DIE SILBERKUGELN (Vers. II)

Im Eggertal droben soll es vor langer Zeit eine Silberader gegeben haben, deren Ergiebigkeit, so sagen die Leute, dermaßen groß gewesen sei, dass das gediegene Silber in den mannigfaltigsten Formen an die Oberfläche trat. Oft sei es wie blinkende Eiszapfen an den Schrofen gehangen.

Eines Tages kam ein alter Schütze aus Hart vorbei und sah die Zapfen in der Sonne glänzen. Verwundert blieb er stehen und betrachtete die silbernen Gebilde. Es wollte ihm nämlich nicht in den Sinn, dass es um diese Jahreszeit - es war mitten im Sommer - im Eggertal Eiszapfen geben könnte. Also schlug er einen von der Wand, um ihn näher zu betrachten, wog ihn abschätzend in der Hand und meinte endlich, es müsse Blei sein. Als altem Schützenbruder war ihm das natürlich nicht unlieb. Er nahm den Zapfen mit und goss daraus Kugeln. Freilich war das eine mühsame Sache, aber der Mann dachte, es werde eben eine bessere Art von Blei sein. - Beim nächsten Scheibenschießen in Fügen "pfefferte" er seine Kugeln hinaus, dass es eine rechte Freude war.

Als am nächsten Tag die hölzernen Kugelfänger zerhackt wurden, um die Kugeln zum Umgießen zu gewinnen, entdeckte ein Kenner, dass sich unter den gewöhnlichen Bleikugeln eine ganze Anzahl silberner befanden. Da hätte er nur zu gern gewusst, welcher reiche Protz es sich leisten konnte, auf dem Schießstand mit Silberkugeln zu schießen.

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 32