366. Michelistag

In Buchboden lag ein sogenannter Stiftsmaisäß, das ist eine Alpenwiese, welche nach dem Willen des Stifters den Besitzer wechselt. Da geschah es, daß dieses Grundstück an einen Bauern aus Marul kam, und der Besitzer trat das Grundstück dem Nachfolger mit den Worten ab, daß das Mahd zum Heuen recht gut sei, nur müsse er sich wohl merken, daß er nach dem Michelistag (29. September) nicht mehr dort bleiben dürfe, wenn ihm sein Leben lieb sei. Als nun nach dem Sommer wieder der Michelistag angebrochen war, kam zum neuen Eigentümer des Maisäß, der im Stalle beim Melken war, plötzlich ein Mann und sagte, daß von diesem Tage bis zum Frühling nur er in dieser Hütte Herr und Gebieter sei. Nachdem er dies drohend gesprochen, verschwand er so schnell als er gekommen war. Der Bauer aber war mit Heuen noch nicht fertig und die Wiese bot noch genug grünes Futter für das Vieh. Deshalb faßte er den verwegenen Entschluß, trotz der empfangenen Weisung noch länger zu bleiben. So waren ein paar Tage vergangen und er wollte sich in Marul wieder mit Lebensmitteln versorgen. Da bekam er dort von wohlmeinenden Leuten den Rat, mit der geisterhaften Erscheinung friedlich abzumachen. Nachdem er in die Hütte zurückgekehrt war, versuchte er den Geist zu versöhnen. Er rief ihn, und der Mann erschien. Als er das friedliche Anerbieten des Bauern vernommen, verschwand er ohne jede Antwort. Am nächsten Morgen fanden den Bauern seine Söhne in unzählige Stücke zerrissen im Schlafgemach.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 366, S. 209f