261. Der Triesner Reiter

Auf der hohen Illbrücke hört man allnächtlich Hufschlag. Es ist auf schwerem Roß der Bauer von Mesasca, den das Gewissen jagt. Dort lebte vor dreihundert Jahren eine arme, kleine Waise. Das Essen bekam sie auf der Alp und als Entgelt verrichtete sie leichte Dienste. Als sie einmal Butter aus der Alpe trug, sprang ihr ein Hund mit kläglichem Gewinsel entgegen und ließ nicht nach, bis sie ihm in das nahe Gehölz folgte. Dort lag ein Jäger, der vom Felsen gestürzt war, und blutete aus tiefer Wunde. Mitleidig verband ihn das Mädchen, riß dazu die Schürze in Streifen, strich Butter darauf als lindernde Salbe und holte dann aus einer nahen Alpe die Hirten zur Hilfe herbei. Der Jäger aber war der Vogt von Feldkirch, der dort auf der Schattenburg saß und ein gar mächtiger Herr war; er schenkte dem Kinde seinen Goldring und sagte, wenn es einmal in Not käme, solle es ihm den Ring schicken, er werde seiner Guttat nicht vergessen.

Die Jahre vergingen und das Mädchen hatte sich einem Triesner Bauern als Magd verdingt. Am Tag aber, an dem sie den Dienst antrat, erkrankte unversehens dessen einziges Kind und starb. Da verfiel der Bauer in finstere, grüblerische Gedanken. Er glaubte nichts anderes, als daß sie das Kind behext habe und schuld sei an dessen Tod. Er ging nach Vaduz und verklagte sie den Richtern. Alsbald wurde die Unglückliche von den Schergen geholt und in den tiefsten Kerker des Schlosses geworfen. Umsonst beteuerte sie ihre Unschuld, daß sie niemals Arg getrieben mit Kraut und Wurzel und geheimen Sprüchen. Es war aber eine Zeit wüsten Wahns. Wer einmal verdächtig war, war dem Verderben verfallen. Die Richter verurteilten sie zum Tode. In dieser höchsten Not gedachte das arme Mädchen des Versprechens, das ihr der Landvogt von Feldkirch dereinst gegeben; es ergriff dessen Ring und flehte, ob nicht einer die Barmherzigkeit habe, ihn auf die Schattenburg zu bringen. Aber keiner war da, der der Hexe Bote sein wollte.

So war sie denn verlassen von allen und ohne Hilfe und es ward ihr schon der Holzstoß errichtet. Als aber die Henkersknechte die mächtigen Scheite aufeinander häuften und der Bauer das ersah, erwachte in ihm das Gewissen. Er eilte in den Kerker des Mädchens, holte den Ring und ritt mit ihm im Galopp durch den sinkenden Abend nach Feldkirch. Ob er aber auch das Roß anspornte, daß ihm die Weichen bluteten, seine Reue brachte ihm keine Rettung mehr. Der Vogt hatte den Tag mit Spiel und Schmaus verbracht und lag trunken von wüstem Gezech, als der Bauer auf der Schattenburg ankam. Erst am nächsten Morgen konnte er ihm den Ring weisen. Aber da lohte schon der Holzstoß oben in Vaduz.

Das ist die Sage vom Triesner Reiter. Er ist dem schuldlosen Mädchen, das ein Wahn gemordet, bald im Tode gefolgt. Seitdem sieht man ihn jede Nacht, wie er auf der alten Straße von Schaan nach Feldkirch sprengt. Er reitet wie's Wetter, vom Gewissen gespornt, gehetzt und geängstigt über die hohe Illbrücke. Sein Mantel weht in der schwarzen Nacht, und schauerlich klingt der Hufschlag. Auch der Vogt hat keine Ruhe. Vom großen Saale geht er allnächtlich ans Bürgertor und will es öffnen. Doch er kann es nicht und stöhnt verzweifelt, und schreitet traurig durch den Schloßhof zurück.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 261, S. 152