421. Der Kirchturm von Lech

Die Kirchtürme von Oberstdorf, Mittelberg und Lech haben die gleiche Bauart und seien vom gleichen Meister erbaut worden. Der Kirchturm zu Mittelberg trägt die Jahrzahl 1371. Anfangs sollte die Kirche von Lech „auf dem Boden", das ist zwanzig Minuten von der heutigen Stelle, errichtet werden. Was man aber untertags an Mauerwerk aufführte, das wurde nachts von unsichtbaren Händen wieder auf den jetzigen Kirchplatz zugetragen. Weil hier ein lockerer Baugrund war, mußte man das Fundament so tief machen, daß der Wasserdruck des Lechflusses bemerkbar wurde, der in der Nähe vorbeirinnt. Zwei wohlhabende Schwestern, alte Jungfrauen, sollen den Turm erbaut haben. Als sich der Bau etwa vier Fuß über den Erdboden erhob, da ging einer Schwester das Geld aus; die andere ließ den Bau vollenden und wurde ebenfalls arm. Der Arbeiter erhielt einen Groschen Tag lohn. Die Ecken des Turmes bestehen aus gesägten Tuffsteinen, die man im benachbarten Schluchttobel gebrochen haben soll. Das Mauerwerk ist zu ebener Erde acht Fuß dick und hat hundert Fuß im Umfang. Nach einer alten Prophezeiung wird der Tannberg später einmal eine Ochsenalpe und zuletzt ein Gletscher. Dann werden die Füchse durch die Schallöcher des Kirchturmes ein- und ausspringen. Noch vorher wird der Zürsersee ausbrechen und alles verwüsten.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 421, S. 237