Die zwei Hirten bei Anras

Es waren bei Anras zwei Hirten, die täglich, wenn sie die Mittagsmilch zu sich nahmen, ein jämmerliches Gewinsel hörten. Da sagte einer von ihnen: "Ich will diesem armen Menschen, den wir immer so jammern hören, aber nie sehen können, etwas Milch in der Schüssel lassen und weggehen, denn ihn hungert gewiß gar sehr," und ließ Milch in der Schüssel zurück. Der Andere aber sprach. "Ich thu' das nicht, sei es, wer es will," und trank seine Milch bis auf den letzten Tropfen. Beide entfernten sich dann und giengen ihre Wege. Als sie später wieder zurückkamen, fand der Barmherzige seine Milchschüssel voll Gold, der Andre die seine voll Blut. (Bei Sillian.)

Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 822, Seite 483.