Die Christianisierung unserer Gegend

Infolge der innigen Verbindung der westrätischen Täler mit Italien und Gallien fand auch das Christentum frühzeitig Eingang in diesen Gebieten. In unserem Lande verlegt die Legende dessen Anfänge sogar in die apostolische Zeit zurück. Petrus selbst sei mit seinem Herrn auf der Wanderschaft bis nach Lindau gekommen und habe im Jahre 51 in der Umgebung von Rankweil das Evangelium gepredigt. Nach ihm wäre die älteste erhaltene Kirche Vorarlbergs St. Peter und ihre Umgebung Petersfeld genannt worden. Auch Barnabas, der Gefährte des hl. Paulus, soll als erster Bischof von Mailand schon eine Missionsreise nach dem Montafon unternommen haben, während St. Lucius, der Apostel Rätiens. durch einen Schüler des Völkerboten für das Christentum gewonnen worden sei. In Konstanz soll der HI. Pelagius den Märtyrertod erlitten haben.

Alle die Legenden haben natürlich keinen Anspruch auf historische Glaubwürdigkeit. Immerhin mögen mit den römischen Legionen schon in den ersten christlichen Zeiten einzelne christliche Krieger in diese Landschaft gekommen sein und andere Christen sich vor Verfolgungen sehr früh, die Ueberlieferung sagt schon unter Nero, in die rätischen Berge geflüchtet haben. Seit Ende des 2. Jahrhunderts zählte die neue Lehre unter der romanischen Bevölkerung wohl schon Anhänger und in einem Bleisarg von Brigantium will man das Zeichen des Kreuzes erkennen. Die Legionäre, welche dann im Verlaufe des 3. und 4. Jahrhunderts zahlreicher in unsere Gegend gekommen sind, waren vielfach Anhänger des neuen Glaubens und in Chur, einem der ersten Bischofsitze diesseits der Alpen, soll um 372 Gaudentius den ambrosianischen Ritus eingeführt haben.

Bis heute hat die Kirchensprache Bündens das lateinische Gewand aus der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert getreulich bewahrt und bezeugt damit, daß das Christentum im rätischen Alpengebiet seit dieser Zeit stärker um sich griff. Von den Mittelpunkten der römischen Kultur aus wurde das Christentum in die Nebentäler getragen. In einem Gebiete wie Rätien, in dem von jeher römische und gallische Geisleswellen ineinanderströmten und sich durchkreuzten, machten sich auch bei der Christianisierung Einflüsse von allen Himmelsrichtungen her geltend. Sowohl Mailand als auch Augsburg und entlegenere kirchliche Brennpunkte wie Lyon, Trier und Passau haben sich hier bemerkbar gemacht. Von jener Innstadt soll Bischof Valentin predigend über Feldkirch nach Chur gekommen sein. Die erste sichere Kunde vom churrätischen Vischofsitz datiert aus dem Jahre 452, als der Bischof von Como für sich und seinen Amtsbruder Asimo von Chur in Mailand die Stimme abgab, da letzterer vielleicht wegen der Hunneneinfälle am Erscheinen verhindert war. Den Verfolgungen dieser barbarischen Horden soll sich die Jungfrau Orilla durch wunderbare Flucht von Fußach nach Lindau entzogen haben. Aber bald darauf fei sie von ihnen in Straßburg gemartert worden. Ihr war später das Sankt Aureliakirchlein geweiht, das in den Trümmern des alten Brigantium als ein Sinnbild der neuen Lehre die Stürme der Völkerwanderzeit überdauert zu haben scheint.

