Ulrich von Mussau

Als dieser fromme Bruder auf dem Todtbette lag, kam ihn einmal die Lust an, Erdbeeren zu essen, was ihm die Anwesenden als einen unziemlichen Wunsch verwiesen, weil Winter war und Schnee und Eis die ganze Landschaft bedeckte. Der Bruder rügte aber diese Kleingläubigkeit und befahl ihnen, sie sollten auf den nächstgelegenen Berg gehen, und sie würden Erdbeeren genug finden. Sie glaubten seinen Worten, giengen zur bestimmten Stelle und fanden mitten im Schnee viele und schöne Erdbeeren. Der Hügel wo dies Wunder geschehen ist, heißt heutzutage noch der Erdbeerenbühel. Weil aber die Krankheit von Tag zu Tag zunahm und er verspürte, daß der Tod herannahe, bat er die Frau, bei welcher er wohnte, sie möchte seinen Leichnam auf einen Wagen legen, zwei junge, noch nie eingespannte Stiere daran spannen und dort, wo diese ihn hinzögen, begraben. Nach seinem Tode legte man den Leichnam auf einen Wagen und spannte zuerst zwei zahme Ochsen, die schon öfter gezogen hatten, davor. Diese konnten aber den Leichenwagen nicht von der Stelle bringen, und man spannte nun zwei junge, noch unabgerichtete Stiere an. Diese zogen zur Verwunderung aller Anwesenden den Wagen durch den Lech und giengen aus freien Stücken fort, bis sie zu einem Gesträuche auf dem Hügel kamen, wo heutzutage die Kapelle steht. Hier standen sie wie angewurzelt und waren nicht von der Stelle zu bringen. Man nahm nun die Leiche von dem Wagen und begann ein Grab zu öffnen. Da gerieth man auf einen großen Stein, unter dem sich eine Grube in Mannslänge befand. In dies Grab wurde der Leichnam des seligen Bruders gelegt, wie noch heutzutage der Stein sammt dem Grabe in der Kapelle zu sehen ist. (Binswang. Tirol. Ehrenglanz 4. Heft S. 2.)

Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 845, Seite 493.