben werden!

Gleich darauf ist ein Hochwetter gekommen, die Gisse ist ausgebrochen und hat den ganzen Grund in die Tiefe geschwemmt. Der Murbruch dauert noch bis zur Gegenwart an . . . (Schneider.)

Sehr gefürchtet war das kleine unscheinbare „Riggeles-Bachl“ bei Pfons, das gelegentlich in furchtbarer Weise die Feldungen der Pfoner Bauern überschwemmte und verwüstete. Die Gemeinde machte ein Gelöbnis, das noch bis zur Gegenwart eingehalten wird:

Vom Peter- und Paulstag an gehen die Pfoner jeden Sonntag bis zum letzten Frauentag (8. September) „mit dem Kreuz“, aber ohne Geistliche, nur vom Mesner geführt, über die Fluren bis zum kleinen Bächlein hinaus. Nach dem Kreuzgang wurden fünf Vaterunser mit ausgespannten Armen gebetet. Dieses „Fünf-Wunden-Gebet“ wurde bis vor wenigen Jahrzehnten noch gesprochen, der Kreuzgang findet noch heute statt. (Gertraud Penz, v. Thurner.)

Mehrfach berichten Sagen von der Überschüttung oder Vernichtung von Haus und Hof, ja sogar von der Bedrohung ganzer Ortschaften durch das Hochwasser. Die Sage vom Schwarzenhof in Schmirn wurde schon erzählt.

Auch das Dörflein Mauern bei Steinach soll einmal von Wassern und einem Bergsturz überschüttet oder bedroht worden sein. Am „Kloaprenten“ haben sich Erdrisse und Spalten gebildet. Ja, Höhlen sollen dort hineingehen. Zur Erinnerung und zur weiteren Abwendung eines solchen Unglücks haben die „Mauricher“ ein Gelöbnis gemacht, in der Fastenzeit nach den „Stationen“ in der Kirche einige Ave-Maria mit ausgebreiteten Armen zu beten! (Moar-Hartlin.)

Bei der Huebenkapelle wurde das dortige ausnehmend schöne und eindrucksvolle, fast lebensgroße Kreuz von den Wassern angeschwemmt, wo es aufrecht stehen blieb. Daher wurde an dieser Stelle die noch heute stehende „Huebenkapelle“ errichtet. Sie mahnt sicher an alte Wasserkatastrophen. Die letzte erfolgte im Jahre 1927, aber die Kapelle hat standgehalten.

Als sagenhaftes Wasser mit geheimer Kraft wurde vor alters wohl die Quelle in Hintertux angesehen. Der Riese Tuckes hat sich ja unter der „Eisdecke der Gefrorenen Wand eine Höhle“ gegraben, von wo er sich durch das Gestein „einen Gang fast bis in das Tal herab wölbte, und zwar bis zu dem Ort, wo jetzt die warmen Quellen — — — entspringen“. Damit ist der sagenhafte Ursprung dieser warmen Quellen wohl genugsam erwiesen. 71)

71) Alpenburg, Mythen und Sagen, S. 33.

Daneben gibt es aber heilige Brunnen oder Quellen, deren Wasser beim Volke oft eine besondere Verehrung oder Kraft genoss. Das Muetterwasserl auf dem Weg zur Maria Waldrast hängt bestimmt mit religiösen Vorstellungen von der Muttergottes zusammen. Noch auffallender sind die sogenannten Sieben Prünnen auf der Waldrast. Man beachte schon die heilige Zahl Sieben. Keine Quelle des Wipptales ist so auffallend und gradezu aus der Erde springend wie diese sieben Prünnen. Als Kinder haben wir immer versucht, diese sieben Quellen zu zählen, was aber nicht immer möglich ist. Auch wurde uns noch damals erzählt, dass diese Brunnen oft in hellem Bogen aus der Erde springen.

Wichtiger jedoch ist die Legende der Matreier, dass sie von diesen Quellen ihre kleinen Kinder bekommen. Dass dem Storch diese Verrichtung zugesprochen wird, wurde den Wipptalern erst von außen zugebracht. Dieser „Kindermythos“ hängt immer mit irgendeinem seltsamen Wasser in Zusammenhang. In Sterzing ist es die kleine „Kastllake“, unterm Rosskopf in der Nähe der Valleming-Alm gelegen, wo die Sterzinger ihre Nachkommenschaft beziehen. In Steinach aber sollen die Kinder vom Schwalbenschrofen kommen, „wo sie herausgehackt werden“. (Schneiderin.)

Auch über diesen Schrofen ergießt sich ein Wasserfall, der im Winter zu einem Eispalast gefriert. Da würde der Vergleich des „Heraushackens“ wohl zutreffen.

