Die Sage vom Reisacher Hof

An der alten Brennerstraße hinter dem Berg Isel liegt der Reisacher-Hof. Hier bat einmal im Winter spät abends ein alter, ausgedienter Soldat um Nachtquartier. Der Bauer, der ein guter Mensch war, sagte es ihm zu. Später kam auch noch ein altes Weib daher und bat auch um Nachtquartier; auch ihm gewährte der Bauer die Bitte. Als sie vor dem Schlafengehen alle in der Stube beisammen saßen, betrachtete der Soldat das Weib aufmerksam und es gefiel ihm nicht recht. Endlich kam die Schlafenszeit und der Bauer wies die zwei Fremdlinge an, sich auf der Ofenbank niederzulegen. Der Soldat überließ dem Weib den Platz hinterm Ofen und wählte selbst die Bank vor dem Ofen. Als er nachts wach lag, hörte er plötzlich, wie das Weiblein aus ihrem Schlupfwinkel hervorrutschte, zum Tisch in der Stube ging, und sah, wie sie ein rundes Gefäß auflegte, es rundum mit kleinen Kerzchen besteckte und diese anzündete. Eines wollte jedoch nicht brennen. Darüber war das Weib beunruhigt und es murmelte vor sich hin: "Eins im Haus schlaft nit. Eins schlaft nit," fuhr aber dann fort: "Wird halt ein kleines Kind sein," löschte die Kerzen aus, packte alles zusammen, eilte zur Stubentüre hinaus, trat vor die Haustüre und tat einen leisen Pfiff in die Nacht hinaus. Der Soldat aber sprang ihr nach, schloß die Haustür, öffnete das hinter dieser befindliche Kellerluck und stellte sich hinter der Stubentür auf die Basse. Da kamen drei Männer hereingepoltert, stürzten aber einer nach dem anderen in den Keller hinab. Der Soldat schloß schnell das Luck, wälzte einen schweren Holzstock darauf und schlug Lärm. Es stellte sich heraus, daß es Räuber und das herbergende Weib ein verkleideter Mann war. Die Kerzchen aber waren die Fingerchen unschuldig gestorbener Kinder, welche nach dem Volksglauben brennen, aber nur so viel, als Leute im Hause schlafen.

Mitgeteilt von Reg.-R. Nikol. Thurner, Hötting

Quelle: Tiroler Heimatblätter 1. Jahrgang 1923, Heft 1, Seite 10