124. Der Geist und der Staatsanwalt

Die Frau, von der ich die Geschichten von den Mädchenhändlern habe, erzählte auch vom alten N. aus F. Von Lustenau ein Fuhrmann sei in der Nacht mit der Fuhr fort nach Nenzing, es sei anno 64 gewesen im Advent und wenn er zur Traube gekommen, sei am Hauseck in der Nacht um drei Uhr immer der N. gestanden. Dann habe er gesagt: „Guten Morgen, Herr N.!", aber er habe keine Antwort erhalten. Dann habe er einmal in der Gaststube gesagt vor den Gästen zur Frau Traubenwirtin: „Ist der N. närrisch, Frau? In der Nacht um drei, wenn ich mit der Fuhr komme, steht er draußen am Hauseck und wenn ich sage: Guten Morgen, Herr N., sagt er nichts!" Da habe sie gesagt: „Der ist gestorben." „So", sagte er erstaunt, „ja, dann ist er ein Geist."

Wie der Fuhrmann wieder in die Traube gekommen ist, habe die Frau gesagt: „Für Sie ist wegen Strafsache eine Vorladung da zum Staatsanwalt. Wisset, Ihr habt vor den Gästen gesagt, der N. stehe da draußen." Dann habe der junge N. beim Staatsanwalt getan wie wütend, das leide er nicht, daß er so was sage. Aber der Fuhrmann habe entgegnet: „Ich kann nicht anders sagen, als: es war der N. und wenn er nicht mehr lebt, ist es sein Geist." Da habe der Staatsanwalt gesagt: „Herr N., es sagens dreihundert Personen, da kann man nichts machen."

Den Vater des jetzigen N. habe ich noch gekannt, jener ist vielleicht sein Großvater gewesen. Der N. sei heimlich Sklavenhändler gewesen.

In Levis ist ein Trauben, der ist entstanden zu meinem Denken. Aber dort, wo jetzt N.'s Witwe ist, stand früher ein altes, großes gemauertes Haus, vielleicht war jenes einmal ein Trauben. Anno 64 wäre der jetzige junge N. halberwachsen gewesen. Etwas wird der schon auch wissen davon, weil er viel Geld verschenkt.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 124, S. 87f