347. Warte bis am Abend

Auf einer Alpe in Raggal, auf der man etwa vierzig Stück Vieh sommern konnte, ging alle Jahr fast die Hälfte der Tiere zugrunde, so daß die Alpe sehr in Verruf kam.

Raggal im Herbstnebel © Berit Mrugalska
Raggal im Herbstnebel, Großwalsertal
© Berit Mrugalska, 17. Oktober 2005

Jedesmal, wenn ein Stück fiel, mußte ein Hirt nach Raggal hinab, es dem Vorsteher melden. Als der Hirt wieder einmal mit einem solchen Bericht auf Weg war, kam er unterwegs an einem Bänklein vorbei, das er früher noch nie inacht genommen hatte, obwohl er den Weg schon oft gemacht hatte. Auf der Bank saßen zwei alte Weiber, die fragten den Hirten, wo er hingehe, und er gab ihnen Bescheid. Da sagten die Hexen — denn solche waren es — "Du gehst den Weg noch gern umsonst; warte doch bis am Abend, sonst mußt du nocheinmal laufen." Der Hirt kehrte sich nicht an das Geschwätz der Weiber und setzte seinen Weg fort. Als er aber in der Nacht auf die Alpe zurückkam, war wirklich schon wieder ein Stück Vieh gefallen.

Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 347, S. 199f