510. Die Verheißung des Hirtles auf der Berger Alma

Vor vielen hundert Jahren hütete auf der Barthlomesberger Alma Tag für Tag ein frommes Hirtle. Wenn es die Geißen heimtrieb, nahm es seinen Gang immer zur alten schönen Kirche und auf dem Friedhof knieend betete es seinen Rosenkranz. Voll Erbarmen legte es ihn dann auf ein Grab, jede Nacht auf ein anderes, denn er war geweiht und brachte Gnade.

Einmal am frühen Morgen stand das Hirtle auf der Berger Alma bei seiner Herde und schaute zu den Steinwänden hinüber. Da dachte es staunend, daß diese weiten Erdenräume kein Häslein nähren könnten, ja keinen Vogel und keinen Wurm. Waren sie eine nutzlose Wüstenei auf immer? Wie es so sann, sah es im lichten Schein die heilige Jungfrau nahen. Sie sprach: „Wisse, über diese Felsenwälle werdet ihr einst froher sein als über die reichste grüne Weide. Was Gott erschuf, ist nie umsonst!" Und segnend verschwand sie. — Das Hirtle tat sein Gesicht im Dorfe kund. Es betete von da an Stunde um Stunde voll Inbrunst, doch nur noch eine kurze Frist. Hart unter der Kirche, wo der Blick die einsamen, hohen Berge umfaßt, zeigt man sein Grab. Was es erzählte, ist bei den Bergern nicht verhallt. Sie vertrauen, daß dereinst ein Tag die Verheißung wahr erweise.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 510, S. 276