487. Jauchzen kündet Schnee

I.

Die Älpler sind der Meinung, daß die unsichtbaren Bewohner der Alphütten durch hörbare Fußtritte in der Nähe der Hütte oder durch Jauchzen ein nahes Schneewetter anzeigen; deswegen hören sie bei eintretendem Regenwetter nie gern bei der Nacht in der Nähe von unbekannter Stimme jauchzen. Auf einigen Alpen glaubt man auch, daß das Vieh noch vor einem bestimmten Tage, meist vor Kreuzerhöhung, abgetrieben werden müsse, wenn es nicht Unfällen ausgesetzt werden soll, weil der Alpbutz um diese Zeit das Recht habe, die Hütte als unbeschränkte Wohnung zu beziehen.

II.

Es war Ende Juni 1887. Das Vieh war im Ausschlag (Voralpe) unter dem Golmer Stafel*. Schwerer, dunkler Nebel lag auf den Böden. Die Hirten traten aus der Hütte und wollten wieder dem Vieh nach. Da hörten sie einen Steinwurf weit über ihnen eine weibliche Stimme dreimal nacheinander in gar jämmerlichem Tone rufen: „O Jiasas! Wo bin-i-o?" — „Komm nu do aher, do ischt a Tür i d' Hütta!" gab schnell der Großhirt zur Antwort, der meinte, eine Schmalzbettlerin finde nicht mehr aus. Und sie eilten nach der Richtung, in der sie den Klageruf vernommen; der eine ging ins Herzabad, der andere auf Plempastäfa. Aber die Suchenden fanden und hörten nichts mehr, trotzdem sich der Nebel geschupft hatte und sie weit umher alles absuchten. Gegen alle Erwartung fing es ein paar Stunden darauf mortisch an zu schneien, als ob es mitten im Winter wäre. — Was das Jammern gewesen ist, wissen die Hirten nicht, nur sagen sie, wenn es ein Mensch gewesen wäre, so hätten sie ihn finden müssen oder hätten doch wenigstens Antwort auf ihr Rufen bekommen.

III.

Ähnliches wird vom Jauchzen auf dem Förggili* erzählt. In den Neunzigerjahren hüteten drei Hirten auf Platzis die Rinder. Der eine hatte sein Vieh in der Krenna, während die ändern am Stofel waren. Es regnete an einem Nachmittage. Da hörten die am Stofel einigemal vom Förggili her jauchzen. Sie dachten, es sei gewiß der eine Hirt und antworteten. Bald nachher kam der, und sie fragten, ob er auf dem Förggili gejauchzt habe. Er hatte nicht gejauchzt und wußte von allem nichts; und das Sonderbare war, daß dieser Hirt es hätte besser hören müssen als die andern beiden. Es kam denn auch richtig Schnee. Jauchzen auf dem Förggili und nachfolgendes Schneien sei schon oft dagewesen, daß es zum Sprichwort wurde: „Wenn es auf dem Förggili jauchzt, kann man die Schuhe salben, denn es kommt Schnee."

IV.

Auf der Alpe Platzis* hat man früher dann vielmal einen Butz gesehen, ein Weible im Walserhäs. Allweg vor dem Schneien hat es sich gezeigt, so daß man sicher hat sagen können: „Morgen kommt ein Schneewetter." Jetzt hat man es schon lange nicht mehr gesehen, aber juzen hört man es noch immer.

Einmal war es auch so. Im Sommer 1858 war Christian Bargehr Hirt auf der Alpe neben dem Sennen Josef Schwarzhans, einem steinalten Mann. Damals mußten die Viehbesitzer den Alpleuten Brot, Mehl und Salz und was sie zum Essen brauchten beistellen. Dabei verspäteten sich manchmal die Parteien, so daß in der Alphüfte Brotmangel eintrat. Das war in jenem Jahr auch durch ein paar Tage der Fall. Als der Hirt in die Hütte trat, sagte der Senn, es gebe jetzt Brot, er habe ein Weibsbild mit einem Zwerisack am alten Stofel heraufkommen sehen. Als aber das Weib in der Alphütte nicht erschien und es auch neblig wurde, ging Bargehr nachschauen. Er sah aber weit und breit niemand. Der alte Senn sagte: „Wenn es so ist, bekommen wir sicher Schneewetter; mach, daß du das Vieh vor Abend noch etwas zusammenbringst!" Als der Hirt nachts dem Stofel und der Hütte zuging, hörte er auf dem Fürggele oben ein paarmal kräftig jauchzen, gleichzeitig fing es aber auch heftig zu schneien an.


* Nach einer freundlichen Mitteilung von Franz Elsensohn (2005) liegen die Almen Golmer Stafel (II), Förggili (III) und Alpe Platzis (IV) in Vandans.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 487, S. 267f