Auch im Gschnitztal werden die Kinder von den Bergen geholt.

Die Erinnerung daran ist jedoch verblasst. Es handelt sich hier um letzte Spuren einer alten, mythischen Vorstellung oder Deutung. Daran erinnert das Sprüchlein „Der Kinderbaum“ aus der Tiroler Volksliedersammlung, das Richard Beitl in sein Buch „Der Kinderbaum, Brauchtum und Glauben um Mutter und Kind“ auf genommen hat:

„Am goldenen Brünnel
Sitzt a holdige Frau,
Hats Kindel außergnommen,
Auf die Stieg außiglegt.
Woher ist denns Kindel?
Vom gemmigen Berg.
Wo ist denn der Berg?
Die Mutter hat den Schlüssel,
Wo ist denn die Mutter?
Beim goldenen Brünnel,
Hats Kindel außergnommen,
Auf die Stieg außi g’legt“

Zu den heiligen Quellen gehörte vielleicht auch das „Antonius-Brünnl“ im Venntal am Fuß der Alm Martitsch, wo eine Reihe von Wassern aus dunklem Felsengrund entspringen und ähnlich wie im Gschnitztal in schäumenden Fällen zu Tale stürzen. (Nach Mitteilung von Steckholzer erst vor 1900 so benannt!) Auch der Brunnen bei der Kalten Herberge in Schmirn genoss großes Ansehen als Gesundbrunnen. Bei Wallfahrten wird aus solchen Quellen noch heute Wasser getrunken, selbst wenn es nur einige Tropfen wären. Ein Christus- oder Antonius-Brünnl aber befindet sich im Jaufental bei Sterzing, wo das Wasser aus der Seitenwunde einer lebensgroßen Christusstatue herausfließt. Das fromme Volk der Bergbauern bezeichnet es als heiliges und heilsames Wasser. Neben der Christusstatue stehen die Figuren des heiligen Antonius, Veit und Leonhard. Darüber ist folgende Inschrift angebracht:

„Wer von diesem Wasser trinkt,
Den dürstet wieder.
Wer aber von dem Wasser trinken wird,
Das ich ihm gebe,
Den wird nicht mehr dürsten
In Ewigkeit!“

Für manche dieser Quellen treffen die Worte zu, die Grimm darüber schreibt: „Legten Heiden die Wunderkraft einer Quelle ihren Wald- oder Wassergeistern zu, so übertrugen Christen sie hernach auf ihre Heiligen!“ 72)

72) Grimm, Mythologie, S. 330.

In kleinen Bächen und „Wahlern“ lebt der „Bluetschink“, ein drohendes, unvorstellbares, aber für Kinder heute noch schreckhaftes Ungetüm. Heute noch werden die Kinder mit diesen Schreckvorstellungen gewarnt, dass sie kein Sumpfwasser trinken. In Mauern aber gebraucht man den Ausdruck: „Da sind Wasserkälber und Ivern drinnen“. Was Ivern bedeutet, ist nicht bekannt. In Schmirn aber sprach man von einem grausigen, schrecklichen „Höwagen, der alles voll Würmer ist“. (Cajetan Gratl.) Die Bedeutung ist nicht bekannt.

Geheimnisvoll aber sind die Geister und Unholde, die in stehenden Gewässern, vor allem in einsamen, wildgelegenen Bergseen hausen. Häufig sind in solch düstern Seen Geister gebannt, die dort ruhelos ihr Unwesen treiben und Mensch und Kinder ängstigen oder sogar die Menschen zu sich in ihr nasses Element ziehen wollen. Solche Geister sind im Wildsee des Venntals gebannt, wo auch Wilde Frauen gehaust haben.

Der Anblick des Wildsees entspricht seinem Namen. Da ist alles dunkel und grau und schwarz wie der düstere, nordseitig gelegene Berghang, wo wenig Sonne zukommt. Die Wasser glucksen unheimlich an das Felsgestade. Geheimnisvoll schillert die grünlich-dunkle Färbung.

Dieser See (Wildsee) gehört auch zu den brüllenden Seen. Er brüllt manchmal wie ein wilder Stier.

Wie groß ist doch diese Vorstellung!

Auch der Obernberger See, in alter Zeit Padrinser-See geheißen, gehörte zu den sogenannten brüllenden Seen. Sie bedeuteten Unglück. Ein alter Obernberger hat immer erzählt:

„I sog enk, es geit koa guet’s Johr! Der Patrinser Sea hat wieder gelurlt und geschrier’n wie an olts zornigs Mandl!“ (Fürst.) Im Spätherbst des Jahres 1934 habe ich diese Naturerscheinung in der Einsamkeit der dortigen Berge bei einem brausenden Föhnsturm selber erlebt. Teilweise war der See schon gefroren. Es hat den Anschein, dass sich der Wind an den Einfrierstellen verfängt und dann diesen seltsamen lurlenden und plappernden, oft brüllenden Ton erzeugt.

