588. Hasel, Nußbaum, Tanne und Eiche

Auf den Alpen wachsen auch noch andere Wurzeln und Kräuter, die den Menschen teils sehr gute, teils aber auch sehr schlimme Dienste tun, wie z. B. die Haarstrenzen und die Ahnemannhanischewurzen. Es gibt Wurzeln, mit denen man sogar das Blut zum StiIlstand bringt. Mit anderen aber haben neidische Nachbarn schon großes Unheil in die StäIle gebracht, indem sie eine solche Wurzel — ihren Namen wiIl ich nicht nennen — unter die TürschweIle des nachbarlichen StaIles gelegt haben. Dann ist aIles Vieh, das über diese weg mußte, erkrankt.

Sein Glück kann einer auch mit der Wünschelrute machen; diese muß man sich vom Haselstrauch schneiden. Aber gar so leicht ist die Geschichte nicht gemacht, denn eine solche Rute muß sich gabeln und an beiden Zweigen genau gleichviel Augen haben. Mit so einer Rute ist ein verborgener Schatz oft leicht zu finden. Auf dem Emser Schloß ist einmal eine gewesen, die hat eine Rute gehabt, die sich geradezu dem Boden zukrümmte, wo ein Schatz vergraben lag. Daß gerade der Haselstrauch solche Wunderkraft in seinen Ruten hat, kommt daher, weil die Muttergottes auf ihrer Reise nach dem Lande Ägypten bei einem bösen Unwetter unter einem solchen Haselstrauch ausgeruht hat. Darum ist man jetzt noch sicher vor Blitzgefahr, wenn man unter einen Haselstrauch flüchtet.

Auf jener Reise hat sich die Himmelsmutter auch einmal mit dem Laube des Nußbaumes ihren Schweiß von der Stirne gewischt, deshalb ist das Laub des Baumes so wohlriechend geworden. Wenn das Nußlaub schon im Frühling erkrankt, kann man sich auf Viehkrankheiten gefaßt machen. Der Nußbaum steht aber auch mit dem Sohne Mariens in Beziehung, denn aus dessen Holz ist sein Kreuz gezimmert worden. Darum findet man noch heute in jeder Nuß einen Kreuznagel, wenn man sie in der Mitte teilt.

Wird der Nußbaum mit dem Tode des Heilands in Verbindung gebracht, so geschieht dies beim Tannenbaum mit der Geburt des göttlichen Kindes; aus Tannenholz soIl die Krippe gewesen sein, die dem Christkindlein als Wiege diente. Darum blühen jetzt die Tannen mitten im Winter, nämlich in den späten Stunden der heiligen Nacht. Auch die Tiere, die damals im StaIle bei dem Jesukind weilten, haben ja um diese Zeit verschiedene Gaben, und der Kreuzschnabel brütet um Weihnachten auch deshalb, weil er die Nägel aus dem Kreuzholz zog, bis sein Schnabel krumm wurde.

Auch die Eiche gilt von alters her als ein prophetischer Baum. Aus den GaIläpfeln, die sich an ihren Blättern bilden, schließt man auf ein gutes oder schlechtes Jahr, je nachdem ein Spinnlein oder ein geflügeltes Insekt in einem dieser Eichenkügelchen sich findet.

Auf einen strengen Winter schließt man, wenn sich früh schon viele Zeitlosen einfinden, und auf die baldige Wiederkehr des Lenzes, wenn auf den Wiesen sich die gefleckten Blätter des Knabenkrautes zeigen, denn das ist die Schrift des Kuckucks, darauf schreibt er, daß sein Erscheinen bevorstehe, darum werden diese fleckigen Blätter auch "Guggerschrift" genannt.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 588, S. 308f