Die Tage der Völkerwanderung, die in Rätien fortwährend Einfälle der Alemannen brachten, vermochten das Christentum nicht mehr auszurotten und besonders im Innern, wo seine Lehre schon damals festen Fuß gefaßt hatte, blieb sie ziemlich unerschüttert und bildete hier sozusagen den Schlußstein der erfolgreich durchgeführten Romanisierung, weshalb auch die Provinz länger als andere mit Italien verknüpft blieb. Um 560 entstand ein Bischofsitz am Bodensee, indem jener von Windisch im Aargau nach Konstanz verlegt wurde, wohl ein Zeichen dafür, wie das Christentum unter den Alemannen selbst bereits Fortschritte gemacht hatte. Gerade für diese Zeit berichtet Agathias, daß die Vereinigung der Schwaben mit den Franken bereits eine günstige Wirkung ausübe und die Ansichten besonders der Verständigeren ändere, sodaß er hofft, es werde in kurzer Zeit bei allen den Sieg davontragen. Auf den Kriegszügen der Alemannen in Italien war freilich noch wenig von ihrer Bekehrung zu spüren, denn als sie den Ostgothen zu Hilfe eilten, plünderten sie 555 schonungslos die Kirchen, stürzten die Fundamente der Gotteshäuser und besudelten alle Hl. Stätten. Gotisches Christentum mag schon sehr frühe nach Schwaben gedrungen sein und bereits im Kampfe gegen Chlodwig wird vom Tod des arianischen Alemannenfürsten Gibuld berichtet.

Ueber den Ereignissen in Vorarlberg vom Ende des 4. bis zum Anfang des 7. Jahrhunderts liegt ein fast undurchdringliches Dunkel und da sich die Christianisierung hier gerade in diesem Zeiträume vollzog, sind die Einzelheiten des Vorganges dem Blicke der forschenden Nachwelt größtenteils entzogen. Nachdem in Ländern, die von den Sturmfluten der Völkerbewegung verschont geblieben waren, das Klosterwesen Missionäre herangebildet hatte, konnte dann von Italien, Britannien und Irland aus die Vekehrungstätigkeit in Deutschland beginnen. Auch bei uns erschienen in der Folgezeit solche Glaubensboten. Aber die neue Weltanschauung dürften die hier eingewanderten Schwaben in erster Linie von den schon lange christlichen Romanen angenommen haben, wie dies auch bei allen anderen germanischen Stämmen, die sich auf ehemals römischem Boden niedergelassen und mit der einheimischen Bevölkerung vermischt hatten, geschehen ist. In manchen Fällen, wo erst spät Siedler von Nachbarländern in unsere Gegend kamen, mögen diese das Land schon als Christen betreten haben.

Wahrscheinlich war es nicht so sehr die Bekehrungstätigkeit eifrig predigender Missionäre, die unsere Vorfahren für das Christentum gewonnen hat, als vielmehr der Umstand, daß sich unsere Väter oft sogar zerstreut auf einem Boden niedergelassen hatten, der dem Herrschaftsbereich des neuen Glaubens angehörte. Wenn aber der Germane nicht einmal als siegreicher Eroberer der höheren Kultur des Romanentums zu widerstehen vermochte, war er dort um so eher bereit, dem neuen Gotte zu dienen, wo er vielleicht als obdachloser, hilfeheischender Flüchtling gerade in dem Augenblick in das Reich eines christlich-germanischen Volkes kam, als die Götter ihn verlassen zu haben schienen, der Christengott dagegen dem Feinde den Sieg verliehen und dadurch seine Macht bekundet hatte. In einem anderen Lande herrschte nach ihrer Meinung ein anderer Gott, und wollte man im Romanenlande bleiben, mußte man auch den Christengott anerkennen.

Die fränkischen Herrscher, die 536 die alemannisch-rätischen Landstriche an sich gebracht hatten, waren eifrig daraus bedacht, dem Christentum in den neuerworbenen Gebieten zum Durchbruche zu verhelfen, weshalb sie die Tätigkeit der Missionäre mit ihrer königlichen Autorität unterstützten. Das fränkische Königtum hatte nämlich sehr bald gelernt, sich der neuen Religion als Mittel zur Unterwerfung der Völker zu bedienen und die Kirche als Werkzeug für seine Herrschaftsgelüste zu mißbrauchen. Die Tatsache, daß von den fränkischen Königen des siebenten Jahrhunderts Theodebert II., Theoderich II., ChIothar II., Dagobert I., Chlodwig II., Dagobert II., Sigebert III. von der Legende mit den Glaubensboten unserer Gegend in Verbindung gebracht werden, weist wohl deutlich darauf hin, mit welchem Nachdruck diese Herrscher die Christianisierungsbestrebungen gefördert haben. Die Stiftung einer Sulpitiuskirche in Frastanz bezeugt es ebenfalls.