Der Sage nach wird einmal der Obernberger See gemeinsam mit dem Brennersee ausbrechen und das ganze Wipptal überschwemmen. Er hänge unterirdisch mit dem ganz gleich hohen Brennersee zusammen. Diese Sage ist noch sehr lebendig. Dass auch die Hexen den See auslassen wollten (Pfeifer Huisile), wurde schon erzählt.

Oh — diese „Wildseelein“ im Obernberger Tal! Da ist einst Kaiser Maximilian mit dem ganzen Hofe zu geselliger Jagd und zum Fischfang geritten und hat sich wie wir an der Schönheit und Großartigkeit der Seen und der Berge erfreut. „Dieselben zwai Wildseelein am Obernberg haben bed guet Vorhen innen / und so ein Landsfürst an gemelten Obernberg rot- oder gembswild jagd / so mag er dieselben zwai Wildseelein vischen lassen!

Oh — diese Wildseelein am Obernberg!

Die Wellen schlagen ganz leise
An des Ufers ragend Gestein.
Der Winde singende Weise
Streicht über die Wasser herein.

Die dunklen Fichten umgeben
Den See wie einen Kranz.
Und mächtige Felsen sich heben
Aus grünlich schimmerndem Glanz.

Die Berge nur düster schauen,
Vom Gipfel leuchtet noch Schnee.
Die Bäche sich brausend stauen
In schäumendem Sturze zum See.

Es blitzen und glänzen die Wellen
Im leuchtenden Sonnenstrahl.
Die kleinen Fischlein sich schnellen
In silbrig glänzendem Fall.

Dann träumt in der Abendstille
Der See, wie ein Wunder schön,
Und in der Dämmerung Hülle
Vergessene Märchen erstehn . . .

Merkwürdigerweise werden von den in freier, lichter Höhe gelegenen Seen am Trunajoch, Lichtsee und Rohrsee keine Sagen erzählt. Im düstern Rohrsee soll einmal ein Bauer selbst den Tod gesucht haben. Auch diese zwei Seen waren dem romantischen Landesfürsten, Kaiser Maximilian, gar wohl bekannt. „Obbemelter Liechtensee ist auch ein Wi1dsee und ligt auf der rechten Hand / so man auf den Obernberg zeucht / ob allem holtz. Der See hat sonder guet wolgesmach vorhen innen.“ Auch diese zwei Seen gehören zu den schönsten Landschaften des Wipptales. („Vorhen“ sind Forellen).

Während der Lichtsee von grünen Matten und Almweiden umgeben ist und die düstern Berge des Tribulaun ganz in den Hintergrund gedrängt sind, liegt der Lauterer-See im Gschnitztal schon am Rande der Wachstumsgrenze inmitten von gewaltigen Blöcken und Steinen, umschattet von der dunklen Wand der Wetterspitze. Aber auch dieser Name ist zutreffend! Bis auf den Grund hinein geht der Blick, so klar und so „lauter“ sind die Wasser. Fern aus der Tiefe schimmern noch seltsam geformte Steinblöcke wie Unholde oder Ungetüme. Wenn man Steine hineinwirft, dann glucksen die Wellen und es rauscht aus geheimnisvoll dunkler Tiefe. Die Sage vom Venediger-Mannl, das sich bei diesem See aufhielt und einmal sein G’schölderlein vergaß, wurde schon erzählt (vgl. S. 125).

Ganz ein anderes Bild jedoch, ähnlich dem hellen Lichtsee, bietet nun der Ramsgruebensee, im Schmirntal unterm Schoberspitz gelegen. Der Reiz dieses Sees muss an sonnigen Herbstnachmittagen erlebt werden, wenn alles in Licht wie gebadet ist und eine heilige Ruhe der Bergeinsamkeit darüber liegt. Da ist alles licht und hell und klar. Manchmal knattert durch die Stille der Berge ein Stein von der Schoberspitze oder eine Gemse jagt hastend durchs „Gelämmer“. Einschläfernd und weich glucksen und plappern die Wasser an das felsige Ufer.

Das ist der Ramsgruebensee, der unterirdisch mit dem Brennersee in Verbindung stehen soll. Als einmal durchziehende Soldaten ein Rad in den Brennersee geworfen haben, tauchte das Rad am Ramsgruebensee wieder auf. (Cajetan Gratl.)

