109. Die verwüst' Alp

Vom Sünserplanken aus sieht man nach der einen Seite hin ein ödes, zerklüftetes Alpengebiet, vielfach mit Schnee bedeckt und von tiefen Gletscherspalten durchzogen. In den Tiefen hausen scheußliche Drachen, die alles Wild, das da hinabfällt, auffressen. Einmal hatte ein Jäger das Unglück, in eine solche Spalte zu fallen. Da sah er, wie so ein Drache in der Nähe ein verfallenes Stück Wild anfraß, nahm sein Gewehr und schoß die Bestie nieder.

In dieser Gegend sei es aber nicht immer so unwirtlich gewesen. Einmal sollen dort drei schöne Alpen gewesen sein. Da sei einmal ein Mann gekommen und habe um Almosen gebeten. Zwei Sennen reichten dem Armen eine Gabe, der dritte aber, ein übermütiger Mensch, füllte dem Bettler sein Häfelein mit Kuhmist und tat nur zu oberst ein bißchen Butter drauf. Der Frevler brauchte aber auf die Strafe nicht zu warten. Der Bettler ging in die anderen Hütten und sagte den beiden barmherzigen Sennen, sie sollten fliehen so schnell sie könnten mit dem Vieh und aller Habe, denn die Alpen seien dem Untergang geweiht.

Die zwei Sennen hörten auf den Rat des Bettlers, obwohl der andere sie verspottete und verlachte. Kaum waren sie aus der Alp, da erhob sich ein furchtbarer Schneesturm und begrub die Alpen mitsamt dem bösen Senn im Schnee. Bis auf den heutigen Tag wächst auf der „Verwüsten Alp" nichts mehr und mit Grauen schaut der Wanderer auf die Stätte des Unheils.


Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 109, S. 79