Der Walchsee
Vor vielen, vielen Jahren bedeckte Wald die Fläche, die jetzt der See einnimmt. Dieser Wald war die oftmalige Ursache großen Streitens und Prozessirens für die Umwohnenden. Da geschah es an einem heitern Tage, daß der Wald plötzlich in See verwandelt ward. Eine Sennin welche den Wald durchschritt, um am jenseitigen Ufer die Kühe zu melken, fand hinüber blos ein kleines Grübchen mit Wasser gefüllt. Als sie heimkehren wollte, starrte ihr schon das wogende Gewässer entgegen. In diesen See wird einst das an seinem Ufer erbaute Gotteshaus St. Johannes des Täufers versinken, wenn es eben am vollsten ist, d. i. in der heiligen Nacht, in welcher auch auswärtige Pfarrgenossen im selben zum Gottesdienste erscheinen, weil sie dahin näher haben als zur eigenen Kirche. -
In frühern Zeiten hat man oft zur Nachtzeit eine unheimliche Fackel
auf dem See erblickt, die Seefackel genannt. Das ist wie man weiß,
die abgeleibte Seele einer unnatürlichen Mutter, welche ihre unerlaubte
Leibesfrucht mit frevelhafter Hand in den Fluthen des Sees begraben hat.
(Mitg. v. G. L.)
Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 641, Seite 364f.