145. Der gefangene Schrättlig

Bei einem Bauer im Tuggstein neben der Emserreute kam jede Nacht durch ein Astloch ein Schrättlig in die Kammer, der die Leute plagte. Da riet man den Hausbewohnern, sie sollten dem Schrättlig aufpassen. Sobald er durch das Loch in der Kammerwand durchgeschlüpft sei, sollen sie einen Zapfen stecken, dann sei der Unhold gefangen und könne nicht mehr weg, solang das Loch verstopft bleibe.

Die Leute taten nach diesem Rat und als der ungebetene Gast erschien und durch die Öffnung geschlüpft war, schlugen sie gleich einen Pfropfen hinein. Wie sie dann nachsahen, was sie für einen Fang gemacht hätten, fanden sie ein bildschönes Frauenzimmer in der Kammer, das sehr weit her gekommen zu sein schien. Die Fremde verblieb darauf lange Zeit bei den Leuten und wurde nach und nach ganz als Familienglied betrachtet. Beim Heuen und bei anderen Arbeiten half sie wacker mit, so daß der Bauer schon die Absicht faßte, das fleißige Mädchen zu heiraten.

Den Holzklotz, den man in die Wand geschlagen hatte, konnte die Unbekannte aber nicht leiden und sie sagte manchmal, man solle doch endlich den wüsten Zapfen wegschlagen. Weil man nach so langer Zeit den merkwürdigen Vorfall schon fast vergessen hatte und niemand mehr glaubte, daß das Weibsbild fortgehen wolle, tat man ihr endlich den Gefallen und schlug den Zapfen heraus.

Sobald das Loch, durch das die Fremde gekommen war, wieder frei war, rief sie aus: „Ahne, wie singen die Glogga so schö in Engeland!" Dann verschwand sie wie sie gekommen war und wurde nie mehr gesehen.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 145, S. 96