Kirche im Berge

Im Thale Gschnitz hütete einmal ein Bauernbube Geise. Als er nicht wußte, was er vor Langweile anfangen sollte, steig er hin und her und suchte nach seltenen Steinen. Da sah er plötzlich ein Loch im Felsen, das er früher nie bemerkt hatte, und blickte neugierig in dasselbe, Da sah er zu seinem Staunen, daß es am Ende der Höhle licht sein, und gieng neugierig hinein. Er kam in eine prächtige Kirche, wo viele, viele Leute saßen und schliefen. Er trat vor bis z m Altare und sah dort ein wunderschönes, kleines Crucifix aus Silber. Dies nahm er mit sich und wollte wieder aus der Kirche gehen. Da erwachte ein alter Mann, der einen langen, weißen Bart hatte, und fragte ihn, wie groß das Bäumchen vor der Höhle sei. Der Hütebube sagte es ihm. Auf die Antwort seuftzte der Alte auf: "dann muß ich noch hundert Jahre warten!" und schlief wieder ein. Der Hütebube kam erst zu seiner Herde zurück, als es Abend war, er trieb das Vieh nach hause, erzählte dort alles, was ihm begegnet war, und zeigte das Cruzifix auf. Als dies der Vater sah, sprach er: "Es kann dir nicht mehr geholfen werden; weil du aus der Geisterkirche etwas mitgenommen hat, mußt du binnen drei Tagen sterben." So war es auch, am dritten Morgen lag der Bube todt im Bette. (Wippthal.)

Felsfomation © Berit Mrugalska
Beeindruckende Felsfomation im Gschnitztal
an der Abzweigung "St. Magdalena - Muttenjoch"
© Berit Mrugalska, 16. Juli 2005

 

Quelle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz Vinzenz Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 635, Seite 360.