Die Merowinger empfanden es eben sehr bald, dasß sie die Alemannen nur durch die Bekehrung zur Religion der Franken dauernd an ihr Reich zu fesseln vermöchten. Mit welch blutiger Strenge man daher gelegentlich wohl auch im Schwabenlande zu Werke ging, mag daraus zu erkennen sein, daß noch unter den Karolingern in Bezug auf einen damals noch heidnischen deutschen Stamm die Weisung ergeht: „Wer hinfort ungetauft sich verstecken will und zur Taufe zu kommen unterläßt und Heide bleiben will, der soll des Todes sterben". (Cap. Paderbr. 785.)

Das Frankenreich der Merowinger war freilich noch nicht imstande, Glaubensboten nach Alamannien zu senden, weshalb sich dessen Könige damals eben der besser gebildeten Iren und Schotten bedienten. Im fränkischen Reiche selbst waren Christentum und Heidentum noch innig vermengt und von der milden Sittlichkeit der christlichen Lehre spürte man dort kaum einen Hauch. Aber auch in deutschen Landen war die Bekehrung oft eine rein äußerliche Sache. Viele gaben nur dem Drucke von oben nach, blieben aber trotz Taufwasser und Kreuzzeichen innerlich die alten Heiden. Andere wollten durch die christlichen Gebete abergläubischen Schutz finden, den die alten Götter oft nicht mehr zu gewähren schienen, da die heidnischen Zauberformeln häufig versagten. Man war nun bereit, dem Christengott zu dienen, weil er dem getreuen Gefolgsmann Sieg und Hilfe und obendrein noch einen Platz in Walhallas Herrlichkeit in Aussicht stellte.

Der Sklave aber, dem in Germanien kein heiterer Himmel winkte, machte im Uebertritt zum Christentum einen Tausch, der auch in zeitlicher Hinsicht als ein vorteilhaftes Geschäft erschien. Die Lehre von der Gleichheit aller Menschen, an und für sich mit der Sklaverei unverträglich, war Grund genug für den Geknechteten, eine eifrige Vekehrungstätigkeit zu entfalten. Besonders dem Sklaven romanischer Herkunft, welchem die Heilslehre ohnehin verständlicher war, muß eine wichtige Volle bei der Christianisierung zugekommen sein.

Aber auch die romanischen Siedelungen, die da und dort in schwäbischen Landen noch Sprachinseln bildeten, waren christliche Oasen in der Wüste des Heidentums und von diesen Stützpunkten konnte das Evangelium in die Umgebung hinaus getragen werden. Die Rätoromanen dürfen bei uns im 5. Jahrhundert als Christen gelten. Wo diese jedoch einer Verbindung mit dem churischen Mittelpunkte entbehrten und in enger Berührung mit den heidnischen Deutschen standen, mußten sie bisweilen freilich wieder beinahe in heidnische Anschauungen zurücksinken. So mag es zum Beispiel am Bodensee gewesen sein, wo zu Beginn des 7. Jahrhunderts sich Germanen und Romanen zum Bieropfer zusammengefunden haben sollen.

Der Glaube an die alten Götter wurzelte zu tief im schwäbischen Volke, als daß er durch einige kaum verstandene Predigten fremder Missionäre aus seinem Herzen gerissen worden wäre. Die Glaubensboten hatten eine harte Arbeit, dm heidnischen Aberglauben der Neuchristen zurückzudrängen, und mußten manchen heidnischen Brauch mit in Kauf nehmen. Den Christengott, welchen Allvater nach Meinung vieler Germanen eben nur als einen neuen Sohn auf die Erde gesandt halte, nahmen sie einfach unter die Zahl ihrer anderen Götter auf und ohne dabei an etwas Schlechtes zu denken, beteiligten sich noch Bekehrte an den Opferfesten der heidnischen Stammesgenossen. In jedem Falle bedurfte es, um dem rohen Volke begreiflich zu sein, einer derart vergröbernden Beimischung heidnischer Vorstellungen, daß dadurch der veredelnde Wert selbst in Frage gestellt war. Bekanntschaft mit dem Vaterunser und der Täuflingsformel galt oft beinahe für hinreichend, um aus einem Heiden einen Christen zu machen.

