DAS MANDL AUF DER ZILLERBRÜCKE

Gegenüber von Schlitters liegt - auf der rechten Talseite - auf einem sonnigen Hügel das Dörflern Bruck. Der Hang, auf dem es sich hinbreitet, ist der Bruckerberg. Ein Stück dort oben stand vor Zeiten ein alter Bauernhof, genannt beim "Silberberg". Woher dieses Gut seinen Namen hatte, darüber weiß heute niemand mehr Auskunft zu geben, zumal der Hofname um etliche hundert Jahre älter ist als der älteste Mensch im Dorf. Man erzählt sich nur noch, dass dort ein armes Bäuerlein mit seinem Weib und einem halben Dutzend Kindern gehaust hatte. Von dem "Silber" freilich, das sie recht notwendig gebraucht hätten, war in ihrem Anwesen nichts vorhanden. Die Armut wurde im Gegenteil immer größer, die Kost von Tag zu Tag schmaler, und bald wussten sie sich keinen Rat mehr, wie sie die Kinder ernähren sollten. Als schließlich in einer Gewitternacht auch noch der Blitz einschlug und das Feuer in der Scheune den kleinen Heuvorrat für die einzige Kuh im Stall verzehrte, war im "Silberberg" der Jammer groß.

Am Tag nach dem großen Unglück hatte die Bäuerin einen Weg nach Schlitters. Wehen Herzens schritt sie den Berg hinunter, wandelte, von mitleidigen Blicken verfolgt, durch das Dörflein und gelangte endlich zur Zillerbrücke. Man kann sich ihre Überraschung wohl vorstellen, als sie dort auf dem Brückengeländer ein Männlein sitzen sah, das sie nach dem Grund ihres Kummers fragte, den man ihr vom Gesicht ablesen konnte. So erzählte sie ihm von dem harten Los und der bitteren Not, in die sie geraten waren. Da sagte das Männlein: "Kehr nur gleich um, Geld liegt im Haus, reiß nur die Herdplatten auf!"

Die Frau meinte, da wolle sie einer zu ihrem Unglück auch noch verspotten, denn die Rede kam ihr gar zu merkwürdig vor. Sie hatte schon eine entsprechende Antwort auf der Zunge, aber da war das Männlein spurlos verschwunden, als hätte es der Wind Verblasen. So machte sie kehrt, strebte auf dem kürzesten Weg dem Bauernhof zu und berichtete ihrem Mann von der seltsamen Begegnung. Der Bauer aber misstraute allem und wollte vom Aufreißen der Herdplatte nichts hören.

"Wer gibt das Geld, dass wir sie wieder aufmauern können?" , fragte er. So oft ihm die Fau auch beteuerte, das Männlein sei vielleicht ein guter Geist gewesen, er hielt alles nur für einen dummen Scherz. Da blieb der Bäuerin kein anderer Ausweg, als zu einer List zu greifen. Während der Nacht, als der Mann schlief, machte sie sich an die Arbeit und riss die Herdplatten auf. Wer könnte ihr Erstaunen beschreiben, als sie darunter einen großen Haufen Golddukaten fand, die in einem irdenen Topf lagen. Da waren die beiden nun freilich aller Not ledig. Das Männlein auf der Zillerbrücke aber ist seither nie mehr gesehen worden.

Quelle: Hifalan & Hafalan, Sagen aus dem Zillertal, Erich Hupfauf, Hall in Tirol, 2000, S. 15