258. Auf der Schattenburg

I. Der Ritter

Die Kapfstraße war noch nicht. Unterm Kapf hatten wir einen Gemeindeteil. Es war im Herbst. Wir kamen vom Feld, ich und die Mutter selig. Wir hatten ein Handwägele mit Feldfrüchten um den Berg herum gezogen und kamen naß, hungrig und müde nach Hause. Ich wollte ins Bett und die Mutter auch. Es war gerade am Dunkeln. Die Mutter und ich schliefen in einem großen Saal, je separat in einem Bett und auseinander, aber nicht weit. Ich habe alles noch vor den Augen wie es war. In der Stadt fing es an, Ave Maria zu läuten. Die Mutter sagte: „Beten wir den englischen Gruß laut!" Das Läuten war kaum vorüber. Ich war noch hellwach im Bett, weil die Schwestern gerade den Kaffee in der Küche machten. Sie bringen uns den Kaffee ins Bett. Ich schaute immer zur Tür hinunter, ob sie nicht bald kämen. Es war so halbdunkel und wir hatten die Betten ganz oben. Ich sagte: „Mutter, Mutter! Schau, was da kommt?" Sie sagte: „Ich sehe nichts." Ich schrie immer ärger: „Mutter, Mutter l" Dann rief die Mutter, was sie aus dem Halse brachte, den Schwestern. Es sprangen zwei daher mit Kerzenlichtern, die vom Wind geflügelt haben. Da ist eine mittelgroße Gestalt von der Türe durch den Saal herauf gekommen, leichtfüßig, mit elastischem Gang, wie wenn er heimlich ginge, so auf den Fußspitzen. Er hat enge, kurze Hosen angehabt und einen runden, weiten, aber kurzen Mantel, nicht länger als ein Arm und den Kopf hat er abwärts gehängt. Ich war an einer Wand gelegen, an der ein zugemauerter Balkon war. Die Gestalt ging bis zu meinem Bett und, ich denke, darüber hinaus. Auf den Balkon hat er wahrscheinlich müssen. Es wird halt ein alter Ritter gewesen sein.

Jetzt sind aus jenem Saal drei Zimmer gemacht worden und W. wohnt dort. Die zehn Monate, die ich krank bei ihr war, mußte ich wieder in jenem Zimmer schlafen, wo er damals über mein Bett stieg. Jede Nacht ist es mir eingefallen, wenn ich ins Bett bin und es ist schon lange her, ich war vierzehn Jahre alt. Dann habe ich in der Nacht, ich war immer lange wach, nie die Augen aufgemacht, damit ich gar nichts sehen soll und habe das Licht angezündet und die Augen zugelassen, bis es gebrannt hat, und gebetet und Weihbrunn gespritzt und überall Palmen hinein gesteckt.

Und das vergeß ich nie mehr. Und die Mutter hat wieder allerlei gehört, gesehen aber nichts. Dann sind einmal zwei Jesuiten gekommen und haben etwas unter die Türschwelle gelegt. Von dort an war Ruhe.

II. Das Geld muß Dunkel haben

Im großen Saal der Schattenburg, der jetzt in drei Zimmer abgeteilt ist, wohnte eine arme Frau mit ihren Kindern. Von der strengen Arbeit müde, ging sie mit dem kleinsten Mädchen schlafen. Doch kaum waren sie zu Bette, so schrie das Kind entsetzlich. Es sah im Halbdunkel eine fremde Gestalt an der Tür. Leichtfüßig kam sie durch den Saal, heimlich wie auf den Zehen. Ein mittelgroßer Mann war es in engen kurzen Hosen, mit weitem runden Mäntelchen um, das kaum über die Arme herab reichte. Er ließ den Kopf hängen und schritt zum Bett und darüber hin zur vermauerten Tür, die früher auf den Söller geführt. Dort verschwand er. Das kleine Mädchen schaute alles deutlich. Die Mutter konnte nichts sehen, aber sie hörte oft an der Türschwelle Geräusche, als ob jemand etwas heraus heben wolle. Erst als sie geweihte Kräuter unter die Schwelle legte, hörte es auf. Ob der Geist etwa unrechtmäßig angehäuftes Geld, das er dort vergraben hat, heben will? Man glaubt, er sei einer von den Vögten, der im Geize sagte: „Das Geld muß Dunkel haben!", und lieber einen Silbergroschen vergrub als den Armen gab.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 258, S. 150f