Um daher die Germanen leichter für das Christentum zu gewinnen, sah sich die Kirche gezwungen, auf die alten Anschauungen des Volkes Rücksicht zu nehmen. Gregor I., der in einem Brief an das Mailänder Bistum gegen Ende des 6. Jahrhunderts auch für die in Rätien wohnenden Alemannen einzutreten scheint, gab den Missionären, die er an den Rhein sandte und von denen einige in Rätien zurückblieben, den Auftrag, den Leuten die heidnischen Heiligtümer nicht zu zerstören, sondern sie in christliche Gotteshäuser zu verwandeln und an Stelle der allen Götzen Bilder von christlichen Heiligen zu setzen, damit das Volk, wenn es seine Kirchen nicht zerstört sähe, von Herzen seinen Irrglauben ablege, den wahren Gott erkenne und sich um so lieber an der allgewohnten Stätte versammle. Jedoch den rohen Gemütern auf einmal alles abzuschneiden, betrachtete der kluge Papst als ganz unmöglich. Wie sehr nun dieser Weg die Bekehrung erleichterte, so gefährlich war er für die Reinheit der neuen Lehre und die Hauptaufgabe der Missionäre war besonders bei uns weniger die Gewinnung von Heiden als vielmehr die Läuterung der Neuchristen.

Die Wallfahrtskirchen, welche sich nun an Stelle der heidnischen Kultstätten erhoben, hatten nur den christlichen Namen angenommen und die Votivgeschenke erinnern sogar in ihrer Form noch vielfach an die uralten Vorbilder. Auch zu den Heiligtümern in Rankweil und in der Klause, wo eigentümlich geformte Steine vielleicht schon als heidnische Opferaltäre dienten und später mit heimatlichen Gestalten der Legende verknüpft wurden, wallen noch heute heimische Pilger. Wo jetzt unter Arbogast die Kapelle des heiligen Loy steht, hatte wohl schon der germanische Schmied Wiland eine Kultstätte, für den dann in christlicher Zeit eben der Pferdepatron Eligius, der auch in Bings, Bludenz, Schlins. Nenzing, Frastanz und anderswo verehrt wird, eingetreten ist.

Aehnlich wie mit den Kultstätten ging es mit den Göttern und ihren Festen. Mit der Annahme der neuen Religion übertrug das Volk die Eigenschaften der alten Götter auf christliche Heilige. Die Attribute Wodans, Donars und Zius gingen nun auf die ritterlichen Krieger Martin, den gewappneten Drachentöter Georg und den streitbaren Erzengel Michael über und diese Heiligen verdanken ihre Volkstümlichkeit nicht zuletzt ihren heidnischen Vorgängern.

Wo die Germanen die christliche Lehre mit ihrem Gemüt erfaßt hatten, bildeten sie diese ihren heimischen Verhältnissen gemäß um und Christus wurde zum gewaltigen König aus altem Geblüte. Seine Apostel waren getreue Gefolgsmannen, die drei Weisen unterworfene Vasallen, die Bergpredigt ward zur Rede des Herzogs in der Volksversammlung, die Hochzeit zu Kana zu einem Gelage germanischer Edlinge usw.

Im Verlaufe des 7. Jahrhunderts fand die Christianisierung unserer Gegend wohl ihren Abschluß. Das nämliche dürfte auch vom übrigen Schwaben gelten, denn während die ältere alemannische Gesetzessammlung aus der ersten Hälfte dieses Säculums noch einen überwiegend heidnischen Charakter trägt, zeigt die spätere lex Alamannorum aus dem Anfang des 8. Jahrhunderts schon christliches Gepräge.

Noch heute erinnern an vielen Orten des Landes Sagen an die fernen Zeiten der Bekehrung unserer Vorfahren. In Tisis soll an Stelle des Kirchleins ein Götzentempel gestanden haben. Der Opferkessel sei dann in ein Glöcklein umgegossen worden. In Lustenau erzählt man vom Heidengundele, das sich nicht bekehren wollte und lebend begraben wurde.

Quelle: Aufsätze und bilder aus der Geschichte Vorarlbergs und seiner Umgebung, Franz Haefele, Dornbirn 1922, S. 17f