Aber so tief wird der Ramsgruebensee nicht sein. Im Sommer ist das Wasser warm. Noch vor dem Weltkriege war dort eine Ochsenalm. Die Ochsen gingen mit Vorliebe in das warme Wasser. Sie sind dort herumgeschwommen, wie die Bauern noch erzählen. Aber heute liegt der Reiz und das Geheimnis dieses Sees in der wunderbaren verlassenen und sonnenüberschütteten Einsamkeit.

Von Geheimnissen überschattet sind auch die Bergseen im Talhintergrund von Navis, unterm Rechner und in der Klamm-Alm.

Einmal schlief ein Hirte in der Nähe eines solchen Sees im Navistal ein. Als er plötzlich erwachte, lag er schon mit dem halben Leib im Wasser, so dass er der Gewalt des Wassergeistes gerade noch entfliehen konnte. Wenn man einen Stein hineinwirft, dann entsteht ein Unwetter . . . (Prechtl.)

Das wilde Lachen an der Schoberlacke wurde schon erwähnt.

Sagenhaft bis zur Gegenwart bleibt der nicht einmal sichtbare Gleinser-See am Gleinserjöchl. Manchmal hört man deutlich ein unterirdisches Brüllen und Rauschen.

Am Wildmoos am Gleinserjöchl hausen Wilde Frauen (Wilder Mann?). Einmal soll dieser See soviel Wasser im Innern des Berges ansammeln, dass er beim Ausbruch ganz Matrei überschwemmen wird. Nach Stubaier Darstellung wird dann das ganze Stubaital mit Überschwemmung bedroht. Der Wildmooser See soll eine Verbindung mit dem Inn haben. 73)

73) Vgl. Zingerle, Sagen aus Tirol. Die Sage ist noch sehr lebendig bei den Gleinser Höfen. „Wenn man den Dengelstock einschlagt, dann tuet es b’sunder“, sagte der 88jährige Krumberger.

Auch der kleine, sumpfartige See bei der Waldrast genoss einen sagenhaften Ruf. Die kleine Lacke wimmelt von „Tattermandlen“. Vor diesen Tattermandlen hat das Volk eine gewisse Scheu. Die Tattermandlen sind Wetterpropheten: Wenn sie bergabwärts gehen, kommt es zum Regnen oder der Regen hält an; wenn ihr Weg nach aufwärts führt, wird schönes Wetter. Der Tattermann ist ein in der Sagenwelt häufig vorkommendes Wesen. Bei Steinach gab es ein Tattermannslehen. (Vigauler.)

Von allen Sümpfen des Wipptales steht das Sterzinger Moos in der Sage an erster Stelle. Früher waren mehrere Gegenden an der Brennerstraße versumpft. Daran erinnert der alte Hofname am Brennerpass selbst: „Aiterwank“, was so viel wie Giftwiese bedeutet.

Das Sterzinger Moos aber wurde erst vor der Jahrhundertwende entsumpft, womit der Zauber und die Ungangbarkeit dieses großen Mooses gebrochen wurde. Das Sterzinger Moos spielte in der Tiroler Volkssage eine große Rolle. Während die Toten ihre stille Ruhestätte im Friedhof haben, dient das Sterzinger Moos als Aufenthalt für solche alte Jungfrauen, die den Weg zur Ruhe des Friedhofes nicht gefunden haben, sondern die es aus eigener Schuld versäumten, zu heiraten. Der alte Spruch ist ja bekannt:

„Die alten Dirndlen und die alten Ross
Kommen aufs Sterzinger Moos!“

Das berühmte Sterzinger Mooslied wurde in früheren Zeiten als Schwank zur Fasnacht im Wipptal oft aufgeführt, sowie auch das Faule-Weib-Singen dort beheimatet ist. Damit jedoch den alten Jungfrauen ein kleiner Trost beschieden sei, wurde auch den alten Junggesellen ein gutes Plätzlein ganz in der Nähe beim Custozz-Hügel eingeräumt. Dort können sie sehnsüchtig zu ihren Gespielinnen und Schicksalsgenossen hinüberschielen. Im nördlichen Wipptal aber gibt es am Peter-Egg in St. Peter-Ellbögen ein Stelldichein für die alten, bissigen Junggesellen.

So wie die Seen wurden auch die Bäche früher viel lebendiger dargestellt. In alter Zeit, bis fast ins 18. Jahrhundert herauf, waren sie häufig mit weiblichen Namen benannt: So die Luegerin (Sill von Lueg bis Stafflach), dann die Gschnitzerin und Trinserin und andere mehr. Die Sill ist von weither gewandert, nämlich vom Sill-Hof und der Sillalbe im Valsertal. Von dort aus hat sie langsam das ganze Silltal bis Innsbruck erobert.

Quelle: Wipptaler Heimatsagen, gesammelt und herausgegeben von Hermann Holzmann, Wien 1948, S. 173 - 183.